Schutz bei Krebstherapie durch Statin und Sitagliptin; Neuer Krebs bei Immuntherapie; Glioblastom als Folge von Hirnläsion?

Dr. Susanne Heinzl

Interessenkonflikte

12. Januar 2021

Im aktuellen Onko-Blog entpuppen sich Statine und ein Antidiabetikum – abseits ihrer üblichen Indikationen – als mögliche effektive Präventionsstrategien bei der Krebstherapie: Statine könnten vor Kardiotoxizität schützen, Sitagliptin vor einer akuten Graft-versus-Host-Erkrankung. Die Immuntherapie hat die Melanom-Behandlung revolutioniert, doch nun gibt es Hinweise auf mehr primäre Zweitkarzinome bei Überlebenden. Mit dem stark wirkenden Alkylans Melflufen wird eine neue Option für Patienten mit rezidiviertem/refraktärem multiplem Myelom getestet. Und molekulare Untersuchungen liefern Hinweise, dass Glioblastome als Folge von Heilungsprozessen nach Hirnverletzungen entstehen können.

  • Frühes Mammakarzinom: Statine als Schutz vor Kardiotoxizität?

  • Sitagliptin-Prophylaxe gegen Graft-versus-Host-Disease

  • Melanom: Mehr Sekundärkarzinome in der Immuntherapie-Ära?

  • Vortherapiertes Multiples Myelom: Melflufen wirksam

  • Glioblastome: Begünstigt durch Heilungsprozesse nach Hirnverletzung?

Frühes Mammakarzinom: Statine als Schutz vor Kardiotoxizität?

Frauen mit Mammakarzinom, die Statine nehmen, haben ein niedrigeres Risiko nach Behandlung mit Anthracyclinen oder Trastuzumab wegen einer Herzinsuffizienz ins Krankenhaus zu kommen. Aufgrund dieser Befunde hat eine kanadische Arbeitsgruppe nun die kardioprotektive Wirkung der Statine im Zusammenhang mit einer Krebsbehandlung in randomisierten Studien näher untersucht.

Sie analysierten anhand verschiedener Datenbanken, wie häufig eine Herzinsuffizienz bei Frauen ab einem Alter von 66 Jahren auftrat, die zwischen 2007 und 2017 wegen eines frühen Mammakarzinoms mit Anthracyclinen oder Trastuzumab behandelt worden waren. Jeder Patientin, die ein Statin nahm, wurde eine entsprechend gematchte Kontrollperson ohne Statin-Einnahme zugeordnet.

Erfasst wurde, wie häufig die Frauen, die zuvor keine Herzinsuffizienz hatten, innerhalb von 5 Jahren nach der Krebsbehandlung wegen einer Herzinsuffizienz hospitalisiert oder in der Notfallambulanz behandelt werden mussten. Die im Journal of the American Heart Association publizierten Ergebnisse zeigen:

  • Bei den 666 mit Anthracyclinen behandelten Paaren war die Wahrscheinlichkeit für eine Herzinsuffizienz-Behandlung im Krankenhaus bei Statin-Einnahme signifikant um 55% geringer (1,2% vs 2,9%; p = 0,01).

  • Bei den 390 mit Trastuzumab behandelten Paaren war die Wahrscheinlichkeit für eine Herzinsuffizienz-Behandlung im Krankenhaus bei Statin-Einnahme um 54% geringer (2,7% gegenüber 3,7%). Der Unterschied war aber hier mit einem p-Wert von 0,07 nicht signifikant.

