Fast schon seit Beginn der COVID-19-Pandemie wird über eine mögliche protektive Rolle einer Vitamin-D-Supplementation diskutiert. Auch im Blog der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) wurde das Thema bereits zweimal behandelt (18. und am 19. Mai 2020). Hier diskutiert der Endokrinologe PD Johannes W. Dietrich, Oberarzt am Universitätsklinikum Bergmannsheil, Klinikum der Ruhr-Universität in Bochum (UK RUB), die aktuelle Datenlage. Sein Kommentar erschien ursprünglich in der ersten Januarwoche in den Medizinischen Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie.
Hinweise aus Studien, dass ein Vitamin-D-Mangel mit einem erhöhten Risiko für einen schweren Verlauf von COVID-19 einhergeht, gibt es viele. Eine Meta-Analyse konnte kürzlich zeigen, dass bei schweren Verlaufsformen die Wahrscheinlichkeit für einen Vitamin-D-Mangel um 64% höher als bei leichten Verläufen war (Odds Ratio 1,64, 95%-Konfidenzintervall 1,30–2,09).
Eine insuffiziente Vitamin-D-Konzentration war umgekehrt mit einem erhöhten Risiko für Hospitalisierungen (OR 1,81, KI 1,41–2,21) und einer Übersterblichkeit assoziiert (OR 1,82, KI 1,06–2,58) [1].
Dennoch bleibt die Frage, ob hier wirklich eine Kausalität zugrunde liegt.
Es könnte ja durchaus sein, dass eine Verzerrung durch Confounder vorliegt, etwa weil multimorbide und bettlägerige Menschen häufig auch einen Vitamin-D-Mangel aufweisen, ihr Risiko aber wegen der Multimorbidität erhöht ist.
Außerdem konnte gezeigt werden, dass die 25-Hydroxy-Vitamin-D-Konzentration im Serum nach experimenteller Herbeiführung einer Entzündung durch Gabe bakterieller Lipopolysaccharide absinkt [2], so dass ein Mangel an Vitamin D möglicherweise nicht die Ursache, sondern die Folge der schweren Erkrankung darstellt. Daher wurden zu Recht interventionelle Studien zur Klärung eines möglichen Nutzens einer Vitamin-D-Therapie gefordert [3].
Die Studienlage
Diesen Anspruch wollen 2 kürzlich veröffentlichte Studien erfüllen, welche die Wirkung einer supplementativen Therapie mit Vitamin D auf den Verlauf von COVID-19 untersucht haben. Die randomisierte COVIDIOL-Studie hat 76 hospitalisierte Patientinnen und Patienten mit SARS-Cov-2-Infektion untersucht [4].
50 Personen erhielten am Aufnahmetage 0,532 mg Colecalciferol und je 0,266 mg an den Tagen 3 und 7 nach Aufnahme. Eine Kontrollgruppe erhielt kein Vitamin D. Beide Gruppen wurden ansonsten mit derselben Standardbehandlung, die u. a. Hydroxychloroquin und Azithromycin sowie ggf. Ceftriaxon umfasste, therapiert.
Von den 50 mit Vitamin D behandelten benötigte eine Person eine intensivmedizinische Therapie (2%), jedoch 13 der 26, die kein Vitamin D erhielten (50%). Durch eine Vitamin-D-Therapie sank die Odds Ratio für eine Intensivtherapie auf 0,02 (95%-Konfidenzbereich 0,002–0,17) ab. Nach Korrektur um Hypertonie und Diabetes mellitus Typ 2 lag die Odds Ratio mit 0,03 (0,003–0,25) nur unwesentlich höher. In der Colecalciferol-Gruppe gab es keinen Todesfall, jedoch 2 in der Kontrollgruppe.
Die 2. Studie verfolgte einen „quasi-experimentellen“ Ansatz [5]. Hierfür wurden 66 an COVID-19 erkrankte Bewohner eines französischen Pflegeheims untersucht. Zur Interventionsgruppe wurden diejenigen gezählt, die während der COVID-19-Erkrankung oder im Monat davor eine Colecalciferol-Supplementation erhielten, wie das in französischen Pflegeheimen übliche Praxis ist. Als Kontrollgruppe zählten die übrigen mit SARS-CoV-2 infizierten Bewohner. Ergebnis: 82,5% der 57 Senioren in der Therapiegruppe überlebten, aber nur 44,4% der 9 Personen in der Kontrollgruppe.
„Noch ist Vorsicht angebracht“
Mit den Ergebnissen der beiden Studien liegen erstmals Hinweise aus interventionellen Ansätzen vor, die eine mögliche Effektivität einer Vitamin-D-Supplementation für eine Verbesserung der Prognose von COVID-19 suggerieren. Diese Ergebnisse würden gut zu experimentellen Hinweisen passen, dass Vitamin D auch die Abwehr viraler Infekte unterstützt [3].
Allerdings ist noch Vorsicht angebracht.
Zum einen sind die Fallzahlen beider Studien sehr klein, so dass die statistische Belastbarkeit noch gering ist. Zum anderen muss eine Supplementation nicht automatisch hilfreich sein, denn von einer möglichen Überversorgung mit Vitamin D ist keine Verbesserung der Prognose zu erwarten.
So konnte eine Studie zeigen, dass es einen nichtlinearen U-förmigen Zusammenhang zwischen Vitamin-D-Versorgung und dem Risiko für eine diabetische autonome Neuropathie gibt. Letztere fand sich gehäuft sowohl bei niedrigen als auch hohen Vitamin-D-Konzentrationen [6]. Daher sind weitere Studien mit größeren Fallzahlen nötig, die auch sorgfältig auf die erreichten Serumkonzentrationen eingehen.
Medscape Nachrichten © 2021
Diesen Artikel so zitieren: Schützt Vitamin D vor schwerem COVID-19? Ist eine Supplementierung sinnvoll? 2 Interventionsstudien und was sie für die Praxis bedeuten - Medscape - 27. Jan 2021.
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