Die neue Technik der mRNA-Vakzinierung, die gegenwärtig so erfolgreich als COVID-19-Impfung eingesetzt wird, ist nicht ohne weiteres auf Erkrankungen wie die Multiple Sklerose (MS) übertragbar. Dies betonen Neurologen und MS-Experten des Krankheitsbezogenen Kompetenznetzes Multiple Sklerose (KKNMS) in einer aktuellen Stellungnahme [1].
Science-Studie weckt Hoffnungen bei MS
Einem Wissenschaftlerteam ist es gelungen, die Entstehung einer experimentellen autoimmunen Enzephalomyelitis bei Mäusen durch einen entzündungshemmenden Impfstoff zu unterdrücken. Bei bereits erkrankten Tieren konnte in einer Studie unter der Leitung von Prof. Dr. Uğur Sahin, dem Mitbegründer von Biontech, der Krankheitsverlauf durch den mRNA-Impfstoff gemildert bzw. rückgängig gemacht werden.
Die im Fachmagazin Science publizierten Ergebnisse von Erstautorin Christina Krienke und ihren Kollegen wecken Hoffnungen bei MS-Patienten [2]. Die Resonanz in den Medien ist hoch, es wird teilweise von der Möglichkeit gesprochen, hier eine Impfung gegen die Multiple Sklerose generieren zu können. Doch was bei Mäusen funktioniert, funktioniert nicht zwangsläufig auch bei MS-Kranken, wie das Kompetenznetz KKMNS in seiner Stellungnahme betont.
Die Technik der mRNA Vakzinierung wird derzeit intensiv diskutiert. Zumal sie erstmals erfolgreich als Strategie zur Entwicklung eines Impfstoffes gegen das SARS-CoV-2 Virus etabliert wurde. Gegenwärtig sind in der EU 2 Impfstoffe zugelassen, die beide dasselbe Prinzip verwenden (Stand: 13. Januar 2021).
Nun wurde die mRNA-Vakzinierung im Tierexperiment und an einem MS-Modell verwendet. Die hochwertige Studie sei wissenschaftlich von größter Bedeutung und dokumentiere erneut auch das Potenzial der mRNA-Vakzinierungsstrategie insgesamt, heißt es in der Stellungnahme von Prof. Dr. Frauke Zipp, Klinik für Neurologie, Johannes Gutenberg-Universität, Mainz, und ihren Kollegen. Allerdings: Was in Mäusen mit experimenteller autoimmuner Enzephalomyelitis als Impfstrategie funktioniere, sei als Strategie für eine Autoimmunerkrankung bei Menschen nicht so einfach zu übersetzen.
Hauptproblem beim Menschen – im Gegensatz zum Tiermodell – ist, dass die Zielantigene bei der MS nicht bekannt sind. Über Jahrzehnte haben Wissenschaftler bereits versucht, die für Multiple Sklerose relevanten Antigene zu identifizieren, dies gelang jedoch nicht.
Ganz im Gegenteil: In den 1990er-Jahren haben Antigen-spezifische Therapieansätze bei der Übertragung aus Laborbedingungen auf den Menschen sogar teilweise unerwartet zu einer Verstärkung der Entzündung im Gehirn geführt, indem Immunantworten gegen das ZNS sogar befördert und nicht unterdrückt wurden.
Antigen-spezifische Therapie ohne Erfolgschancen
Die MS gilt heute als komplexe Störung immunregulatorischer Netzwerke. Nach der Gabe einer Selektion von Antigenen zur Therapie einer Autoimmunerkrankung kann es sogar zu einer fehlgesteuerten Aktivierung von Abwehrzellen kommen. Denn im Verlauf der Erkrankung gibt es offensichtlich sehr viele Antigene sowie HLA-Moleküle, welche den T-Zellen helfen, anhand der zellulären Oberflächenstruktur kranke von gesunden Zellen zu unterscheiden, die individuell unterschiedlich sind. Weiterhin beruht das Phänomen der Verstärkung der Entzündung wohl auf speziellen Bindungsstärken der gegen den eigenen Körper gerichteten Immunabwehr. Somit ist es nicht verwunderlich, dass bislang kein Antigen-spezifischer Therapieansatz in der Multiplen Sklerose (und auch nicht bei anderen Autoimmunerkrankungen) erfolgreich war.
Eine Autoimmunkrankheit wie die Multiple Sklerose ist im Kontext der entwickelten Impfung damit nicht gleichzusetzen mit einer Infektion, die ja eine sehr gerichtete Antwort auf sehr definierte (Virus)Antigene darstellt. Die Strategie, eine „Impfung gegen MS“ zu entwickeln, sei zwar charmant und wissenschaftlich ein hochwertvolles Ziel. Es fehle aber beim Menschen nicht die richtige Labortechnik, sondern die Biologie der Entzündungsprozesse bei der MS sei ganz anders zu bewerten als bei einer Infektion.
Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Univadis.de.
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Diesen Artikel so zitieren: Kompetenznetz Multiple Sklerose kommentiert „Science“-Publikation zur mRNA-Vakzine gegen MS: Von Mäusen und Menschen - Medscape - 14. Jan 2021.
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