Schlafmangel ist bei Ärzten durch Nacht-, Bereitschafts- und Schichtdienste weit verbreitet. Das schafft Probleme für sie selbst, denn die Anfälligkeit für Burnout steigt, während die Leistungsfähigkeit sinkt. Das wiederum birgt Risiken für die Patienten, weil bei der Behandlung vermehrt Fehler passieren. Zu diesem Ergebnis gelangt eine Umfrage unter mehr als 11.000 US-Medizinern verschiedener Fachbereiche und Ausbildungsstufen [1].
Wenn Ärzte an Schlafstörungen leiden, geraten sie fast unvermeidlich in Widerspruch zu ihrem Arbeitsethos. „Bei Psychotherapien kommt immer wieder zur Sprache, dass gerade Ärzte zu jenen Menschen gehören, die große Anforderungen an sich selbst stellen“, berichtet Dr. Karsten Böhm von der Klinik Friedenweiler im Schwarzwald, die speziell auch Ärzten Hilfe bei psychischen Schwierigkeiten anbietet.
„Die Zufriedenheit in diesem Beruf hängt entscheidend davon ab, sich als guter Arzt definieren zu können“, so Böhms Erfahrung. „Wer diesem Selbstbild nicht mehr gerecht wird, hat Mühe, sein inneres Gleichgewicht zu bewahren.“
Schlechter Schlaf setzt also einen Teufelskreis in Gang: Nachweislich nimmt sowohl die Fähigkeit ab, die eigenen Affekte zu regulieren als auch die Emotionen anderer zu erkennen, so dass die Empathie den Patienten gegenüber in Desinteresse umschlägt.
Zumal bei Ärzten, deren Tätigkeit ja eine enorme emotionale Verarbeitung erfordert, wird so der Weg gebahnt für Erschöpfung und Burnout. Aufmerksamkeit und Effizienz lassen nach, wodurch der Dienst noch länger dauert und Missgeschicke sich häufen. Die Befürchtung, als Arzt zu versagen, wächst, was der Nachtruhe dann erst recht im Weg steht. Und so weiter.
US-Konsortium erforscht das Befinden von Ärzten
Bisher war der Zusammenhang zwischen Schlafstörungen, Burnout und medizinischen Fehlern noch nicht mit Zahlen untermauert, erläutern der Psychiater Dr. Mickey T. Trockel von der Universität Stanford und seine Kollegen. Eine weitere Motivation für ihre Studie: Unterstützung des Physician Wellness Academic Consortium, einer Vereinigung von Institutionen in den USA, die das Befinden von Ärzten ermittelt und Programme zur Verbesserung entwirft.
Die erforderlichen Daten haben die Forscher in 11 medizinischen Zentren der USA gesammelt. An fast 20.000 Ärzte schickten sie die Subskala zu Schlafstörungen des anerkannten Patient-Reported Outcomes Measurement Information System PROMIS.
Darauf werden Müdigkeit und funktionelle Defizite über 8 Items erfasst, denen die Befragten auf einer 5-stufigen Likert-Skala mehr oder weniger stark zustimmen können. Die maximale Punktzahl liegt bei 40, Werte ab 16 gelten als hoch bis sehr hoch.
Zur Bestimmung von Burnout sollten die Teilnehmer 2 Subskalen des Professional Fulfillment Index ausfüllen: jene zu sozialer Distanz und jene zu berufsbedingter Erschöpfung.
Zusätzlich wurde ihnen die Feststellung vorgelegt: „Ich habe einen medizinischen Fehler gemacht, der zu einem Schaden für den Patienten geführt hat.“ Hier konnten sie eine von 6 Optionen zwischen nie bis innerhalb der letzten Woche ankreuzen.
Rund 11.400 Ärzte – etwa gleich viele Frauen und Männer – beteiligten sich an der Umfrage. Insgesamt 860 Ärzte berichteten von einem relevanten Fehler: 7,5% von rund 4.000 fertig ausgebildeten Fachärzten und 16% von knapp 3.500 Assistenzärzten.
