Mit der 2. Welle der COVID-19-Pandemie ist auch die sowieso schon erhöhte Gefahr für die Mitarbeiter in der Endoskopie noch einmal gewachsen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Abteilungen sich bisher weder auf ein allgemeines Schutzkonzept noch auf einen Plan zur gegenseitigen Hilfestellung stützen können.
Doch haben sie im Oktober und November 2020 nach und nach jeweils eigene Strategien entwickelt, so dass offenbar noch keine Fachkräfte durch Patienten angesteckt wurden, berichten die Autoren einer noch nicht publizierten Umfrage (die Umfrage liegt Medscape vor). Prof. Dr. Stephan Hollerbach hat die Aktion zusammen mit 2 Kollegen und der ad-hoc Endoskopie-Studiengruppe Deutschland organisiert.
Um den Erfolg zu festigen, plädiert die Gruppe für bundesweite Empfehlungen und eine bessere Koordination der Kliniken.
Zum Herbstbeginn 2020 kam es im Kampf gegen Corona sowohl zu einer negativen wie auch positiven Wende: Die Zahl der Erkrankten begann Ende September exponentiell zu steigen, aber gleichzeitig wurden Antigen-Schnelltests erhältlich, die in 15 bis 20 Minuten durch den Nachweis von Virusproteinen eine Sortierung in wahrscheinlich infektiöse und nichtinfektiöse Personen erlauben.
„Mit unserer Umfrage wollten wir herausfinden, wie Endoskopie-Abteilungen in Deutschland auf diese Herausforderungen reagieren. Es hat sich gezeigt, dass die Schutzmaßnahmen fürs Personal im Oktober noch breit variierten. Erst im November wurden sie stringenter, parallel zu einer langsamen Angleichung“, berichtet Hollerbach.
Im Gespräch mit Medscape fügt der Chefarzt der Klinik für Gastroenterologie am Allgemeinen Krankenhaus Celle hinzu: „Die Stichprobe ist zwar nicht repräsentativ, aber wir halten sie für recht verlässlich, da wir die meisten der Befragten persönlich kennen.“
Bei Endoskopien werden Aerosole freigesetzt
Wie Hollerbach erläutert, bedeuten gerade gastrointestinale Endoskopien, Bronchoskopien und Eingriffe in Mund-, Nasen-, Rachenraum und Speiseröhre für die Fachkräfte eine Hoch-Risiko-Situation: Denn es werden dabei Aerosole freigesetzt, die Viren in großer Menge enthalten, wenn die Patienten infiziert sind – kritische Bedingungen dafür, dass Anwesende diese Partikel einatmen und sich anstecken.
So standen die Endoskopie-Abteilungen schon beim Hereinbrechen der ersten Corona-Welle im Frühjahr 2020 unter enormem Druck, ihre Teams möglichst gut vor Ansteckung zu schützen. Meist im „Do-it-yourself“-Verfahren waren sie gezwungen, sich rasch über Infrastrukturen, Materialbeschaffung und Planung zu informieren. Sie mussten Vorschriften für Patienten und Personal entwerfen, Visiere und Stoffmasken besorgen, anfangs zum Teil sogar selbst basteln, Regeln für Isolation und Quarantäne einführen.
Antigen-Schnelltests bedeuten eine grundlegende Neuerung
Zwar haben die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie und die Deutsche Gesellschaft für Endoskopie bereits Programme zum Personalschutz in der Endoskopie/Bronchoskopie herausgegeben, doch bezogen diese sich fast ausschließlich auf Anamnese, Fragebögen, Checklisten und Schutzkleidung.
Zu Tests existieren bis heute keine Standardverfahren, so auch nicht zu den Antigen-Schnelltests. „Dabei sind sie das, was man ,Game-Changer‘ nennt, denn sie ermöglichen flexiblere Abläufe in den Krankenhäusern, die ohne zusätzliche Finanzhilfen sowohl den Alltagsbetrieb fortführen, als auch die COVID-19-Belastung überstehen müssen“, sagt Hollerbach.
