Erstmals wurde mit Sotagliflozin (Zynquista®) ein Wirkstoff untersucht, der als SGLT1- und als SGLT2-Inhibitor wirkt und dabei einen großen Benefit erzielt. Der neuartige Arzneistoff zeigte in 2 internationalen Studien bei fast 12.000 Patienten mit Typ-2-Diabetes zahlreiche Vorteile seiner Wirkstoffklasse.
Die Zahl der Herzinfarkte und der Schlaganfälle ging erheblich zurück. Auch Hyperglykämien bei Patienten mit schwerer Nierenfunktionsstörung und einer geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR) von 25-29 ml/min pro 1,73 m2 wurden erheblich reduziert.
Die Behandlung kann schon bei stationären, aber stabilen Patienten nach einer akuten Dekompensation einer Herzinsuffizienz sicher und effektiv eingeleitet werden. Schließlich sank das Risiko für kardiovaskulär bedingte Todesfälle, für Klinikaufenthalte oder dringende ambulante Therapien wegen einer Herzinsuffizienz bei 739 Patienten mit Herzinsuffizienz und erhaltener Ejektionsfraktion (HFpEF) um beachtliche 37%.
Hinzu kommen bekannte Vorteile von SGLT2-Inhibitoren: ein Rückgang der Zahl an kardiovaskulären Todesfällen und der Klinikeinweisungen aufgrund einer Herzinsuffizienz bei allen Typ-2-Diabetikern sowie ein Erhalt der Nierenfunktion und eine Senkung des HbA1c-Werts bei Typ-2-Diabetikern mit einer eGFR von mindestens 30 ml/min pro 1,73 m2.
„Die Daten sehen spektakulär aus“, fasste Dr. Deepak L. Bhatt von der Harvard Medical School in Boston die Ergebnisse der beiden Studien SOLOIST-WHF und SCORED anlässlich der virtuellen Scientific Sessions 2020 der American Heart Association (AHA) zusammen [1].
„Ich glaube, dass Sotagliflozin das Potenzial zum Klassenbesten hat“, so Bhatt in einem Interview mit Blick auf die zahlreichen zusätzlichen günstigen Eigenschaften, die in den beiden Studien aufgezeigt werden konnten. „Wir haben gesehen, dass das Präparat sehr sicher, gut verträglich und wirksam ist.“
Weniger kardiovaskuläre Ereignisse unter Sotagliflozin
Sotagliflozin verringerte bei Typ-2-Diabetikern, die kürzlich wegen Herzinsuffizienz im Rahmen der SOLOIST-WFH-Studie in stationärer Behandlung gewesen waren, das Risiko von Ereignissen des primären Endpunkts um 33%. Der primäre Endpunkt setzte sich zusammen aus der Gesamtzahl kardiovaskulär bedingter Todesfälle, Klinikaufenthalten oder dringenden ambulanten Konsultationen aufgrund einer Herzinsuffizienz während der durchschnittlichen Nachbeobachtungszeit von mehr als 9 Monaten.
Zudem gab es eine signifikante relative Risikominderung um 26% unter Sotagliflozin für denselben Endpunkt nach einem durchschnittlichen Follow-up von etwas mehr als 14 Monaten in der SCORED-Studie, in die Typ-2-Diabetiker mit chronischer Nierenerkrankung eingeschlossen worden waren.
„Sotagliflozin schreibt die Geschichte der SGLT2-Hemmer fort“, und die Ergebnisse der SOLOIST-WHF-Studie „könnten unser Augenmerk auf die gefährdeten Patienten mit akuter Herzinsuffizienz lenken, denen sich hiermit die Möglichkeit einer Behandlung während der Übergangsphase beim Verlassen der Klinik bietet“, kommentierte Dr. Jane E. Wilcox, eine auf Herzinsuffizienz spezialisierte Kardiologin der Northwestern Medicine in Chicago.
