Internationaler Aufruf kardiologischer Fachgesellschaften: Luftverschmutzung reduzieren!

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

1. Februar 2021

Die Aufmerksamkeit der Welt liegt auf COVID-19. Dass auch in der Pandemie die Folgen der Luftverschmutzung nicht aus dem Blick verloren werden dürfen, daran erinnern jetzt internationale kardiologische Fachgesellschaften: die World Heart Federation (WHF), das American College of Cardiology (ACC), die American Heart Association (AHA) und die European Society of Cardiology (ESC). In einer gemeinsamen Erklärung drängen sie auf Maßnahmen zur Luftreinhaltung.

 
COVID-19 hat nun einen neuen, tödlichen Faktor in die Gleichung eingebracht, und es ist an der Zeit, Maßnahmen zu ergreifen. Prof. Dr. Michael Brauer
 

Luftverschmutzung ist nicht nur ein wichtiger Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und trägt wesentlich zur globalen Krankheitslast bei – sie wird auch mit einem erhöhten Risiko, an COVID-19 zu sterben, in Verbindung gebracht, schreiben Prof. Dr. Michael Brauer von der University of British Columbia, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Luftverschmutzung bei der WHF, und seine Kollegen in ihrem Beitrag in Global Heart  [1].

Luftverschmutzung verändere die Abwehrmechanismen der Atemwege und könne so die Infektion verschlimmern. Häufigeres Husten aufgrund vermehrter Schadstoffpartikel in der Luft könne auch die Übertragung der Infektion fördern.

2019 waren schätzungsweise 6,7 Millionen Todesfälle (12% aller Todesfälle) weltweit auf Luftverschmutzung zurückzuführen, die Hälfte davon entfielen auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen, heißt es in der gemeinsamen Erklärung. „Schon vor der COVID-19-Pandemie hat die Luftverschmutzung aufgrund ihrer Auswirkungen auf die Gesundheit zu wachsender Besorgnis geführt – obwohl sie als Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen häufig übersehen wurde. COVID-19 hat nun einen neuen, tödlichen Faktor in die Gleichung eingebracht, und es ist an der Zeit, Maßnahmen zu ergreifen“, erklärt Brauer.

 
Wir schätzen, dass die Luftverschmutzung die mittlere Lebenserwartung in Europa um etwa 2,2 Jahre reduziert. Prof. Dr. Thomas Münzel und Kollegen
 

Die Autoren erinnern daran, dass 7 Milliarden Menschen (92% der Weltbevölkerung) in Gebieten leben, in denen der von der WHO festgelegte Richtwert für Luftqualität für Partikel der Größe PM 2,5 überschritten wird, und 3,6 Milliarden Menschen (47% der Weltbevölkerung) Luftverschmutzung in Haushalten durch offene Feuerstellen ausgesetzt sind.

Neuere Untersuchungen zeigen auch, dass Luftverschmutzung die kardiovaskuläre Gesundheit selbst bei sehr niedrigen Werten unterhalb der aktuellen WHO-Richtlinien beeinträchtigt. Auch nimmt durch den Klimawandel die Schwere von Waldbränden zu und verursacht aufgrund der starken Rauchentwicklung ebenfalls gesundheitliche Folgen für die Menschen, die in den Ballungsräumen leben.

 
Luftverschmutzung ist eine der am meisten unterschätzten Ursachen für Herzerkrankungen und Schlaganfälle. Prof. Dr. Stephan Achenbach
 

Dass die Krankheitslast durch Luftverschmutzung auch in Europa höher ist als angenommen, konnte ein Wissenschaftlerteam um Prof. Dr. Thomas Münzel, Direktor des Zentrums für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz, und Prof. Dr. Jos Lelieveld, Direktor des MPI für Chemie, vor knapp 2 Jahren nachweisen. Allein in Europa sterben demnach jährlich knapp 800.000 Menschen vorzeitig an den Folgen von Luftverschmutzung.

