„Wirklich optimistisch“: Ketamin als Hoffnungsträger bei der chronischen posttraumatischen Belastungsstörung

Deborah Brauser

Interessenkonflikte

8. Februar 2021

Wiederholte Ketamin-Infusionen können nach einer neuen Studie bei einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) eine schnellere Erholung fördern. Die Ergebnisse wurden im Januar 2021 im American Journal of Psychiatry online veröffentlicht [1].

In der ersten randomisierten, kontrollierten Studie zur wiederholten Ketamingabe bei chronischer PTBS erhielten 30 Patienten über 2 Wochen 6 Infusionen mit Ketamin oder Midazolam (als psychoaktives Placebo).

Bei den Patienten unter Ketamin besserte sich die PTBS im Therapiezeitraum signifikant stärker als unter Midazolam. Die Gesamtwerte auf der CAPS-5 (Clinician-Administered PTSD Scale for DSM-5) sanken in Woche 2 im Vergleich zu den Ausgangswerten in der ersten Gruppe um fast 12 Punkte mehr als in der zweiten Gruppe, womit das Hauptzielkriterium der Studie erreicht wurde.

Darüber hinaus galten 67% unter Ketamin bzw. 20% der Patienten unter Midazolam als Therapie-Responder. In der Ketamin-Gruppe ließ der Effekt nach 28 Tagen nach.

 
Obwohl die Resultate insgesamt den Erwartungen entsprachen, war es überraschend, wie robust die Ergebnisse waren. Dr. Adriana Feder
 

„Obwohl die Resultate insgesamt den Erwartungen entsprachen, war es überraschend, wie robust die Ergebnisse waren“, sagt die Hauptautorin Dr. Adriana Feder, Psychiaterin an der Icahn School of Medicine im Mount Sinai Hospital, New York, gegenüber Medscape.

Sie seien auch darüber verwundert gewesen, „in einer Studie mit nur 30 Teilnehmern einen so deutlichen Unterschied“ zwischen den beiden Behandlungsgruppen festgestellt zu haben, so Feder, die auch an der Entdeckung von Ketamin als PTSB-Therapeutikum beteiligt war und Co-Direktorin des Ehrenkranz-Center for Study of Human Resilience am Mount Sinai ist.

Ungedeckter Bedarf

Ketamin blockiert den Glutamat-NMDA-Rezeptorkomplex (N-Methyl-D-Aspartat) und wurde erstmals 1970 von der US-amerikanischen FDA (Food and Drug Administration) für den Einsatz in der Anästhesie zugelassen wurde. Es hat sich u.a. auch als wirksam bei therapieresistenten Depressionen erwiesen.

Die Lebenszeitprävalenz der PTBS liegt in den USA bei etwa 6%. „Zu den traumazentrierten Psychotherapien gibt es die meisten empirischen Daten, wobei ihre Erfolge begrenzt sind, ein signifikanter Anteil der Patienten spricht gar nicht oder nur teilweise an – oder bricht die Therapie ab“, schreiben die Untersucher. Außerdem gebe es „nur wenige verfügbare medikamentöse Ansätze bei einer PTSB, die zudem nur unzureichend wirksam sind“, fügen sie hinzu.

„Es besteht ein echter Bedarf an neuen, wirksamen Behandlungsmethoden bei PTBS, die auch schnell wirken, da es Wochen bis Monate dauern kann, bis derzeit verfügbare Behandlungen wirken“, so Feder.

Die Untersucher führten bereits früher eine randomisierte, kontrollierte Proof-of-Concept-Studie mit Ketamin-Einzelinfusionen zur Behandlung der chronischen PTBS durch. Die 2014 in JAMA Psychiatry veröffentlichten Ergebnisse zeigten eine signifikante Reduktion der PTBS-Symptome 24 Stunden nach der Infusion.

In der aktuellen Studie wollte das Untersucherteam prüfen, ob sich Ketamin für eine längerfristige Behandlung eignet. „Wir sahen uns durch unsere früheren vielversprechenden Ergebnisse ermutigt“, sagt Feder. „Die zweite Studie sollte jetzt zeigen, ob Ketamin wirklich bei der PTBS funktioniert, ob die rasche Besserung reproduzierbar ist und ob eine Dosierung von 6 Infusionen über 2 Wochen diese Verbesserung auch aufrechtzuerhalten vermag.“

30 traumatisierte Patienten

Es wurden 30 Patienten (Alter 18–70; Altersdurchschnitt 39 Jahre) mit chronischer PTBS aus zivilen oder militärischen Traumata in die Studie aufgenommen (mittlere PTBS-Dauer 15 Jahre).

