Gesetzentwurf: Palliativbetreuung ist mehr als Medizin – wo steht Deutschland?

Christian Beneker

Interessenkonflikte

20. Januar 2021

Eine gute Palliativversorgung entscheidet sich nicht nur an der Menge der eigens qualifizierten Ärzte und Pflegenden, am Einsatz von Opiaten bei sterbenden Krebspatienten oder der Anzahl der Fachärzte. Sondern auch – und vor allem – an der Kooperation der Versorger und ganz besonders an der Kooperation der Familienmitglieder, Vereine oder Arbeitskollegen der Sterbenden. Das meint jedenfalls der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP), Prof. Dr. Lukas Radbruch.

Nun hebt ein Gesetz, das inzwischen im Kabinettsentwurf vorliegt, die hohe Bedeutung der Koordination in der Palliativmedizin hervor – das Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG) [1]. Es sieht unter anderem Geld für Koordinatoren vor, die Hospiz- und Palliativ-Netzwerke unterstützen sollen.

Deutschland nur im Mittelfeld?

Vor anderthalb Jahren kam zum 2. Mal der Vergleich der Palliativversorgungen in 49 europäischen Ländern heraus: der Atlas der Palliativversorgung in Europa, veröffentlicht von der European Association for Palliative Care (EAPC). Laut Atlas erreicht Deutschland im Ranking der Palliativversorgung von Erwachsenen nur den 15. Platz.

Die EAPC hatte die Anzahl der spezialisierten Palliativdienste pro 100.000 Einwohner erhoben. Danach stehen Im EU-Durchschnitt pro Land 0,8 spezialisierte Palliativ-Dienste oder -Einrichtungen zur Verfügung, in Deutschland mit insgesamt 914 Einrichtungen und Diensten 1,1 pro 100.000 erwachsener Einwohner. An der Spitze liegen Österreich (2,2), Irland (1,9) und Luxemburg (1,8). Die EAPC empfiehlt einen Schnitt von 2 Diensten und Einrichtungen der Palliativmedizin für 100.000.

Außerdem fragte die Untersuchung auch nach den nationalen Strategien in den EU-Ländern, nach der Integration der Palliativmedizin in die nationalen Gesundheitssysteme oder die Integration der Onkologie und Kardiologie.

Radbruch stellt nun manche Kriterien des EU-Vergleichs in Frage. Er sieht Deutschland nicht im Mittelfeld. In einer Vorläuferversion des Atlas seien etwa der Stand der Versorgung und die Entwicklung getrennt betrachtet worden, erklärt Radbruch. „Da stand Deutschland besser da.“

Auch in anderen Vergleichen komme Deutschland besser weg. Bereits 2010 haben der Economist-Beratungsdienst und die Lien-Stiftung aus Singapur die Qualität des Lebensendes in einem größeren Rahmen verglichen und festgestellt: Unter 40 Ländern stand Deutschland auf Platz 6.

„Andere Untersuchungen fragen zum Beispiel nach Diensten, die rund um die Uhr für die Palliativpatienten bereitstehen“, berichtet Radbruch. „Da liegt dann Belgien weiter vorne als Deutschland, weil man hier nur alle Dienste zählte und dort alle Hausärzte mit palliativmedizinischem Grundkurs. So etwas verzerrt natürlich die Bewertung.“ 

 
Andere Untersuchungen fragen zum Beispiel nach Diensten, die rund um die Uhr für die Palliativpatienten bereitstehen. Prof. Dr. Lukas Radbruch
 

Trotzdem seien Vergleiche nützlich, meint Radbruch. Er verweist unter anderem auf die 4-stufige Bewertungssystematik der Worldwide Hospice Palliative Care Alliance (WHPCA), die zusammen mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Palliative-Atlas veröffentlicht hat. Die Kriterien bilden die Versorgung auf 4 Stufen ab – von Stufe 1 (vereinzelte Versorgung) bis zu Stufe 4 (Versorgung weit fortgeschritten). Dabei orientieren sich die Bewertungen an relativ wenigen Kriterien, wie der Anzahl fortgebildeter Fachärzte, der Verfügbarkeit von Leitlinien oder dem Morphingebrauch.

Nach Letzterem fragte im Übrigen auch die EAPC-Studie. Danach steht Deutschland beim Gebrauch von Opiaten bei Krebspatienten ganz oben.

Palliativbetreuung ist mehr als Medizin

Aber was sagen diese Vergleiche über die wahren Bedürfnisse der sterbenden Patientinnen und Patienten? „Letztlich verbringen Palliativpatienten im letzten Lebensjahr nur 5% ihrer Zeit mit der medizinischen Versorgung“, betont Prof. Dr. Raymond Voltz, Direktor des Zentrums für Palliativmedizin der Uniklinik Köln. „95% ihrer Zeit verbringen sie mit Fernsehen, dem Haustier, unter Umständen auf der Arbeit, mit der Familie oder den Freunden.“ 

 
Letztlich verbringen Palliativpatienten im letzten Lebensjahr nur 5% ihrer Zeit mit der medizinischen Versorgung. Prof. Dr. Raymond Voltz
 

Das bedeutet, dass die Zukunft der Palliativversorgung sich in einem viel größeren Rahmen entfalten könnte als einzig in dem medizinischen. Die internationalen Vergleiche sind hilfreich, aber sie sind eben nur für den kleineren Teil der gesamten Arbeit am sterbenden Menschen wichtig.

In Köln etwa existiert bereits seit einem Jahr die Caring Community Köln, die Voltz mitinitiiert hat. „Doch ist die fürsorgliche Gemeinde, die ‚Caring Community‘, kaum vorbereitet darauf, mit Tod, Sterben und Trauer umzugehen“, räumt Voltz ein. Die Initiative will deshalb die Kölner Stadtgesellschaft im Umgang mit Sterben, Tod und Trauer stärken. So hat man in Köln Arbeitsgruppen eingerichtet: Trauer und Tod am Arbeitsplatz, in der Schule, im Verein.

Hier könnte auch das neue GVWG aus dem Hause von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) eines Tages unterstützen, meint Voltz. Für die Koordinatoren der palliativmedizinischen Arbeit sollen laut Gesetzentwurf jährlich 15.000 Euro von den Krankenkassen als Zuschuss fließen. Vorausgesetzt, die Kommune, in der das Palliativnetzwerk arbeitet, schätzt die Idee und legt noch einmal die gleiche Summe dazu.

„Zwar sind diese Koordinatoren und die Zuschüsse allein für die pflegerischen und medizinischen Maßnahmen der Palliativbetreuung vorgesehen“, sagt Voltz. Aber wenn ein Palliativnetz erst einmal arbeite, dann könne das Gesetz helfen, nicht nur die 5% der medizinischen Arbeit an Palliativpatienten wichtig zu nehmen, sondern zukünftig auch die 95% der Arbeit einer fürsorglichen Gemeinschaft zu unterstützen. „Dann könnte sich auch die Caring Community an den Gesetzgeber wenden und sagen: So einen Zuschuss zur Koordination wollen wir auch!“

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....