„Diese Studie ist kein Beweis dafür, dass Statine protektiv wirken“, meint PD Dr. Husam Abdel-Qadir, Toronto, in einer Pressemitteilung der American Heart Association. „Sie ergänzt jedoch zahlreiche weitere Berichte, die darauf hindeuten, dass Statine möglicherweise Vorteile haben. Frauen mit Brustkrebs, bei denen die Einnahme eines Statins indiziert ist, sollten es idealerweise während ihrer gesamten Krebstherapie weiter einnehmen. Frauen ohne Indikation für eine Statin-Einnahme sollten sich nach der Teilnahme an einer klinischen Studie erkundigen, in der die Vorteile von Statinen beim Schutz vor Herzmuskelschäden während der Chemotherapie untersucht werden.“

Sitagliptin-Prophylaxe gegen Graft-versus-Host-Disease

Ein Kombination aus dem DPP4-Hemmer Sitagliptin und Immunsuppression senkt die Inzidenz einer akuten Graft-versus-Host-Disease (GvHD) nach allogener hämatopoetischer Stammzelltransplantation (HSCT), so das Ergebnis einer aktuellen Studie im New England Journal of Medicine .

Eine Arbeitsgruppe der Indiana University School of Medicine, Indianapolis, hatte in einer Phase-2-Studie bei 36 Patienten untersucht, ob Sitagliptin in Kombination mit Tacrolimus und Sirolimus die Inzidenz eine GvHD Grad II bis IV von 30% auf höchsten 15% innerhalb von 100 Tagen verringern kann. Die Rationale für den Einsatz der DPP-4-Hemmers basierte auf der Erkenntnis, dass die Dipeptidyl-Peptidase-4 (DPP4) bei der T-Zell-Aktivierung co-stimulatorisch wirkt.

Das untersuchte Regime senkte die Inzidenz „beeindruckend“, so Dr. Paul Martin, Fred Hutchinson Cancer Center, Seattle, im begleitenden Editorial im NEJM: Nur bei 2 von 36 Patienten kam es innerhalb von 100 Tagen zu einer GvHD. Die Inzidenz für eine GvHD Grad II bis IV lag bei 5%, für eine GvHD Grad III oder IV bei 3%. Sitagliptin ist einfach und kostengünstig anzuwenden und könnte auch deshalb eine attraktive Option sein.

Theoretisch könnte der Effekt des DPP-4-Hemmers mit einer parenteralen Darreichungsform eventuell noch verbessert werden, weil die orale Einnahme durch eine schwere Mukositis der Patienten eingeschränkt war, spekulierte Martin. Unklar sind seiner Meinung nach noch die optimale Dauer der Gabe und die Rolle der gleichzeitig verabreichten Immunsuppression.

Melanom: Mehr Sekundärkarzinome in der Immuntherapie-Ära?

Seit der Einführung der Immuncheckpoint-Inhibitoren (ICI) in die Behandlung des Melanoms ist das Risiko für einen zweiten Primärtumor gestiegen. Das Muster der Zweit-Tumorerkrankungen hat sich im Vergleich zur Prä-ICI-Ära verändert.

Eine chinesisch-amerikanische Arbeitsgruppe untersuchte in einer Populations-basierten Kohortenstudie mit den Daten des SEER-Registers (Surveillance, Epidemiology, and End Results), ob sich bei Melanom-Patienten das Risiko für ein zweites primäres Karzinom in der Zeit vor der Einführung der ICI (2005 bis 2010) zur Zeit nach der Einführung der ICI (2011-2016) unterschieden hat.

Die in JAMA Netw. Open im Dezember 2020 online publizierten Daten zeigen, dass die 5-Jahres-Sterblichkeit der Patienten mit einem metastasierten Melanom in der ICI-Ära mit 76% signifikant geringer war als in der Prä-ICI-Ära.

Das Risiko für ein primäres Zweitkarzinom war in der Prä-ICI-Periode um 65% (standardisierte Inzidenz-Rate 1,65), in der ICI-Ära um 98% (SIR 1,98) höher als in der Normalbevölkerung.

Während in der Prä-ICI-Periode das Exzess-Risiko vor allem für hämatologische Tumoren wie Myelome und chronisch lymphatische Leukämie erhöht war, war dies in der ICI-Phase vorwiegend bei Dünndarmkarzinomen und Myelomen der Fall. Die absoluten Fallzahlen an z.B. Myelomen waren mit 7 in der Prä-ICI-Periode und 4 in der ICI-Zeit allerdings relativ gering.

