Die effektivsten Strategien gegen Krebs sind dessen Prävention und Früherkennung. „Durch diese beiden Faktoren ist eine Reduktion der Krebssterblichkeit zu erreichen – um 50 bis 75%“, sagte Prof. Dr. Michael Baumann, Vorstandvorsitzender des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg, bei einer Veranstaltung im Vorfeld des Weltkrebstages, am 4. Februar. Mehr als jede 3. Krebserkrankung (37%) ist durch vermeidbare Risikofaktoren verursacht, wie Untersuchungen des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg zeigten (wie Medscape berichtete).
Eine Ursache: Infektionen. „Jede 5. Krebserkrankung steht in Zusammenhang mit einer Infektion. Auslöser können Viren, Bakterien oder auch Parasiten sein“, erklärte Baumann. So ist schon lange bekannt, dass Humane Papillomviren (HPV) mit Zervixkarzinomen assoziiert sind. Inzwischen weiß man, dass sie auch mit Oropharynx-, Penis- und Analkarzinomen in Zusammenhang stehen.

Prof. Dr. Ralf Bartenschlager
Eine weitere Ursache: Chronische Entzündungen. „Auch chronische Entzündungen können zu vielen Krebserkrankungen führen“, sagte Baumann. Wie hoch der Anteil bei einzelnen Krebsarten ist, wisse man noch nicht genau, aber bei vielen Krebsarten – wie Leberkrebs, Darmkrebs oder Brustkrebs – ist eine chronische Entzündung an der Tumorentstehung beteiligt. Auslöser für diese Entzündungen gibt es viele: ungesunde Ernährung, Übergewicht, toxische Substanzen wie Alkohol, Störungen des Mikrobioms oder auch Infektionen – etwa mit Hepatitis-Viren, die über chronische Entzündungen mit Leberkrebs assoziiert sind.
8 krebsrelevante Viren beim Menschen
„Nach Tabakkonsum und Übergewicht bzw. Fehlernährung stehen Pathogene an 3. Stelle der Krebsrisikofaktoren. Die wichtigsten Infektionserreger im Zusammenhang mit Krebs beim Menschen sind Viren“, erklärte Prof. Dr. Ralf Bartenschlager, Leiter der Abteilung Virus-assoziierte Karzinogenese am DKFZ und der Abteilung Molekulare Virologie des Uniklinikums Heidelberg. Bisher sind 8 Viren im Zusammenhang mit Krebs beim Menschen bekannt:
Eppstein-Barr-Virus (EBV): Magenkrebs, Hodgkin- und bestimmte Non-Hodgkin-Lymphome, Nasopharynx-Karzinome
Hepatitis-B-Virus (HBV) und Hepatitis-C-Virus (HCV): hepatozelluläre Karzinome
Humanes Herpes Virus Typ 8 (HHV-8): Karposi-Sarkom und bestimmte Lymphom-Formen
HIV: Karposi-Sarkom und Non-Hodgkin-Lymphom
HPV: Zervixkarzinom, Krebs im Anogenital-, Kopf-, Hals- und Oralbereich
Humanes T-lymphotropes Virus Typ 1 (HTLV-1): T-Zell-Leukämie und Lymphome
Merkelzell-Polyomavirus (MCV): Merkelzellkarzinom
„Voraussetzung für die Krebsentstehung durch solche Viren ist die persistente, lebenslange Infektion“, betonte Bartenschlager. Der „Vorteil“ bei Viren: Man kenne den Hauptrisikofaktor, dadurch kenne man das Angriffsziel. „Eliminiert oder kontrolliert man das Pathogen, eliminiert man automatisch einen Hauptrisikofaktor für die Krebsentstehung.“
Humane Papillomviren – die Crux mit der niedrigen Impfquote
Bekanntlich kann eine akute Infektion der Basalzellen von Haut und Schleimhäuten mit HPV zur Warzenbildung sowie zur Freisetzung von Viren führen und damit zur Krebsvorstufe CIN1 des Zervixkarzinoms. Doch erst die persistente Infektion mit HPV kann zu fortgeschrittenen Krebsvorstufen CIN2 und CIN3 und schließlich zum Zervixkarzinom führen, erklärte Bartenschlager. Dies dauert allerdings Jahre. Während man eine akute HPV-Infektion bei weltweit 60 bis 80% der Frauen finde, entwickelt sich Gebärmutterhalskrebs „nur“ bei 0,2 bis 2% der Frauen weltweit, sagte der Virologe.
Beim Zervixkarzinom stehen praktisch alle Krebsfälle mit einer HPV-Infektion in Zusammenhang. Auch beim Analkarzinom sind die meisten Krebsfälle mit einer HPV-Infektion assoziiert, bei Oropharynx-, Vagina- und Peniskarzinomen ist der Anteil geringer, so Bartenschlager.
