Impfpflicht oder Impfsolidarität? Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Prof. Dr. Alena Buyx, hat sich für eine bereichsbezogene Impfpflicht unter bestimmten Umständen ausgesprochen, wie sie kürzlich in den ARD-Tagesthemen sagte. „Wir haben mit der STIKO und der Akademie der Wissenschaften Leopoldina aus ethischen Gründen eine Impfpflicht abgelehnt. Aber es ist zulässig, unter bestimmten Umständen über eine bereichsbezogene Impfpflicht nachzudenken“, so Buyx.
Als Beispiel nannte sie „Patienten, die man nicht anders schützen kann als durch geimpftes Personal“. Genauere Kriterien für eine partielle Impfpflicht nannte Buyx nicht. Nach Angaben einer Sprecherin des Ethikrates soll das Thema erst zum Monatsende im Plenum des Rates diskutiert werden.
Auslöser für die neuerliche Debatte um die Impfpflicht waren die Äußerungen von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Er hatte die Impfpflicht für Pflegende ins Gespräch gebracht. Söder bedauerte in der Süddeutschen Zeitung „eine zu hohe Impfverweigerung“ unter den Pflegekräften und forderte den Deutschen Ethikrat auf, Gruppen zu identifizieren, für die eine Impfpflicht „denkbar wäre“.
Auch Prof. Dr. Frank-Ulrich Montgomery, Präsident des Weltärztebundes, befürwortet eine Impfpflicht für Pflegekräfte, ihr gemeinsames Argument: der Schutz der alten und kranken Menschen.
Vertrauensverlust bei Pflegekräften
In der Tat sehen viele Pflegekräfte die Impfung offenbar skeptisch. Eine Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) und der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) im Dezember 2020 zeigt jedenfalls eine erhebliche Zurückhaltung bei den Pflegekräften. 50% der Pflegekräfte im Krankenhaus wollen sich nicht impfen lassen, so eines der Ergebnisse der Umfrage. Vor allem die Furcht vor Langzeitfolgen scheine die Pflegenden zurückzuhalten, erklärte der Generalsekretär der DGIIN Prof. Dr. Uwe Janssens.
Auch eine Auswertung von Studien zur Impfbereitschaft im Gesundheitssektor durch die Universität Erfurt zeigt eine ausgeprägte Impfskepsis bei medizinischem Personal. Vor allem fehlt offenbar das Vertrauen in die Sicherheit der Impfung. Aber auch ihre Wirksamkeit wird angezweifelt.
Viele Pflegekräfte misstrauen zudem den Pharmaherstellern. Jüngeres Personal sei insgesamt zögerlicher, ebenso chronisch kranke Mitarbeiter. Auch Ärzte sind zurückhaltend, wenn auch weniger als ihre pflegenden Kollegen. So zeigt eine Erhebung vom Januar 2021, dass die Impfbereitschaft von Ärzten 71 bis 86% beträgt, bei den Pflegekräften aber nur 23 bis 36%.
„Keine Impfpflicht. Das gilt.“
Söders Forderung und die vorsichtige Zustimmung durch den Deutschen Ethikrat treffen auf eine vielstimmige und deutliche Ablehnung der Impfpflicht. Allen voran lehnt der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) eine Impfpflicht ab. „Ich habe im Bundestag mein Wort gegeben: In dieser Pandemie wird es keine Impfpflicht geben. Und das gilt“, sagte der Minister dem Deutschlandfunk. „Wir setzen auf Argumente, auf Information und Vertrauen in den Impfstoff.“
Spahn kündigte an, mit den Pflegekräften „eine große Town Hall“ zum Thema zu machen, also eine Informationsveranstaltung, um die skeptischen Pflegekräfte zu informieren und vom Impfen zu überzeugen.
Der Bremer Pflegeforscher Prof. Dr. Stefan Görres vom Institut für Public Health und Pflegeforschung der Universität Bremen fordert anstelle einer Impfpflicht eine Impfsolidarität. „Wir brauchen eine Impfsolidarität und zur Solidarität kann man nicht verpflichten.“
Im Übrigen fehle die gesetzliche Grundlage für eine Impfpflicht, so Görres weiter. Um eine Impfquote von mindestens 60% zu erreichen, wie die WHO empfiehlt, um die Pandemie einzudämmen, bleibe nur der Weg, „an die Einsicht und die Bereitschaft der Bevölkerung zu appellieren“, sagte Görres der Redaktion des Science Media Centers .
Görres bezweifelt zudem die Datenlage zur Impfbereitschaft von Gesundheitspersonal. Man habe bestenfalls ein heterogenes Bild, das die Impfbereitschaft auf Werte zwischen 30% und 100% beziffere. „Damit haben wir noch keine hinreichende Evidenz, aber dennoch ein sichtbares Phänomen (…)“, so Görres.
Information gegen das Misstrauen
Von Seiten der Pflegewissenschaft setzt man auf Information. „Professionell Pflegende sind angetreten, Gesundheit zu fördern und Krankheit zu verhüten und sich dabei auf die bestverfügbare Wissensbasis zu stützen“, betonen Prof. Dr. Renate Stemmer von der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft, Prof. Dr. Andreas Büscher, Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege und Prof. Dr. Steve Strupeit, von der Dekan-Konferenz Pflegewissenschaft in einer gemeinsamen Stellungnahme.
„Nach dem aktuellen Kenntnisstand ist das Risiko einer COVID-19-Impfung ungleich geringer als das Risiko, durch eine Infektion sich selbst, die Kolleg*innen und die Menschen mit Pflegebedarf zu gefährden.“ Schließlich seien laut WHO rund 10% der COVID-19-Erkrankten Angehörige des Gesundheitspersonals. Für professionell Pflegende spreche deshalb viel dafür, sich impfen zu lassen.
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Diesen Artikel so zitieren: Impfpflicht oder Impfsolidarität: Wie lassen sich die zahlreichen Skeptiker unter den Pflegenden mit ins Boot holen? - Medscape - 20. Jan 2021.
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