Die Nachbeobachtungszeiten waren in der Prä-ICI-Gruppe jedoch länger als in der ICI-Gruppe, so dass dies nach Ansicht der Autoren darauf hindeuten könnte, dass Zweittumoren unter ICI früher auftreten.

Vortherapiertes Multiples Myelom: Melflufen wirksam

Bei stark vortherapierten Patienten mit rezidiviertem/refraktärem multiplem Myelom (rrMM) zeigte Melflufen in Kombination mit Dexamethason in der Phase-2-Studie HORIZON eine klinische Wirkung und ein handhabbares Sicherheitsprofil. Eine internationale Arbeitsgruppe hat im Dezember 2020 die Ergebnisse online im Journal of Clinical Oncology publiziert.

Melphalan flufenamid (Melflufen) ist ein Arzneistoff-Peptid-Konjugat, das sehr viel potenter wirkt als Melphalan allein. Aufgrund seiner hohen Lipophilie wird das Konjugat sehr rasch und passiv in die Zellen aufgenommen, umgeht damit spezifische Transportersysteme und verhindert so die Entstehung Transporter-assoziierter Resistenzen. Intrazellulär wird Melflufen in Melphalan und Desethyl-Melflufen metabolisiert. Melflufen und seine Metaboliten wirken als starke Alkylanzien.

In der einarmigen multizentrischen Phase-2-Studie HORIZON erhielten 157 Patienten mit rrMM einmal monatlich eine Infusion mit 40 mg Melflufen plus wöchentlich 40 mg Dexamethason oral.

Nach einem medianen Follow-Up von 14 Monaten sprachen 29% der Patienten auf die Therapie an, im Median für 5,5 Monate. Das mediane progressionsfreie Überleben betrug 4,2 Monate, das Gesamtüberleben 11,6 Monate. Bei 96% der Patienten traten Nebenwirkungen vom Schweregrad 3 oder höher auf.

Basierend auf diesen Ergebnissen wird die Kombination nun in der Phase-3-Studie OCEAN im Vergleich zu Pomalidomid plus Dexamethason untersucht.

Glioblastome: Begünstigt durch Heilungsprozesse nach Hirnverletzungen?

Molekulare Untersuchungen einer interdisziplinären kanadischen Arbeitsgruppe an Glioblastom-Stammzellen von 26 Patienten ergaben, dass Heilungsprozesse nach einem Trauma das Wachstum eines Hirntumors begünstigen können. Ein Trauma kann z.B. eine Schlaganfall, eine Infektion oder eine unfallbedingte Verletzung sein.

Glioblastome sind sehr aggressive und nur schwer behandelbare Hirntumoren. Diese Tumoren zeichnen sich durch eine extensive Heterogenität aus. Bekannt ist, dass Glioblastom-Stammzellen die Tumorentstehung fördern können.

Wie in Nature Cancer berichtet, fanden die Forscher mit verschiedenen molekularen Techniken Subpopulationen der Glioblastom-Stammzellen, die besondere Entzündungsmerkmale besitzen. 

Sie vermuten – vereinfacht dargestellt –, dass eine Glioblastom-Bildung dann einsetzen kann, wenn beim normalen Heilungsprozess von verletztem Hirngewebe neue Zellen gebildet werden, die teilweise verändert sind. Ist eine solche veränderte (mutierte) Zelle an der Wundheilung beteiligt, vermehrt sie sich unkontrolliert, weil die normalen Wachstumskontrollen des Organismus nicht mehr greifen. Dadurch kann es zum Tumor-Wachstum kommen.

Diese Mechanismen bieten nach Ansicht der Forschungsgruppe die Möglichkeit, neue Therapieansätze für die Behandlung von Gliomen zu entwickeln.

 

Kommentar

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