Besonders die Ausbildung erweist sich als kritische Phase
Die Analyse ergab für Schlafstörungen einen mittleren PROMIS-Wert von 17, bei Ärzten in Ausbildung sogar 21. Auf Fachärzte allein bezogen, lag er in der Notfallmedizin am höchsten, wogegen Radiologen, Pathologen und Psychiater recht glimpflich davonkamen und Chirurgen noch am besten schliefen.
Ganz anders Assistenzärzte in der Chirurgie: Sie waren von allen 12 Fachkategorien am stärksten beeinträchtigt. „Die eklatante Lücke lässt den Verdacht aufkommen, dass die chirurgische Ausbildung eher wegen herrschender Traditionen so anstrengend ist als wegen Faktoren, die zwangsläufig zu diesem Spezialgebiet gehören“, geben Trockel und seine Kollegen zu bedenken. Daher seien hier die Umstände, die Schlafstörungen begünstigen, möglicherweise nicht notwendig und folglich veränderlich.
Ein weiteres Resultat: Schlafmangel war mit Burnout sowie dessen Komponenten Erschöpfung und Verlust an Empathie stark korreliert, jedoch nur moderat mit der beruflichen Leistungsfähigkeit.
Diese Diskrepanz hält Böhm für gar nicht so überraschend: „Ärzte bemühen sich eben mit ganzer Kraft, ihre Aufgaben gut zu erfüllen. Das macht auch die sogenannte low-dose-dependancy verständlich, die bei ihnen nicht selten zu beobachten ist: der Missbrauch schlafanstoßender Medikamente, jedoch nur in geringer Dosierung, etwa Benzodiazepine oder Zolpiclon, zu denen sie als Ärzte ja leicht Zugang haben. So können sie am nächsten Tag wieder fit sein, also ohne Überhang der sedierenden Wirkung arbeiten.“
Je schlechter der Schlaf, desto mehr Fehler
Das Team um Trockel fand außerdem, dass Schlafstörungen vermehrt mit bedeutsamen medizinischen Fehlern einhergingen. Dabei lag deren Quote umso höher, je stärker der Schlaf beeinträchtigt war, also eine deutliche Dosis-Wirkungsbeziehung: Im Vergleich zu geringen Schlafstörungen geschahen bei mäßiger Ausprägung um rund 50% häufiger Missgriffe (Odds Ratio 1,53), bei hoher und sehr hoher Ausprägung sogar doppelt so viele (OR jeweils knapp 2).
Als weiterer unabhängiger Risikofaktor für klinische Fehler erwies sich der Burnout. Mit jedem Punkt auf einer von 0 bis 10 ansteigenden Burnout-Skala erhöhte sich die Wahrscheinlichkeit eines Fehlers um 14% (OR 1,14), bei Ärzten in der Ausbildung im Vergleich zu bereits graduierten Ärzten sogar um 118% (OR 2,18).
Eine kausale Beziehung vorausgesetzt, wären rund 40% der Fehler ohne starken Schlafmangel und Burnout vermeidbar gewesen. Das stimme mit Studien überein, wonach sich bei Ärzten mit solchen Störungen gehäuft unzufriedene Patienten beschweren. „Umgekehrt könnte auch das Bewusstsein, einem Menschen Schaden zugefügt zu haben, Schlafstörungen und Burnout verschlimmern“, spekulieren die Forscher.
Überstunden verlieren an gesellschaftlicher Akzeptanz
Böhm verweist darauf, dass man Schlafstörungen und Burnout auch – zumindest teilweise – als Kehrseite eines eigentlich positiven Wertewandels verstehen könnte: Arbeitszeiten von 12, 16 Stunden werden immer weniger akzeptiert.
