DIN-Standard für die häusliche 24-Stunden-Betreuung: Pflegefachliche Begleitung für Betreuer

Christian Beneker

Interessenkonflikte

5. Februar 2021

Das Dunkelfeld ist riesig. Experten schätzen, dass rund 90% der rund 600.000 sogenannten 24-Stunden-Betreuungspflegekräfte aus dem Ausland schwarz in deutschen Haushalten bei der Versorgung von Senioren arbeiten, oft für wenig Geld und unter schlechten Bedingungen.

Um dieses Dunkelfeld aufzuhellen, hat ein 14-köpfiges Gremium einen DIN-Standard für die „Rund-um-die-Uhr-Betreuung“ geschaffen, den DIN SPEC 33454 „Betreuung unterstützungsbedürftiger Menschen durch im Haushalt wohnende Betreuungskräfte aus dem Ausland – Anforderungen an Vermittler, Dienstleistungserbringer und Betreuungskräfte“.

Der Standard soll den Vermittlern, den Kunden und den Arbeitgebern jenseits der Grenzen und natürlich den Betreuungspersonen selbst Orientierung geben. Vermittler und ihre ausländischen Kooperationspartner, die nach dem Standard arbeiten wollen, müssen ihre Kunden mehr aufklären und gründlicher beraten, etwa über den Leistungsumfang und die Grenzen der Betreuung.

Vor allem fordert der Standard DIN SPEC 33454 eine pflegefachliche Begleitung der Betreuungspersonen. Die Betreuerinnen, die in der Regel nicht ausgebildet sind, sollen nach dem neuen Standard über spezifisches Grundwissen verfügen und zum Beispiel auch Erste-Hilfe-Maßnahmen beherrschen.

Den Betreuungskräften wird eine angemessene Unterkunft zugesichert mit eigenem Zimmer und der Benutzung von Küche und Bad des Haushalts. Eine WLAN-Verbindung soll den Kontakt in die Heimat ermöglichen.

Ist das Angebot legal? Stimmt die Qualität?

Man habe in der Vermittlung ausländischer Betreuungskräfte „ein großes Transparenzproblem“, erklärt Oliver Weiß zu Medscape. Er ist Geschäftsführer der Stuttgarter Vermittlungsagentur „mecasa“ und Mitglied des Gremiums, das den DIN-Standard entwickelt hat.

Den gut gemachten Websites von Vermittlungsagenturen hierzulande sei oft nicht anzusehen, ob und welche Standards in der Vermittlung eingehalten werden. „Die Kunden können zum Beispiel nicht erkennen, ob das Angebot zuverlässig ist, ob es legal ist und ob die Qualität stimmt“, sagt Weiß.

Auch würden die Kosten oft verschleiert. Oft stehe nur im Kleingedruckten des Vertrages, dass die Kunden über die vereinbarte Summe für die Betreuung hinaus zum Beispiel noch Fahrtgeld zahlen müssen.

 
Die Pflegebedürftigen wissen nicht, wen sie sich da einkaufen und wie die Qualität der Betreuung ist. Prof. Dr. Stefan Görres
 

So ist die Bezahlung der Betreuungskräfte derzeit ein Buch mit sieben Siegeln. Nicht für Betreuerinnen, die über die offiziellen Kanäle nach Deutschland vermittelt werden. „Denn sobald sie die Grenze überschreiten, gilt für sie der Mindestlohn von 9,50 Euro pro Stunde“, sagt Weiß.

Bei selbstständig arbeitenden Betreuerinnen ist das anders, sie sind nicht an den Mindestlohn gebunden. Man darf davon ausgehen, dass ihre Bezahlung deutlich unter dem Mindestlohn-Tarif liegt, ebenso wie bei Vermittlern, die Betreuerinnen illegal in Deutschland arbeiten lassen.

Nicht nur die Kunden haben zu kämpfen, auch die Betreuungspersonen selbst. Denn es sind keine examinierten Fachkräfte, die über die Grenzen nach Deutschland strömen, sondern so genannte informelle Betreuungskräfte, die meistens über keine fachliche Ausbildung verfügen.

„So wissen sie oft nicht, welche Aufgaben eigentlich auf sie zukommen“, sagt Weiß. Sie würden teilweise menschenunwürdig behandelt und die betreuungsbedürftigen Menschen seien oft „dem Risiko unkundiger Betreuung und Behandlungen sowie teils gar Misshandlungen ausgesetzt“, so der DIN-Verbraucherrat in einer Pressemitteilung.

Der Bremer Pflegewissenschaftler Prof. Dr. Stefan Görres macht darauf aufmerksam, wie wichtig und versorgungsrelevant die vielen Betreuungspersonen aus dem Ausland sind. „Da ist ein Markt entstanden, den wir dringend brauchen“, sagt Görres zu Medscape.

„Aber die Pflegebedürftigen wissen nicht, wen sie sich da einkaufen und wie die Qualität der Betreuung ist.“ Durch die Standardisierung erkennen die Betreuungsbedürftigen und ihre Familien eher, was auf sie zukommt. Zudem werde Lohndumping bekämpft, meint Görres.

Pflegekammer ist eher pessimistisch

Auch die Bundespflegekammer begrüßt die DIN-Standardisierung. „Aber ich würde davon nicht erwarten, dass sie dadurch bald etwas ändert“, so Patricia Drube, Sprecherin der Bundespflegekammer und Präsidentin der Pflegekammer Schleswig-Holstein, zu Medscape. Letztlich werde die Regulierung der 24-Stunden-Pflege das Problem nicht lösen.

Drube pocht deshalb auf eine große Systemänderung in der Pflegefinanzierung, um die illegalen Arbeitsverhältnisse zu beenden. „In Deutschland fließt im Vergleich zu vielen anderen Ländern mit rund 1% ein viel zu kleiner Teil des Bruttoinlandsproduktes in die Pflege“, so Drube. „In Skandinavischen Ländern liegt man bei 4% oder 5%! Da darf man sich in Deutschland nichts vormachen.“

Das Deutsche Institut für Normierung (DIN) ist eine unabhängige Plattform für Normierung und Standardisierung in Deutschland und weltweit. Es schafft Standards und Normen – von der Grillkohle bis zur Quantentechnik. Das Bundesjustiz- und Verbraucherschutzministerium unterstützt den DIN Verbraucherrat.

 
In Deutschland fließt im Vergleich zu vielen anderen Ländern mit rund 1% ein viel zu kleiner Teil des Bruttoinlandsproduktes in die Pflege. Patricia Drube
 

Den Standard DIN SPEC 33454 zur 24-Stunden-Pflege hat eine 14-köpfige Arbeitsgruppe aus Vertreterinnen und Vertretern der Pflegewissenschaft, Juristen, Anbietern oder Verbraucherschützern anderthalb Jahre lang beraten. Zukünftig könnte der DIN-Standard zur Norm und damit verbindlicher werden, hieß es.
 

Kommentar

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