Der Informationsaustausch mit Kollegen sei umso wichtiger, weil bisher nur wenige Schutzmaßnahmen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen. „Mit unserer Umfrage wollen wir dazu beitragen, dass die Empfehlungen künftig gemeinsam erstellt und auf Fakten aufgebaut werden können. Weitere Daten lassen sich inzwischen aus Publikationen anderer europäischer Länder und den USA herausfiltern“, erläutert der Gastroenterologe.
Jeweils im Oktober und November 2020 hatten er und seine Kollegen per E-Mail einen Fragenkatalog an 50 deutsche Kliniken geschickt, genauer gesagt persönlich an Chefärzte oder Oberärzte in Leitungsfunktion der Endoskopie/Gastroenterologie.
Kernpunkte waren: Wie haben sich die Endoskopie-Abteilungen gegen die 2. Welle gewappnet? Welche Unterschiede gibt es? Wurde während des relevanten Zeitraums nachjustiert? Inwieweit werden die neuen Antigen-Schnelltests angewandt, gerade in Notfällen? Sind Endoskopie-assoziierte Infektionen aufgetreten?
In der ersten Runde kamen 26 Antworten, in der zweiten 34, und zwar aus 9 Bundesländern, von denen fast alle mittlerweile als Corona-Hotspots gelten: Niedersachsen, Hamburg, Berlin, Thüringen, Bayern, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein, Hessen und Nordrhein-Westfalen.
Offenbar kaum Infektionen durch Patienten
Das wichtigste Ergebnis vorweg: In der gastrointestinalen Endoskopie wurden bislang keine Übertragungen beobachtet, in der Bronchoskopie 2 Verdachtsfälle. Bei 5 weiteren Mitarbeitern wurden Corona-Infektionen berichtet, die aber vermutlich aus dem familiär-häuslichen Umfeld stammen. Schwere Verläufe gab es nicht.
„Die geringen Zahlen sprechen dafür, dass die Kliniken viel Zeit und Energie auf Personalschutz verwenden und die Maßnahmen auch funktionieren – ein ermutigendes Zeichen, bei diesem Bemühen nicht nachzulassen“, so die Einschätzung der Autoren.
Maßnahmen bei Patienten
Zu Anfang der 2. Pandemie-Welle stellte sich das Bild noch recht heterogen dar. „Ein Flickenteppich“, so beschreibt es Hollerbach. Im Oktober gehörten PCR-Abstrichtests bei Patienten vor der Endoskopie vielfach noch nicht zur Routine, sondern erfolgten zum Teil gar nicht oder nur bei stationärer Aufnahme.
Gebräuchlich war eher eine zweistufige Absicherung: Gleich bei der telefonischen Anmeldung und dann nochmals direkt vor der Untersuchung wurden die Patienten nach suspekten Symptomen wie Fieber, Dyspnoe und Husten gefragt. Vielfach legte man ihnen auch selbst entworfene und folglich unterschiedlich aufgebaute Fragebögen oder Checklisten vor.
„Interessanterweise kam es dann in den nächsten Wochen bis Ende November zu einer klaren Verschiebung“, berichten die Autoren. Sowohl stationär wie ambulant behandelte Patienten wurden deutlich häufiger getestet, während Fragebögen an Bedeutung verloren.
Offensichtlich hatte die Bedrohung durch COVID-19 flächendeckend für ein Umdenken gesorgt, begünstigt dadurch, dass die seit Oktober verfügbaren Antigen-Tests die Prävention entscheidend vereinfachten. Fast 60% der Kliniken nutzten sie zusätzlich zur PCR bei Notfällen, 6% sogar primär.
Vereinzelt wurden weitere Anordnungen erwähnt, die einer Übertragung vorbeugen könnten: 3 Kliniken ließen die Patienten vor oberen Endoskopien mit antiseptischen Spülungen gurgeln, entweder mit Dequalinium-Chlorid wie „Gurgellösung Ratiopharm“ oder mit Ethanol/ätherischen Ölen wie „Listerine Cool Mint“.