Ein Zervixkarzinom kann man bekanntlich auf 2 Wegen verhindern (denn eine Kausaltherapie der Infektion ist nicht möglich): indem man die Krebsvorstufen erkennt und behandelt oder indem man die Infektion durch eine Impfung verhindert – „was der beste Weg der Krebsprävention ist“, betonte der Experte.
Baumann verwies auf die am DKFZ durch Prof. Dr. Harald zur Hausen entwickelte HPV-Impfung. Allerdings gebe es Probleme bei der populationsbasierten Implementierung von Impfungen, so Baumann. „Wir haben gelernt, dass die HPV-Impfung nicht so einfach einzuführen ist.“ So liegt die HPV-Impfquote bei 15-jährigen Mädchen in Deutschland nur bei 43% (2018; 18-Jährige ca. 50%). Die Impfempfehlung für Mädchen gibt es seit 2007, seit 2018 auch für Jungen.
Im Gegensatz zu Deutschland seien in vielen Ländern die Impfquoten wesentlich höher, berichtete Baumann: So sind in Ruanda 99% der 12- bis 15-jährigen Mädchen geimpft (seit 2014 dort verpflichtende Impfung), aber auch in vielen Staaten ohne Impfpflicht seien die Impfquoten höher, „denn dort finden Impfungen meist in Schulen statt“: In Großbritannien sind 86% der 15-Jährigen geimpft (2017), in Norwegen 81% der 16-Jährigen (2016), in Australien 80% der 15-Jährigen (2017) und in den USA 55% der 15-Jährigen (2018).
Die konsequente Impfung sei die beste Möglichkeit, um einen HPV-bedingten Tumor zu verhindern, so Bartenschlager. Allerdings treten von den rund 500.000 Fällen von Gebärmutterhalskrebs jährlich 80% in Entwicklungsländern auf. Dort sind Impfprogramme mit gekühlten Impfstoffen oft besonders schwierig.
Daher wurde am DKFZ eine rekombinante Vakzine gegen HPV entwickelt, die extrem stabil ist: PANHPVAX (Arbeitsgruppe Tumorvirus-spezifische Vakzinierungsstrategien, Prof. Dr. Martin Müller). Dieser Impfstoff ist bei 50 Grad Celsius mehrere Tage stabil, so dass ein Vertrieb ohne Kühlkette möglich wäre – „ein idealer Impfstoffkandidat für ärmere Länder ohne ausreichende Infrastruktur“. Demnächst beginnt dazu eine Phase-1-Studie.
Hepatitis-Viren, chronische Entzündungen und Leberkrebs
Bisher sind 5 Hepatitis-Viren beim Menschen bekannt, 3 davon stehen in Zusammenhang mit Krebs, da sie eine chronische Infektion auslösen können.
Hepatitis-B-Virus (HBV): rund 257 Mio. Menschen weltweit chronisch infiziert (d.h. weltweit rund 2,5 Mrd. Infektionen, da 10% chronisch werden)
Hepatitis-C-Virus (HCV): ca. 71 Mio. chronisch Infizierte weltweit, 80% der Infektionen werden chronisch
Hepatitis-D-Virus (HDV), das nur in Ko-Infektion mit HBV vorkommt: ca. 10 bis 20 Mio. Virusträger weltweit.
Hepatitis-A- und Hepatitis-E-Viren lösen keine chronischen Infektionen aus.
„75% aller Leberkrebsfälle stehen in Zusammenhang mit einer Hepatitis-Virus-Infektion“, sagte Bartenschlager. Sind Leberzellen infiziert, kommt es zur Leberentzündung: „Aber nicht die Viren direkt lösen die Entzündung aus, sondern die Immunantwort gegen infizierte Zellen.“
Es kommt zu einem Untergang von Leberzellen, der Körper reagiert mit der Bildung von neuen Leberzellen, aber auch der Bildung von Bindegewebe – so dass schließlich eine Leberzirrhose entsteht, die tödlich verlaufen kann. Außerdem haben Patienten mit Zirrhose ein hohes Risiko für ein hepatozelluläres Karzinom (HCC).
„Eine chronische Leberentzündung, die über eine Infektion ausgelöst wird, ist letztlich sehr ähnlich einer chronischen Entzündung, die durch Toxine wie Alkohol oder eine Fehlernährung induziert wird. Und sie kann eine ähnliche Endstrecke auslösen: über Fettleber und Fibrose zu Krebs, manchmal ohne Zirrhose“, erklärte Bartenschlager.
HBV-Infektion: Selbstlimitierend oder chronisch
Die Infektion von Erwachsenen mit HBV verläuft fast immer akut selbstlimitierend, erläuterte er: Das Immunsystem wird aktiviert und bildet T- und B-Zellen, die die Infektion bekämpfen. Problematisch sind die seltenen chronische Infektionen: „HBV induziert aus Gründen, die wir noch nicht verstehen, bei 5 bis 10% der Erwachsenen nur einen sehr ungenügende Immunantwort, die die Viren nicht kontrollieren kann. Die T-Zellen werden immer ‚schlaffer‘, es kommt zu ‚Ermüdungserscheinungen‘ – zur T-Zell-Erschöpfung und zum T-Zell-Verlust.“ Die Immunantwort versagt, die Infektion wird chronisch, und es kommt zu einer „chronischen unproduktiven Entzündungsreaktion“.
