Körperliche und apparative Untersuchungen
Bei der körperlichen Untersuchung betrug die rektal gemessene Körpertemperatur der Patientin 34,6°C, die Herzfrequenz 124/min, der Blutdruck 90/62 mmHg, die Atemfrequenz 30/min und die Sauerstoffsättigung am Pulsoxymeter unter Raumluft 92%. Ihr Körpergewicht lag bei 59 kg. Sie wirkte deutlich vorgealtert, war zerzaust und ungepflegt. Auf der Glasgow Coma Scale erreichte sie 8 Punkte.
Die Patientin reagierte nicht auf Naloxon und wurde intubiert. Die Untersuchung der Nase und des Oropharynx offenbarte eine mangelhafte Zahnhygiene mit eingetrocknetem Blut auf den Lippen und Nasenflügeln. Bei der Herzuntersuchung wurde die Tachykardie bestätigt und ein holosystolisches Geräusch mit Punctum maximum am linken unteren Sternumrand gehört.
Die Lungenauskultation offenbarte beidseits grobblasige Rasselgeräusche. Die Hautuntersuchung ließ Kratzer und Einstichstellen über beiden Jugularvenen, in den Ellenbeugen, an den Beinen und am Fußrücken erkennen, die zu dem Bild bei i.v.-Drogenkonsum passten. An beiden Armen und Beinen zeigte sich eine Livedo reticularis und auf den Handflächen unregelmäßig geformte, erythematöse Makula. Ein Stuhltest auf okkultes Blut war negativ.
Es wurden nun die Standardmaßnahmen bei Sepsis eingeleitet. Damit einher gingen 2 periphervenöse Zugänge, die Volumengabe (30 ml/kg), Laboruntersuchungen und die Blutkultur-Anlage sowie die Gabe eines Breitband-Antibiotikums. Das EKG zeigte eine Sinustachykardie mit einer Frequenz von 122/min, aber keine weiteren Anomalien.
Der Röntgen-Thorax mit einem mobilen Gerät zeigte diffuse knötchenförmige Verschattungen über den gesamten Lungenfeldern, die dem Bild einer multifokalen Pneumonie und einem ARDS entsprachen (Abb. 1).
Abb. 1
Die Laboruntersuchungen ergaben folgende Werte:
Leukozyten: 3.200 Zellen/µl (normal 4500–11.000 Zellen/µl)
Hb: 7,6 g/dl (normal 13,5–17,5 g/dl)
Hkt: 23% (normal 45%–52%)
MCV: 91 fl
Thrombozyten: 7.000/µl (normal 150.000–450.000 Zellen/µl)
Weitere Werte waren:
Natrium: 117 mmol/l (normal 135–145 mmol/l)
Kalium: 3,3 mmol/l (normal 3,6–5,2 mmol/l)
Harnstoff-Stickstoff (BUN): 51 g/dl (normal 8–24 mg/dl)
Kreatinin: 1,6 mg/dl (normal 0,9–1,3 mg/dl)
AST: 283 U/l (normal 6–34 U/l)
ALT: 84 U/l (normal 20–60 U/l)
Lactat: 3,6 mmol/l (normal 0,5–1 mmol/l)
arterieller pH-Wert: 7,4
CO2: 28 mmol/l
Bikarbonat: 17 mmol/l
Horovitz-Quotient (Oxygenierungsindex) PaO2/FiO2: 86.
Mit Blick auf den Gerinnungsstatus waren die folgenden Parameter interessant:
INR: 2,2 (normal 0,9–1,1)
partielle Thromboplastin-Zeit: 75 s (normal 26–37 s)
Fibrinogen: 186 mg/dl (normal 200–450 mg/dl)
LDH: 367 IU/l (normal 100–238 IU/l)
D-Dimer: 357 µg/l (normal 0–316 µg/l)
Haptoglobin: 222 mg/dl (normal 40–240 mg/dl; ein früher erhobener Haptoglobin-Wert betrug 304 mg/dl).
Im peripheren Blutausstrich fanden sich viele Schistozyten. Die Befunde lenkten den Verdacht auf eine disseminierte intravasale Gerinnung (DIC), die wahrscheinlich die Folge einer Sepsis war.
Das Drogen-Screening im Urin der Patientin war positiv für Kokain, Opiate und Cannabis. Die Tests auf Ethanol, Salicylate und Paracetamol waren negativ. Die übrigen Laborwerte lagen innerhalb normaler Parameter.
Auch nach der Volumen-Ersatztherapie mit 30 ml/kg blieb die Patientin hypoton. Es wurde dann ein zentraler Zugang gelegt und Noradrenalin gegeben.
Im Thorax-CT ohne Kontrastmittelgabe fanden sich multifokale bilaterale Verschattungen mit positivem Bronchopneumogramm (röntgenologisches Zeichen u.a. bei Pneumonie; s. Abb. 2–3).
Abb. 2
Abb. 3
Etwa 5 Stunden nach der Aufnahme erlitt die Patientin einen Herzstillstand. Trotz Einleitung der erweiterten lebensrettenden Maßnahmen (advanced cardiac life support, ACLS) starb sie.
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Diesen Artikel so zitieren: Fall: Verwahrlost und nicht ansprechbar – Frau wurde mit Zettel um den Hals vor Klinik abgesetzt – können Sie sie retten? - Medscape - 18. Jan 2021.
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