Bisher gibt es gerade mal 10 digitale Anwendungen, die auf Kosten der Krankenkassen als „App auf Rezept“ verschrieben werden können. Sie sollen gegen Kniearthrose wirken, gegen Adipositas oder Migräne. Diese sogenannten Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) sind beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gelistet.
Seit dem Start des DiGA-Aufnahmeportals liegen beim BfArM 53 Anträge zur Aufnahme in die Liste vor, 35 davon zur vorläufigen Aufnahme und 18 zur dauerhaften Aufnahme.
Nun hat der GKV-Spitzenverband (GKV-SV) ein Positionspapier verfasst, weil er mit wesentlichen Teilen des Versorgungsprozesses mit den Apps nicht einverstanden ist [1]. Ziel der Kritik ist das Gesetz zur digitalen Modernisierung von Versorgung und Pflege (DVPMG), dessen Kabinettsentwurf seit eine Woche vorliegt und das unter anderem die Einzelheiten zu den DiGAS regeln soll. Vor allem sind dem GKV-SV die Apps zu teuer. Außerdem sehen die Kassen Probleme bei den Zulassungskriterien.“
Kassen fordern ein Höchstpreismodell
Ähnlich wie die Pharma-Hersteller beim Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) von 2011 dürfen auch die Hersteller der DiGAs die Preise für die Apps im ersten Jahr frei festlegen. Im Positionspapier kritisiert denn auch die „exzessive Preisstrategie der Hersteller“ (…) „mit Preissteigerungen um 400 bis 500 Prozent für DiGA in der Regelversorgung im Vergleich zu den bisherigen Kosten im Selbstzahlermarkt.“ Das Papier fordert, die freie Preisbildung abzuschaffen und favorisiert ein „Höchstpreis-Modell, das verbindlich von Tag eins der Erstattung gilt“.
„Die Hersteller können enorme Preise aufrufen, und wir wissen noch nicht einmal, was die Apps bringen werden“, erläutert auch Matti von Harten von der AOK Bremen/ Bremerhaven.
Sebastian Vorberg, Vorstandsprecher des Bundesverbandes Internetmedizin (BiM), kontert: „Die Forderung des GKV-SV wundert mich nicht, der will natürlich im Hinblick auf die Preisverhandlungen Stimmung machen.“ Tatsächlich beginnen derzeit die Verhandlungen um die Preise, die in einem Jahr für die DiGAS aufgerufen werden sollen. Die Zahl der verordneten DiGAs sei derzeit aber so gering, dass sich die Kassen keine Sorgen um die Finanzierung machen müssten, sagt Vorberg zu Medscape: „Kein Hersteller verdient bisher damit Geld. Ich halte das Papier der Kassen für Geklapper. Sie wollen ihre Verhandlungsposition stärken.“
Abgesehen davon hätten die Kassen „keine Ahnung, wie teuer digitale Anwendungen wirklich sind“, so Vorberg. Bei dem großen Aufwand, den die Hersteller trieben, seien 600 Euro für eine DiGA pro Quartal „mehr als gerechtfertigt“, sagt der Branchenvertreter. Auf der einen Seite würden die Kassen funktionierende Medizin verlangen, und auf der anderen Seite halten sie die Anwendungen für Spielerei, kritisiert Vorberg: „Wenn die Stückkosten später sinken, brauchen wir auch keine so hohen Preise mehr.“
Verwässerte Kriterien?
Auch das sogenannte Fast-Track-Verfahren der Bewerberprüfung innerhalb von 3 Monaten stößt auf die Kritik der Kassen. Danach müssen die Apps entweder einen medizinischen Nutzen nachweisen, um erstattet zu werden, oder eine patientenrelevante Verfahrens- und Strukturverbesserung. Für den GKV-SV ist letzteres Kriterium eine „Verwässerung“. Der Kassenverband besteht auf den medizinischen Nutzen der neuen digitalen Anwendung, der mindestens ebenso hoch sein muss wie die bisherige Versorgung.
Das BfArM habe sich die Zulassungskriterien nicht ausgedacht, betont BfArM-Sprecher Maik Pommer gegenüber Medscape. Zwar obliege dem BfArM die Prüfung der Apps, „aber die Kriterien sind von einer Rechtsverordnung festgelegt“, sagt Pommer.
Um den zukünftigen Nutzern gerecht zu werden, müsse eine App zudem die unterschiedliche digitale Gesundheitskompetenz der Anwender berücksichtigen – ebenso wie die Datensicherheit und die Verfügbarkeit der Apps in der elektronischen Patientenakte. „Medienbrüche und fehlenden Interoperabilität auf Hard- und Softwareebene müssen daher unbedingt vermieden werden“, so die Krankenkassen.
Auch die Distribution müsse nachgebessert werden, heißt es in dem Positionspapier. „Die Art und Weise, wie eine DiGA auf das Smartphone oder das Endgerät der Versicherten kommt, soll qualitätsgesichert und datenschutzkonform organisiert und geprüft werden.“
Die Kassen fühlen sich überfahren
Was die Kassen aber womöglich besonders ärgert: Dass das BfArM als neuer Player in der Selbstverwaltung auftritt. Damit werde der gemeinsamen und sozialen Selbstverwaltung die Ausgestaltung des Leistungskataloges entzogen und dem BfArM übertragen, einer obersten Bundesbehörde, kritisiert das Kassen-Papier. Dieser Schritt müsse rückgängig gemacht werden, fordert der Kassenverband denn auch. „Die Anforderungen an Nutzen, Qualität und Wirtschaftlichkeit von DiGA dürfen sich nicht grundsätzlich von den Anforderungen an andere Leistungen in der GKV unterscheiden. Dieses Prinzip wird aktuell nicht gewahrt“, so das Positionspapier.
Offenbar fühlen sich die Krankenkassen überfahren von dem Tempo der DiGA-Einführung. Bei den Kassen sind alte Strukturen so festgefahren, dass Änderungen wie die Digitalisierung nur sehr langsam von statten gehen, sagt ein Kasseninsider zu Medscape. „Manche Kasse hat schon Schwierigkeiten, wenn sie digitale Rechnungen verarbeiten sollen.“
Medscape Nachrichten © 2021
Diesen Artikel so zitieren: Positionspapier des GKV-SV: Digitale Apps zu teuer, Probleme bei Zulassungskriterien - Medscape - 2. Feb 2021.
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