MEINUNG

Viele COVID-Patienten haben Probleme mit Geruchssinn – HNO-Ärztin empfiehlt Online-Hilfe: „Riechtraining beschleunigt Genesung“

Siobhan Harris

Interessenkonflikte

18. Januar 2021

Störungen des Geruchssinns gehören zu den sehr häufigen Symptomen einer SARS-CoV-2-Infektion. Der Leidensdruck ist hoch, und manche Patienten klagen noch Wochen bis Monate nach ihrer eigentlichen Genesung über solche Beschwerden. Nur haben Ärzte während der Pandemie andere Prioritäten. Teilweise fehlt ihnen auch die Erfahrung, um Geruchsstörungen zu behandeln.

Prof. Dr. Claire Hopkins

Deshalb haben die British Rhinological Society (BRS), der Berufsverband Ear, Nose & Throat (ENT) UK und die Wohltätigkeitsorganisation AbScent ein spezielles Online-Programm entwickelt. Die Webseite NoseWell hilft Patienten ihre olfaktorische Wahrnehmung zu trainieren.

Medscape sprach mit Prof. Dr. Claire Hopkins, Präsidentin der BRS, über Geruchsverlust und über Möglichkeiten zur Therapie.  

Medscape: Wann haben Sie Geruchsverlust erstmals als mögliches COVID-19-Symptom beobachtet?

Prof. Hopkins: Etwa ab Mitte März 2020 stellten sich immer häufiger Patienten mit plötzlichem Geruchsverlust bei mir vor. Sie hatten keine anderen Symptome, keinen Husten und kein Fieber. Aber einige berichteten von leichten grippeähnlichen Erkrankungen in der Vorgeschichte oder waren zuvor verreist gewesen, aber nicht nach China oder nach Italien. Ich sprach mit Kollegen aus Frankreich, aus Italien und aus den USA. Sie alle hatten ähnliche Beobachtungen gemacht. Vor allem Ärzte, die an vorderster Front in Italien tätig waren, hatten ihren Geruchssinn verloren, ohne dass andere Symptome einer COVID-19-Infektion aufgetreten waren.

Bei anderen viralen Infektionen sind von Geruchsstörungen nur 1% aller Patienten betroffen. Typischerweise leiden sie an einer verstopften oder laufenden Nase. Genau das traf hier nicht zu und war für uns anfangs recht ungewöhnlich. Sehr schnell wurde uns klar, dass dies möglicherweise ein sehr wichtiger Marker für eine COVID-19-Infektion ist.

Ab Mitte März diskutierte ich das Thema mit Kollegen von Public Health England und sammelte Daten. Eine der ersten Arbeiten, die wir in JAMA veröffentlicht haben, schloss rund 200 Patienten mit COVID-19-Diagnose ein. Von ihnen gaben 60% an, keine Gerüche mehr wahrzunehmen. Andere Forschergruppen hatten daraufhin ähnliche Daten gesammelt. Es stellte sich heraus, dass der Verlust des Geruchssinns eines der häufigsten Symptome von COVID-19 ist und – besonders wichtig – zur Diagnose der Krankheit herangezogen werden kann.

Beschwerden wie Husten oder Fieber haben viele Ursachen und sind recht unspezifisch. Aber außer einer Kopfverletzung führt praktisch nur COVID-19 zum Geruchsverlust. Wir konnten zeigen, dass bei Personen, die in Pandemie-Zeiten von den Beschwerden berichten, mit mindestens 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit COVID-19 die Ursache ist. Der Geruchsverlust ist also ein guter Marker für Infektionen mit SARS-CoV-2, der wahrscheinlich sogar zuverlässiger ist als ein Labortest mit eventuell falsch-negativem Ergebnis.

Medscape: Seit wann gilt Geruchsverlust offiziell als Symptom von COVID-19?

Prof. Hopkins: Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat es im April 2020 als Symptom anerkannt. Public Health England zog erst am 18. Mai 2020 nach. Wir waren eines der letzten Länder, obwohl ein Großteil der Forschung aus Großbritannien kommt.

Medscape: Wie viele Menschen mit COVID-19 verlieren ihren Geruchssinn?

Prof. Hopkins: Etwa 2 von 3 COVID-19-Patienten berichten, sie würden keine Gerüche mehr wahrnehmen. Dies passiert wohl eher jenen mit leichtem Verlauf. Vielleicht hängt diese Beobachtung aber auch nur damit zusammen, dass schwerkranke Patienten dies nicht merken, weil sie Probleme beim Atmen haben, nichts essen und nichts trinken. Senioren, die bekanntlich ein höheres Risiko für COVID-19 mit schwerem Verlauf haben, verlieren ihren Geruchssinn mitunter auch wegen ihres Alters, sodass der Unterschied möglicherweise nicht auffällt.

 
Bis zu 95% der COVID-19-Patienten zeigen eine Verschlechterung ihres Geruchsinns, aber sie sind sich dessen vielleicht nicht immer bewusst. Prof. Dr. Claire Hopkins
 

Das Symptom scheint bei Frauen häufiger aufzutreten, was vielleicht daran liegt, dass Männer eher schwer erkranken. Besser ist, Patienten gezielt auf einen Verlust ihres Geruchssinns zu untersuchen. Wir haben festgestellt, dass bis zu 95% der COVID-19-Patienten eine Verschlechterung ihres Geruchsinns zeigen, aber sie sind sich dessen vielleicht nicht immer bewusst.

Medscape: Ab wann nehmen COVID-19-Patienten in der Regel wieder Gerüche wahr?