Der größte Anteil der Todesfälle geht dabei auf verengte Koronargefäße (40%) und Schlaganfälle (8%) zurück. Todesfälle durch Lungenkrebs, Lungenentzündungen und chronisch obstruktive Atemwegserkrankungen machen zusammen ungefähr 20% aus. „Wir schätzen, dass die Luftverschmutzung die mittlere Lebenserwartung in Europa um etwa 2,2 Jahre reduziert“, schreiben Münzel und seine Kollegen.

„Luftverschmutzung ist eine der am meisten unterschätzten Ursachen für Herzerkrankungen und Schlaganfälle“, erinnert auch Prof. Dr. Stephan Achenbach, Präsident der ESC.

„Kliniker haben die Verantwortung, ihre Patienten, ihre Kollegen und ihre Gemeinden im Allgemeinen über den Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und dem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufzuklären“, betont auch Dr. Richard Kovacs, Mitautor der Erklärung und Past-Präsident des ACC.  

„Schlechte Luftqualität kann die Gesundheit von Herz und Gehirn schädigen und wirkt sich unverhältnismäßig stark auf einkommensschwache und arme Gemeinden aus, die sich in der Nähe von Quellen der Luftverschmutzung befinden“, sagt Dr. Robert Harrington von der Stanford University, Past-Präsident der AHA und Mitautor der Erklärung. „Wir müssen Luftverschmutzung als globale Gemeinschaft angehen.“

AHA, ACC, ESC und WHF fordern deshalb in ihrer Erklärung:

  • für die Verringerung der Luftverschmutzung einzutreten, Forschung zur Luftqualität und deren Auswirkung auf die kardiovaskuläre Gesundheit auszuweiten und Maßnahmen zur Reduzierung der Luftverschmutzung;

  • Schutzmaßnahmen für Patienten zur Reduzierung der Exposition, wie z.B. Raumluft-Filtersysteme;

  • Luftverschmutzung in das Krankheitsmanagement zu integrieren, z.B. durch die Verwendung von Indizes zur Luftqualität;

  • Beteiligung an der Entwicklung von Leitlinien zur Auswirkung von Luftverschmutzung auf kardiovaskuläre Erkrankungen;

  • Unterstützung der Umweltministerien bei ihren Bemühungen um Schadensbegrenzung;

  • Aufklärung und Sensibilisierung für die Vorteile sauberer Luft auf Herz- und Kreislauf;

  • Zusammenarbeit mit politischen Entscheidungsträgern, um das Thema Herzerkrankungen, die durch Luftverschmutzung verursacht werden, in den Fokus zu rücken.

„Es ist dringend mehr Forschung erforderlich, um besonders vulnerable Gruppen zu identifizieren, um optimale Methoden zur Verbesserung der Luftqualität zu bestimmen und die kardiovaskuläre Gesundheit zu fördern. Luftverschmutzung muss als wichtiger modifizierbarer Risikofaktor in der Prävention und Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen anerkannt werden“, betont Achenbach und fügt hinzu, dass dringend Maßnahmen erforderlich seien, „um ihren schädlichen kurz- und langfristigen Einfluss auf die kardiovaskuläre Gesundheit, möglicherweise über Generationen hinweg, zu reduzieren.“

 
Luftverschmutzung muss als wichtiger modifizierbarer Risikofaktor in der Prävention und Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen anerkannt werden. Prof. Dr. Stephan Achenbach
 

Brauer und seine Mitautoren sehen trotz der Pandemie Grund zum Optimismus: „Die weitreichenden gesellschaftlichen Einschränkungen haben uns einen Eindruck davon vermittelt, was starke Maßnahmen zur Luftreinhaltung für unsere Zukunft bringen könnten. Die Dringlichkeit, die Luftverschmutzung zu bekämpfen, wird also nicht geringer, sondern im Zusammenhang mit der Pandemie eher größer.“

 

Kommentar

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