Anders verlaufen Infektionen bei Säuglingen: 90% werden chronisch – „vermutlich, weil ihr Immunsystem noch unreif und noch nicht so gut trainiert ist“, so der Virologe. Es gibt eine HBV-Impfung seit 1982, die für Säuglinge (seit 1995) und nachträglich für Hochrisikogruppen empfohlen wird, z.B. Dialyse-Patienten und medizinisches Personal. Eine kurative Therapie ist nicht möglich, aber es gibt zahlreiche Virostatika, um die Viruslast zu reduzieren. Eine lebenslange Therapie verringert so das HCC-Risiko bei Patienten mit chronischer HBV-Infektion.
HDV-Infektion erhöht Risiko für Leberzirrhose und Leberkrebs
„HDV ist ein Satellitenvirus von HBV: Es kann keine Hülle herstellen, sondern ‚klaut‘ sie von HBV“, erklärte Bartenschlager. Schätzungsweise 10% der HBV-Infizierten sind mit HDV ko-infiziert – „wahrscheinlich sind es aber mehr“. HDV beschleunigt den Leberschaden und erhöht das Risiko für Leberzirrhose und Leberkrebs.
Die HBV-Impfung schützt auch gegen HDV, aber bis vor kurzem war keine Therapie verfügbar. Doch inzwischen wurde das erste Medikament (vorläufig) zugelassen: Bulevirtid, eine Entwicklung des Heidelberger Biochemikers Prof. Dr. Stephan Urban (wie Medscape berichtete). Die Substanz blockiert den Eintritt von HDV und HBV in die Zelle. Phase-3-Studien laufen noch. Derzeit werden auch Einsatzmöglichkeiten für Hepatitis B geprüft.
Hepatitis C: Nobelpreis, Therapie, aber keine Impfung
Die Entdecker des Hepatitis-C-Virus erhielten 2020 den Nobelpreis für Medizin (wie Medscape berichtete). Auch bei diesem Hepatitis-Virus verlaufen viele Infektionen chronisch (80%). Weltweit leben geschätzt 71 Mio. chronisch mit HCV Infizierte.
Seit 2015 gibt es Therapien, die zur Virus-Elimination bei mehr als 95% der Behandelten führen. Die Substanzen sind gut verträglich, sorgen für ein anhaltendes virologisches Ansprechen (SVR) – und die Therapie dauert nur 12 Wochen. An der „mehr als 2 Jahrzehnten langen mühsamen Arbeit“ bis zur Entwicklung der Substanzen war Bartenschlager entscheidend beteiligt.
Die HCV-Elimination reduziert die Entstehung von Leberkrebs. Allerdings bleibt das HCC-Risiko hoch, wenn zu spät behandelt wird – wenn schon eine Zirrhose vorliegt, betonte Bartenschlager. Trotz der Therapiemöglichkeiten sei noch eine Impfung gegen HCV nötig. Dafür gebe es mehrere Gründe:
hoher Anteil an undiagnostizierten Infektionen (weltweit geschätzt < 5% diagnostiziert),
hohe Zahl an Neuinfektionen (2015: ca. 1,75 Mio. neue HCV-Infektionen weltweit – so viele wie geheilt werden),
Zugang zu Diagnostik und Therapie für die > 90% weniger Privilegierten nötig,
HCC-Risiko verbleibt bei Patienten mit fortgeschrittener Lebererkrankungen (point of no return),
Therapieversagen auf Grund von Resistenzen (allerdings sehr selten),
Reinfektion nach erfolgreicher Viruselimination.
Das Ziel der WHO ist eine Reduktion der HCV-Infektionen um 90% bis 2030. Bartenschlager ist skeptisch: Für ihn ist die globale Eradikation von HCV ohne Impfung fraglich. Derzeit werde auch in Heidelberg an einer HCV-Vakzine gearbeitet. „Das Haupthindernis ist die hohe genomische Variabilität. HCV ist viel variabler als SARS-CoV-2: Pro Tag produziert ein Patient 1012 Varianten.“ Außerdem seien wichtige Epitope für neutralisierende Antikörper im Innern des Virus verborgen.
Mögliche Ansätze, um trotzdem einen HCV-Impfstoff zu entwickeln, sind z.B. multiple Antigene von verschiedenen HCV-Genotypen, um so die Variabilität zu überwinden. „Und wir können auch lernen von der Corona-Pandemie, denn mRNA-Impfstoffe können eine gute Antikörper-Antwort auslösen. Sie sind leicht skalierbar und kombinierbar“, so der Virologe.
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Diesen Artikel so zitieren: Weltkrebstag: Krebsrisiko durch Viren und wie es sich minimieren lässt - Medscape - 4. Feb 2021.
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