Prof. Hopkins: Hier gibt es 2 Gruppen. Etwa 50% erlangen ihren Geruchs- und Geschmackssinn innerhalb von 2 bis 3 Wochen vollständig zurück. Ich nenne beide Sinne, weil Patienten oft berichten, dass sie auch ihren Geschmack verloren haben. Sie können vielleicht noch zwischen süß, salzig und sauer unterscheiden, nehmen sonstige Nuancen aber nicht mehr wahr. Meist regeneriert sich der Geschmackssinn vor dem Geruchssinn.

Bei etwa der Hälfte der Betroffenen scheinen Epithelzellen in der Nase nur leicht geschädigt worden zu sein, ohne dass Geruchsnerven selbst betroffen sind. Dann erholen sich Patienten rasch. 40% berichten, dass sie sich nach 8 Wochen weitgehend vollständig erholt haben, während 10% nach 8 Wochen immer noch Beschwerden haben. Nach 6 Monaten haben nur noch 2% der Patienten ihren Geruchssinn nicht wiedererlangt.

 
Nach 6 Monaten haben nur noch 2% der Patienten ihren Geruchssinn nicht wiedererlangt. Prof. Dr. Claire Hopkins
 

Bei einigen Patienten tritt Parosmie auf: eine Störung, bei der sie normale Gerüche als unangenehm wahrnehmen. Wir denken, dass Geruchstraining auch Menschen mit Parosmie helfen kann, damit sich ihre Sinnesreize schneller normalisieren.

Medscape: Kann der Verlust des Geruchsinns die Lebensqualität beeinträchtigen?

Prof. Hopkins: Ja, absolut. Das wird wirklich unterschätzt und ist eine große Herausforderung für Betroffene.

Der Geruchsverlust hat enorme Auswirkungen auf unser emotionales Wohlbefinden und auf unser Gedächtnis. Er ist aber auch mit einem ziemlich hohen Maß an Angst und Depression assoziiert. Für Freunde, für die Familie und manchmal sogar für Ärzte ist dies oft schwierig zu verstehen und den Betroffenen zu helfen.

Viele Patienten haben das Gefühl, dass Ärzte sie abweisen. Manche würden sagen: „Wenigstens sind Sie nicht an COVID-19 gestorben“ oder „Es hätte schlimmer kommen können.“ Viele achten nicht auf sonstige Folgen, selbst wenn [bei Geruchsstörungen] nach 6 bis 9 Monaten keine Besserung eingetreten ist.

Medscape: Sollten Ärzte Patienten auf das NoseWell-Geruchstraining hinweisen?

Prof. Hopkins: Wir haben früh erkannt, dass sehr viele Menschen betroffen sind und nur schwer Zugang zu medizinischer Hilfe finden, da das Gesundheitssystem momentan überlastet ist. Und manche Ärzte sind weder mit Geruchsverlust noch mit dessen Behandlung vertraut.

Es gibt gute Belege für das Riechtraining. Diese Therapie wurde ursprünglich 2009 von Prof. Dr. Thomas Hummel aus Deutschland entwickelt. [Anmerkung des Übersetzers: Hummel arbeitet am interdisziplinären Zentrum für Riechen und Schmecken des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus in Dresden]

Geruchstraining beschleunigt die Genesung und verbessert die Fähigkeit, Gerüche zu erkennen und zu unterscheiden. Wir glauben, dass das daran liegt, dass Geruchsnerven bei der Regeneration die richtigen Verbindungen sowohl in der Nase als auch im Gehirn herstellen müssen. Wenn Sie diese Verbindungen fördern, verbessert sich die Fähigkeit, Gerüche zu erkennen.

 
Für das Geruchstraining können Sie alles verwenden, was stark riecht und was Sie im Haus haben. Besonders gut eignen sich ätherische Öle. Prof. Dr. Claire Hopkins
 

Für das Geruchstraining können Sie alles verwenden, was stark riecht und was Sie im Haus haben. Besonders gut eignen sich ätherische Öle. Patienten müssen wirklich darüber nachdenken, wonach ein Stoff riecht. Wenn Sie also an Zitronenduft schnuppern, denken Sie daran, wie eine Zitrone für Sie früher gerochen hat. Man fördert so letztlich die neuronale Verarbeitung.

Die meisten Hausärzte und HNO-Ärzte sind mit der Behandlung möglicherweise nicht vertraut, aber viele Patienten informieren sich im Internet. Sie können das Geruchstraining zu Hause durchführen und brauchen nicht die Unterstützung von medizinischem Personal. Mit NoseWell wollten wir sicherstellen, dass alle Informationen weithin verfügbar sind, damit Bürger die Ressourcen selbst nutzen können.

Medscape: Spielt es eine Rolle, welche Düfte verwendet werden? Und wie lange es dauert, bis es wirkt?

Prof. Hopkins: Rose, Zitrone, Eukalyptus und Nelke werden empfohlen, da sie verschiedene Arten von Gerüchen abdecken und wahrscheinlich andere Geruchsrezeptoren stimulieren. Wir raten, mit diesen Düften zu beginnen und sie in den ersten 12 Wochen anzuwenden.

Auf der NoseWell-Website gibt es Anleitungen, wie Patienten ihre eigenen Kits zusammenstellen können. AbScent verkauft auch vorgefertigte Kits, deren Erlöse an die Wohltätigkeitsorganisation selbst fließen. Ähnliche Informationen sind auch von Fifth Sense erhältlich.

Wir wissen aus randomisierten Studien, dass Patienten, die ein Geruchstraining absolvieren, bessere Ergebnisse erzielen als diejenigen, die dies nicht tun. Das Training selbst dauert pro Tag nicht lange. Der Effekt stellt sich nicht sofort, sondern allmählich ein.

Dieser Beitrag wurde von Michael van den Heuvel aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....