Durchschnittlich zahlen Pflegebedürftige oder ihre Angehörigen rund 2.000 Euro pro Monat für einen Pflegeplatz inklusive aller Pflegeleistungen, Unterkunft und Essen. Immer öfter muss die Sozialhilfe einspringen, weil Senioren die steigenden Heimkosten nicht mehr selber finanzieren können. Damit hat aber die Pflegeversicherung ihr eigentliches Ziel verfehlt. Sie ist 1995 an den Start gegangen, um Sozialhilfe bei Pflegebedürftigen möglichst zu vermeiden.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat bereits im November 2020 in einem Eckpunktepapier gefordert, die Eigenbeteiligung für die Pflege auf höchstens 700 Euro pro Monat für längstens 36 Monate zu begrenzen, also auf etwa 25.000 Euro. Die DAK-Gesundheit hat den Bremer Pflegewissenschaftler Prof. Heinz Rothgang damit beauftragt, Spahns Vorschlag durchzurechnen [1]. Das Konzept könnte funktionieren.
Pflege: Eigenanteil von 2.076 Euro pro Monat
Mitte 1996 nach Einführung der Pflegeversicherung lag der Eigenanteil nur für die Pflege bei durchschnittlich 77 Euro pro Monat. Bis Juli 2020 hat er sich auf durchschnittlich 794 Euro im Monat verzehnfacht. Hinzu kommen durchschnittlichen Kosten von monatlich 774 Euro für Unterkunft und Verpflegung, 453 Euro für Investitionskosten der Heime und 55 Euro für Ausbildungskosten des Pflegepersonals. Der Eigenanteil liegt damit bei durchschnittlich 2.076 Euro im Monat pro Kopf. „Die Eigenanteile sind so hoch, dass viele Pflegebedürftige überlastet sind und durch die Pflegekosten in der Sozialhilfe landen“, sagt Thomas Kalwitzki zu Medscape. Er ist Mitautor der Studie und forscht ebenfalls an der Universität Bremen.
Laut Eckpunktepapier soll die Pflegeversicherung nach Ablauf von 36 Monaten die Pflegekosten übernehmen. Außerdem müssten sich die Bundesländer mit 100 Euro pro Monat an Investitionskosten der Heime beteiligen. Die zusätzlichen Kosten, die dadurch bei der Pflegeversicherung auflaufen würden, sollen aus Steuergeldern beglichen werden.
Die geplanten Schritte würde die Zahl an Sozialhilfeempfängern unter Heimbewohnern von derzeit 33 auf 25% senken – laut Studie die niedrigste Fürsorgequote seit über 20 Jahren.
„Der BMG-Vorschlag führt dazu, dass die Sozialhilfeträger der Länder jährlich 2 Milliarden Euro weniger zahlen müssten“, erklärt Kalwitzki. Selbst wenn man die Kosten für die Investitionen gegenrechnet, bleiben den Ländern auf den Haben-Seite noch rund 1 Milliarde Euro im Jahr. „Und die Kosten, die die Kassen für das Reformpaket tragen müssten, lägen bei 5 Milliarden Euro“, so Kalwitzki. Kassen bekämen das Geld ganz oder teilweise aus dem Steuersäckel erstattet.
Derzeit laufen nach Auskunft des Bundesgesundheitsministeriums Gespräche mit der Regierungsfraktionen über die Details der kommenden Pflegereform. Daraus werde man konsentierte Eckpunkte entwickeln und auf der Grundlage dann einen Formulierungsvorschlag für einen Gesetzentwurf machen, heißt es weiter.
Eigentlich würde da das Geld des Steuerzahlers von einer Tasche in die andere geschoben“, räumt Kalwitzki ein. Für den Vorstandsvorsitzenden der DAK-Gesundheit, Andreas Storm, ist das aber kein Argument. „Für uns ist es ein Unterschied, ob ich eine steuerfinanzierte Sozialleistung habe, die allen zugutekommt, oder ob ich Menschen mit weniger Geld, die aber ihr ganzes Leben gearbeitet haben, zu Fürsorgeempfängern mache, die vom Sozialamt nur ein Taschengeld erhalten“, sagt Storm zu Medscape.
Kritik vom PKV-Verband: Die Reform ist zu teuer
Auch künftig Pflegebedürftige würden von Spahns Strukturreform profitieren, meint Storm. Denn mit der Aussicht auf höchstens 25.000 Euro als klar definiertem Eigenanteil „kann jeder mit einer entsprechenden Pflegezusatzversicherung privat vorsorgen“, sagt er. Das ist bisher schwierig, unter anderem deshalb, weil die Höhe des Schadens für die Versicherung, also die entstehenden tatsächlichen Pflegezusatzkosten, stets offen und deshalb schwer einzuschätzen und noch schwerer zu versichern waren.
Der Verband der privaten Krankenversicherer kritisiert die Vorschläge des BMG-Papiers als zu teuer. Es werde nicht bei den prognostizierten 6 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich bleiben, so Dr. Frank Wild, Leiter des Wissenschaftlichen Instituts der PKV. „Um die in der Reform geplanten Mehrleistungen real konstant zu halten, müsste der Steuerzuschuss jedes Jahr erheblich zunehmen“, sagt Wild. „2030 werde der Betrag auf 7,6 Milliarden Euro pro Jahr angewachsen sein. Für den Zeitraum 2021 bis 2030 ergäbe sich damit ein Bedarf von insgesamt 67,8 Milliarden Euro.“
Derzeit laufen nach Auskunft des Bundesgesundheitsministeriums „Gespräche mit der Regierungsfraktionen über die Details der kommenden Pflegereform“. Daraus werde das Bundesgesundheitsministerium konsentierte Eckpunkte entwickeln und auf der Grundlage dann einen Formulierungsvorschlag für einen Gesetzentwurf machen, hieß es.
Zwar würden laut der Bremer Studie an die 90% der Heimbewohner sofort von der Reform profitieren. Die vollständige Kostenübernahme von maximal 700 Euro durch die Pflegekasse erleben nur rund 40% von ihnen. Die meisten alten Menschen in den Heimen sterben früher.
Medscape Nachrichten © 2021
Diesen Artikel so zitieren: Pflegereform: Spahn will Eigenbeteiligungen deckeln – und Sozialforscher liefern weitere Argumente - Medscape - 11. Jan 2021.
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