Das am häufigsten genannte primäre Trauma war sexuelle Nötigung oder Belästigung (n = 13), gefolgt von körperlicher Nötigung oder Missbrauch (n = 8), Miterleben eines gewaltsamen Angriffs oder Todes (n = 4), Miterleben der Anschläge vom 11. September 2001 (n = 3) und Kampfeinsätze in Kriegsgebieten (n = 2).

Während der 2-wöchigen Behandlungsphase erhielt die Hälfte der Patienten nach dem Zufallsprinzip 6 Infusionen mit Ketamin-Hydrochlorid in einer Dosis von 0,5 mg/kg (86,7% Frauen; mittlerer CAPS-5-Score: 42), während die andere Hälfte 6 Infusionen mit Midazolam in einer Dosis von 0,045 mg/kg erhielt (66,7% Frauen; mittlerer CAPS-5-Score: 40).

Nach 2 Wochen schaute man sich die Veränderungen beim CAPS-5-Score als primären Endpunkt an. Die sekundären Endpunkte waren Veränderungen auf der Montgomery-Åsberg Depression Rating Scale (MADRS) und Impact of Event Scale-Revised (IES-R).

Als Ansprechen auf die Behandlung galt, wenn sich die Symptome auf der CAPS-5 um mindestens 30% gebessert hatten. Eine Reihe von Messwerten wurde auch verwendet, um mögliche behandlungsbedingte Nebenwirkungen (TRAE) zu bewerten.

Sicher und wirksam

Die Ergebnisse zeigten für die Ketamin- im Vergleich zur Midazolam-Gruppe signifikant niedrigere CAPS-5-Gesamtscores in der 1. Woche (Score-Differenz: 8,8 Punkte; p = 0,03) und in der 2. Woche (Score-Differenz: 11,88 Punkte; p = 0,004).

Unter Ketamin besserten sich auch 3 der 4 PTBS-Symptom-Cluster auf der CAPS-5: Vermeidungssymptome (p < 0,0001), Kognitions-und Stimmungssymptome (p = 0,02) und Wiedererlebenssymptome (Intrusionen; p = 0,03). Im 4. Symptomcluster „Erregungsniveau und Reaktivität“ zeigte sich keine signifikante Verbesserung. Darüber hinaus besserten sich in der Ketamin-Gruppe sowohl in der 1. als auch in der 2. Woche die MADRS-Werte signifikant und deutlich. Bei 10 Patienten aus der Ketamin- und 3 aus der Midazolam-Gruppe war die Behandlung auch nach 2 Wochen noch wirksam (p = 0,03).

 
Ein Ansprechen nach 2 Wochen ist sehr schnell, aber manchmal ging es ihnen bereits am 1. Behandlungstag besser. Dr. Adriana Feder
 

Sekundäranalysen zeigten eine rasche Besserung bei den Teilnehmern der Ketamin-Gruppe, die auf die Behandlung ansprachen. Ihr Zustand besserte sich 24 Stunden nach der ersten Infusion um durchschnittlich 26 Punkten beim IES-R-Gesamtscore. Beim MADRS-Gesamtscore waren es 13,4 Punkte nach 24 Stunden, was einer Verbesserung von durchschnittlich 53% entspricht. „Ein Ansprechen nach 2 Wochen ist sehr schnell, aber manchmal ging es ihnen bereits am 1. Behandlungstag besser“, bemerkte Feder.

Es wurden keine ernsthaften TRAE berichtet. Während der Ketamin-Infusion kam es zu einigen dissoziativen Symptomen mit den höchsten Werten gegen Ende der Infusion, die jedoch bis zur nächsten Bewertung 2 Stunden nach der Infusion wieder verschwunden waren.

Die am häufigsten berichtete Nebenwirkung in der Ketamin-Gruppe im Vergleich zu Midazolam waren nach Beginn der Infusion verschwommenes Sehen (53% vs. 0%), gefolgt von Schwindel (33% vs. 13%), Müdigkeit (33% vs. 87%), Kopfschmerzen (27% vs. 13%) und Übelkeit oder Erbrechen (20% vs. 7%).

„Weitreichende Verbesserung“

„Die Ergebnisse in dieser Patientenpopulation zeigen insgesamt, dass wiederholte Ketamin-Infusionen über 2 Wochen mit einer deutlichen, klinisch signifikanten Verbesserung der PTBS-Symptomatik verbunden sind“, schreiben die Untersucher und Feder empfand sie als „sehr zufriedenstellend“.