„Die Einstellung spielt eine wesentliche Rolle“, sagt der Psychologe. „Früher galten Schicht- und Nachtdienst oft sogar als attraktiv, etwa weil man selbstständig, ohne Chef Entscheidungen treffen kann und eine tarifliche Zulage erhält. Die Belastung wurde bejaht und darum eher als Eustress empfunden.“
Heute jedoch gehe der Trend dahin, Familie und Freizeit wertzuschätzen, Stichwort Work-Life-Balance, Überstunden verursachen also eher Distress, was dann leichter in das Gefühl des Ausgebranntseins mündet.
4 Maßnahmen zur Abhilfe
Zur Abhilfe schlagen Trockel und seine Kollegen 4 Maßnahmen vor, die parallel sowohl von nationalen und regionalen Gremien wie auch von Einzelnen umgesetzt werden sollten:
Begrenzung der Dauer und Häufigkeit von Nacht-, Bereitschafts- und Schichtdiensten, möglichst nicht in Serie;
Ruhepausen während längerer Schichten;
Einnahme von Melatonin-Präparaten vor Nachtarbeit;
ein sogenannter Anker-Schlafplan (anchor sleep schedule), um bei Schichtwechseln einen zirkadianen Rhythmus zu erleichtern. Hierbei wird eine bestimmte Phase des Tages, etwa von 21 bis 12 Uhr, immer – als Anker – in die Nachtruhe einbezogen, egal ob an deren Anfang oder Ende.
Ärzte favorisieren ein somatisches Krankheitsbild
Zusätzlich zur Änderung von Strukturen im Gesundheitswesen hält Böhm auch Interventionen auf persönlicher Ebene für sinnvoll: eine mit Sport, Entspannungstechniken und Medikamenten kombinierte Psychotherapie, wie sie an der Klinik Friedenweiler praktiziert wird.
„Nach meiner Erfahrung dominiert bei Ärzten ein somatisch geprägtes Krankheitsbild, während Psychologen natürlich eher die Psyche im Blick haben. Aber moderne Konzepte verwirklichen die Philosophie, die Menschen dort abzuholen, wo sie stehen“, so Böhm.
Ärzte vor Schlafstörungen und Burnout zu schützen, ist nicht allein deshalb gerechtfertigt, weil ihnen dann seltener Missgeschicke unterlaufen. Es drohen auch Nachteile und Krankheiten, wie Trockel und seine Kollegen mit einer langen Liste illustrieren. Eine Auswahl dessen, was speziell bei Ärzten nachgewiesen ist:
Bildgebende Verfahren zeigen nach einer Nacht Schlafentzug beim Betrachten belastender Bilder eine erhöhte Amygdala-Aktivität, Anzeichen verstärkter emotionaler Anstrengung – gravierend für Ärzte, die ja ständig mit Krankheit, Trauma und Tod konfrontiert sind.
Notärzte im Nachtdienst brauchen länger für eine Intubation, mit fortschreitender Schicht häufen sich Fehler.
Übernächtigte Assistenzärzte haben Defizite in Kognition, Konzentration, Gedächtnis, Geschicklichkeit und beim Erkennen von Arrhythmien im EKG.
In einer Falldarstellung wählten sie durch unzulängliche Nutzen-Risiko-Abwägung riskantere Therapien.
Nach einer Nacht ohne Schlaf erreichten sie bei einer medizinischen Prüfung weniger Punkte, vergleichbar dem Unterschied zwischen 1. und 3. Ausbildungsjahr.
Allgemein nimmt die Anfälligkeit für Krankheiten zu. Beispiel Alzheimer: Der Abtransport extrazellulärer Metaboliten wie Amyloid-beta stockt, der oxidative Stress steigt, die Blut-Hirn-Schranke ist gestört.
Dokumentiert ist auch eine Schädigung von Herz-Kreislauf- und Immunsystem.
Medscape Nachrichten © 2021 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Wie steht es um die Nachtruhe der Ärzte? Studie macht Assoziation zu Burnout, aber auch Behandlungsfehlern deutlich - Medscape - 13. Jan 2021.
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