Maßnahmen beim Personal
Wie bei den Patienten wurde auch das Testen der Mitarbeiter anfangs sehr divergierend, später einheitlicher gehandhabt. So gingen die Kliniken von Oktober auf November vermehrt dazu über, Mitarbeitern bei respiratorischen oder unklaren Symptomen eine rasche Abklärung anzubieten.
Regelmäßige Untersuchungen auch ohne Beschwerden gab es nur vereinzelt und auch nur für einen Teil der Belegschaft, an manchen Unikliniken im Rahmen von Studien, etwa an der Berliner Charité oder dem UKE Hamburg-Eppendorf. Erst im November gaben 2 Kliniken an, das gesamte Personal in bestimmten Abständen zu testen.
Bei der Ausrüstung war ebenfalls ein Wandel zu beobachten: Noch im Oktober trugen die Mitarbeiter meist lediglich die üblichen chirurgischen Mund-Nasen-Masken und die normale Schutzkleidung. Im November dagegen nutzten sie fast routinemäßig FFP-2-Masken sowie gehäuft weiteres Zubehör: FFP-3-Masken bei COVID-19-Verdacht, Haarnetze und Rundum-Shields.
Nur 2 Kliniken hatten genügend Ressourcen, um ihre Endoskopie-Fachkräfte in 2 unabhängige Teams zu trennen mit dem Ziel, die Gefahr einer gegenseitigen Ansteckung zu minimieren und damit den Personalmangel nicht noch zu verschärfen.
Infektionsabwehr nicht optimal
Die Schlussfolgerung Hollerbachs und seiner Kollegen: Die Umfrage-Daten und die Rückschau auf 2020 lassen vermuten, dass es mit der Infektionsabwehr der deutschen Kliniken bei Pandemien nicht optimal bestellt ist. Herrschte schon bei der ersten Pandemie-Welle im Frühjahr erhebliches Chaos wegen fehlender Schutzausrüstung, so liefen auch bei der zweiten im Herbst verschärfte Maßnahmen in der Endoskopie erst verzögert an.
Die beträchtlichen Unterschiede in den Sicherheitsplänen lassen sich damit erklären, dass die Institutionen fast komplett auf sich gestellt waren und individuell entscheiden mussten, was sie für angemessen hielten.
Zentrale Stellen könnten Kliniken koordinieren
Die bisherigen Erfahrungen sollten zu einer stärkeren Kooperation anregen, um in gemeinschaftlicher Anstrengung gefährliche Infektionen zu meistern. Voraussetzung ist nach den Worten der Autoren eine landes- und bundesweite digitale Vernetzung mit Bündelung von Ressourcen. Um ein schnelles und konzertiertes Handeln aller deutschen Krankenhäuser zu gewährleisten, schlagen sie vor, zentrale Stellen für den Infektionsschutz bei Pandemien einzurichten.
„Meiner Ansicht nach wäre es ratsam, viel großzügiger zu testen“, so Hollerbach. Doch diese zunächst vage Prämisse müsse präzisiert werden: Welche Abstände genau? Sollte man routinemäßig Cluster-Tests machen, ohne nach Einzelpersonen zu differenzieren, und erst gezielt vorgehen, wenn ein Kit anschlägt? Und was tun bei Notfällen – stets eine doppelte Absicherung mit PCR und Schnelltest?
Lohnt es sich denn, noch viel Forschungsaufwand zu investieren im Hinblick darauf, dass schon die ersten Impfkampagnen beginnen? „Auf jeden Fall,“, meint Hollerbach, „denn bis die Impfungen das Endoskopie-Personal einbeziehen und sich das Infektionsrisiko in den Krankenhäusern abschwächt, wird es mindestens bis zum Sommer 2021 dauern. Nicht zuletzt wäre man damit auch gegen künftige Pandemien besser gerüstet.“
Medscape Nachrichten © 2021
Diesen Artikel so zitieren: Endoskopie in Corona-Zeiten: Bundesweite Umfrage zeigt, Kliniken haben Schutz des Personals weitgehend selbst bewältigt - Medscape - 12. Jan 2021.
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