„Es war auch ermutigend zu hören, was einige der Teilnehmer zu sagen hatten. So berichteten manche davon, wie sich ihre Symptome und Gefühle im Laufe der Ketamin-Behandlung verändert hatten, wobei sie sich stärker fühlten und besser mit ihrem Trauma und ihren Erinnerungen umgehen konnten.“

Sie fügte jedoch hinzu, dass die Studie nicht speziell zur Bewertung von Ketamin bei therapieresistenter PTBS angelegt war. „Einige Patienten hatten bereits mehrere erfolglose Behandlungen hinter sich, während andere noch nie behandelt worden waren. Die Wirksamkeit bei therapieresistenter PTBS ist eine wichtige Frage für zukünftige Untersuchungen“, sagte Feder.

 
Die Ergebnisse in dieser Patientenpopulation zeigen insgesamt, dass wiederholte Ketamin-Infusionen über 2 Wochen mit einer deutlichen, klinisch signifikanten Verbesserung der PTBS-Symptomatik verbunden sind. Dr. Adriana Feder und Kollegen
 

Weitere Bereiche, die es wert seien, in Zukunft erforscht zu werden, wären die Wirksamkeit der Behandlung bei Patienten mit verschiedenen Traumaformen und die Frage, ob die Ergebnisse bei Patienten, die Ketamin plus Psychotherapie erhalten, länger anhielten, merkte sie an.

„Ich möchte nicht die Tatsache ignorieren, dass die derzeit verfügbaren Behandlungen bei einer Reihe von Menschen mit chronischer PTBS funktionieren. Da es aber noch viel mehr Menschen gibt, bei denen diese Behandlungen nicht oder nicht ausreichend helfen, ist dies sicherlich ein potenziell sehr vielversprechender Ansatz, der in das Behandlungsrepertoire eines Klinikers aufgenommen werden kann“, sagt Feder.

Spricht für klinische Nützlichkeit

Dr. Gerard Sanacora, Psychiater an der Yale University School of Medicine in New Haven, Connecticut, bezeichnet die Studie in einem Kommentar für Medscape als „sehr solide und gut konzipiert“. „Sie knüpft zweifellos an den in der Vergangenheit erhobenen Ergebnissen an. Es sind wichtige Daten, die für den klinischen Nutzen dieser Behandlung bei der PTBS sprechen“, so Sanacora weiter, der auch Direktor des Yale Depression Research Program ist und nicht an der aktuellen Studie beteiligt war.

Er teilte die Einschätzung der Untersucher, dass die PTBS ein schwer zu behandelnder Zustand sei. „Auf diesem Gebiet herrscht ein großer Mangel an Therapieoptionen. Darüber hinaus besteht mit der zunehmenden Verbreitung von Ketamin auch eine steigende Nachfrage nach Off-Label-Anwendungen. Nach dieser Untersuchung scheint ja tatsächlich die Chance zu bestehen, dass es wirkt“, sagt Sanacora.

Es handele sich zwar um eine kleine Studie, weshalb weitere Untersuchungen mit einer größeren Population erforderlich seien, doch biete sie eine überzeugende Basis, auf der man aufbauen könne.

 
Ich halte die Daten schon für sehr überzeugend. Dr. Gerard Sanacora
 

„Die Studie liefert klare Evidenzen, auf die sich eine größere Studie berufen kann, um zu einer definitiven Aussage über die Wirksamkeit und Sicherheit des Ketamin-Einsatzes bei einer chronischen PTBS zu kommen. Sie hat zwar nach meiner Auffassung noch keine ausreichende Beweiskraft, doch liefert sie klare Hinweise in diese Richtung und liefert so auch starke Argumente für eine groß angelegte Untersuchung zu dieser Frage“, sagt Sanacora.

Er habe in der Vergangenheit häufig den Begriff „vorsichtig optimistisch“ verwendet, wenn es um die Schlussfolgerungen aus Studien ging, doch diese Studie ließe ihn zu der Frage nach der Wirksamkeit von Ketamin bei der PTBS „wirklich optimistisch“ sein.

„Wir brauchen noch einige weitere Daten, um uns wirklich davon zu überzeugen, bevor wir mit größerer Sicherheit sagen können, dass der Ansatz wirksam und sicher ist, aber ich halte die Daten schon für sehr überzeugend“, schloss Sanacora.

Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

 

Kommentar

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