Anhaltende Heiserkeit und ständiges Räuspern: Placebo wirkt genauso gut wie PPI

Antje Sieb

Interessenkonflikte

28. Januar 2021

Anhaltende Heiserkeit, ständiges Räuspern oder ein Globusgefühl im Hals sind häufige Symptome, mit denen Patienten ihren Hals-Nasen-Ohrenarzt aufsuchen. Britische Mediziner um den Hals-Nasen-Ohren-Spezialisten Dr. James O’Hara vom Freeman Hospital in Newcastle upon Tyne haben solche Patienten in einer randomisiert kontrollierten Doppelblindstudie mit dem Protonenpumpenhemmer (PPI) Lansoprazol oder Placebo behandelt. Die Studie veröffentlichten sie im BMJ [1].

Das Ergebnis nach 16 Wochen: Ob das Medikament oder nur ein Placebo in den Kapseln war, machte keinen Unterschied. „Das Ergebnis ist so klar, wie es klarer kaum sein könnte“, sagt dazu der Siegener Gastroenterologe Prof. Dr. Joachim Labenz im Gespräch mit Medscape. Das sei auch nicht wirklich neu, aber „der Zusammenhang zum Reflux muss raus aus den Köpfen der Menschen.“

 
Das Ergebnis ist so klar, wie es klarer kaum sein könnte. Prof. Dr. Joachim Labenz
 

Denn auch wenn die genannten Symptome medizinisch oft unter dem Begriff Reflux-Laryngitis subsummiert würden – das dürfe nicht automatisch zu der Annahme führen, dass eine Refluxerkrankung sie verursache, sagt der Siegener Mediziner: „Der Begriff ist irreführend, aber es ist nichts schwieriger, als Begriffe in der Medizin zu eliminieren.“

Die automatische Vermutung eines Kausalzusammenhangs zwischen den Symptomen im Hals und einer Refluxerkrankung sei aber immer noch weit verbreitet, und Protonenpumpenhemmer würden häufig verschrieben.

Protonenpumpenhemmer weit verbreitet

Dies beobachteten auch die britischen Mediziner und wollten mit ihrer Studie klären, wie viel die in Großbritannien und laut Labenz auch in Deutschland häufig eingesetzte Behandlungsmethode bringt. Sie rekrutierten an 8 Standorten (in Newcastle upon Tyne und anderen britischen Kliniken) insgesamt 346 Patienten für ihre Studie, die seit mindestens 6 Wochen unter Heiserkeit, einem Globusgefühl oder ähnlichen starken Hals- oder Rachenbeschwerden ungeklärter Ursache litten.

Mithilfe des Reflux Symptom Index Score wurden die vorliegenden Symptome zu Beginn und Ende der Studie bewertet, um eine Veränderung einschätzen zu können. Die Hälfte der Teilnehmer erhielt über insgesamt 16 Wochen zweimal täglich 30 mg des Protonenpumpeninhibitors (PPI) Lansoprazol, die andere Hälfte ein Placebo.

Beide Gruppen erreichten nach 16 Wochen eine Verbesserung des Reflux Symptom Index Scores. Unter PPI verbesserte sich der Score von durchschnittlich 22 auf 17,4 Punkte, unter Placebo von 21,7 auf 15,6 Punkte. Auch bei einer weiteren Kontrolle nach 12 Monaten zeigte sich kein Vorteil von Lansoprazol gegenüber Placebo.

 
Wir schreiben eine neue Leitlinie zur Refluxerkrankung und haben da auch nochmal festgelegt, dass das keine vernünftige Lösung ist. Prof. Dr. Joachim Labenz
 

Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass Leitlinien von dieser gängigen Praxis abraten sollten, die Beschwerden mit PPI zu behandeln, da dies das Problem der Polypharmazie sowie eventueller Neben- und Wechselwirkungen verstärken könne, ohne irgendwelchen Nutzen für die Patienten zu haben.

Labenz befürchtet zwar nicht unbedingt Nebenwirkungen, in der derzeit zur Aktualisierung anstehenden Leitlinie soll das Thema aber auch erwähnt werden: „Wir schreiben eine neue Leitlinie zur Refluxerkrankung und haben da auch nochmal festgelegt, dass das keine vernünftige Lösung ist.“

Therapie führt in die falsche Richtung?

Denn, so der Mediziner, durch die Behandlung mit PPI setze sich in den Köpfen der Menschen auch der Eindruck fest, ihre Beschwerden seien vom Magen verursacht. Das sei nur mühsam wieder auszuräumen: „Oft habe ich Patienten hier, bei denen wir allergrößte Schwierigkeiten haben, ihnen das wieder auszureden. Dann müssen Sie aufwändige Messungen machen, um nachzuweisen, dass die Patienten nicht unter einer Refluxerkrankung leiden.“ Das könne in manchen Fällen sogar so weit gehen, dass unnötige Operationen vorgenommen würden, sagt Labenz.

Die tatsächliche Ursache der häufig vorkommenden Beschwerden sei allerdings nicht wirklich geklärt. Man gehe momentan unter anderem von einer Fehlfunktion bestimmter Rezeptoren aus, erklärt Labenz. Ein Reflux könne dabei manchmal auch eine Rolle spielen, sei aber meist nur ein Teil der Ursache.

 
Dass es ein rein Reflux-bedingtes Problem ist, das ist eine absolute Rarität. Im Regelfall handelt es sich um ein mehrdimensionales Problem. Prof. Dr. Joachim Labenz
 

„Dass es ein rein Reflux-bedingtes Problem ist, das ist eine absolute Rarität. Im Regelfall handelt es sich um ein mehrdimensionales Problem.“ Der Einsatz von PPI sei daher auch eine pragmatische Therapie für die oft nicht leicht zu behandelnden Beschwerden. „Wenn es dadurch besser wird, dann haben Sie diesem Menschen geholfen, auch wenn es nur auf einem Placebo-Effekt beruht. Das ist ein pragmatischer Ansatz. Aber bei den meisten wirkt es nicht.“

Auch die Autoren des Artikels betonen, dass die Symptome ihrer Patienten unter medikamentöser oder Placebo-Behandlung zwar zurückgegangen seien, aber kein normales Niveau erreicht hätten. Es gebe daher einen klaren Bedarf für besser wirksame Behandlungsalternativen. Sie nennen u.a. Lebensstiländerungen, Verhaltenstherapie und Stimmtraining als mögliche Ansätze, die erforscht werden könnten.

 

Kommentar

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