Duale SGLT-Hemmung als innovatives Wirkprinzip
Was Sotagliflozin von SGLT2-Inhibitoren unterscheidet, ist, dass es nicht nur dieses Transportprotein hemmt, sondern auch dessen Isoform SGTL1, die vor allem im Magen-Darm-Trakt vorkommt, wo Glukose im Wesentlichen resorbiert wird. Bhatt sagte, ihm seien keine anderen SGLT1/2-Hemmer bekannt, die sich momentan in fortgeschrittenen klinischen Tests befänden.
Die Aktivität von Sotagliflozin gegen SGLT1 erklärt wahrscheinlich, wieso es den HbA1c-Wert von Patienten mit schwerer Nierenfunktionsstörung senkt. Bei ihnen verhindert die renale Erkrankung die Glukosesenkung durch SGLT2-Hemmer.
In der SCORED-Studie, bei der 10.584 Typ-2-Diabetiker an 750 Zentren in 44 Ländern randomisiert wurden, hatten 813 Patienten (8%) zum Zeitpunkt der Rekrutierung eine eGFR von 25-29 ml/min pro 1,73 m2. Die Sotagliflozin-Behandlung führte in dieser Untergruppe sowie bei Patienten mit einer eGFR von 30-60 ml/min zu einem durchschnittlichen Rückgang des HbA1c-Wertes um 0,6% pro 1,73 m2.
„Dies ist für Endokrinologen und Hausärzte, die Typ-2-Diabetiker mit schweren Nierenfunktionsstörungen behandeln, ein großes Ergebnis“, sagte Bhatt, „das allein ist schon ein guter Grund, dieses Medikament zuzulassen“.
Derselbe Mechanismus könnte auch einen weiteren unerwarteten Befund bei SCORED erklären. Die Behandlung mit Sotagliflozin senkte die Gesamtzahl kardiovaskulär bedingter Todesfälle, nicht tödlicher Herzinfarkte oder Schlaganfälle im Vergleich zu Placebo um absolut 1,6% und um relativ 23%. Dieser Nutzen ging weitgehend auf eine relative Risikoreduzierung von insgesamt 32% bei Herzinfarkten bzw. 34% beim Schlaganfall zurück – beides sind statistisch signifikante Unterschiede.
„Kein SGLT2-Hemmer hat bislang einen Rückgang bei den Schlaganfallzahlen gezeigt, und die Werte beim Herzinfarkt waren uneinheitlich. Die deutlichen Zahlen beim Sotagliflozin in dieser Hinsicht sind im Vergleich zu den SGLT2-Hemmern einzigartig“, so Bhatt. Dies sei wahrscheinlich auf eine Blockade von SGLT1 im Darm und eine Verringerung der dortigen Glukoseaufnahme zurückzuführen – ein neuartiger Mechanismus, den man noch nicht vollständig verstehe.
Benefit für HFpEF-Patienten
Außerdem zeigt Sotagliflozin Vorteile, die wahrscheinlich für alle SGLT2-Inhibitoren gelten.
HFpEF-Patienten profitieren vom Wirkstoff. Weder die SOLOIST-Studie mit 1.222 Typ-2-Diabetikern, die wegen einer sich verschlechternden Herzinsuffizienz stationär aufgenommen wurden, noch die SCORED-Studie mit Typ-2-Diabetikern und chronischer Nierenerkrankung (eGFR 25-60 ml/min pro 1,73 m2) schloss HFpEF-Patienten aus (definiert als linksventrikuläre Ejektionsfraktion von > 50%). Insgesamt verteilten sich 739 dieser Patienten recht gleichmäßig auf beide Gruppen. Sie erhielten Sotagliflozin oder Placebo.
Die kombinierte Analyse zeigte, dass die Inzidenzrate für den primären Endpunkt sowohl in der SOLOIST- als auch in der SCORED-Studie unter Placebo bei 59% und unter Sotagliflozin bei 39% lag. Das entspricht einem absoluten Rückgang von 11,6 Ereignissen pro 100 Patientenjahre und einer signifikanten relativen Risikominderung von 37%. Als Anzahl der notwendigen Behandlungen, um 1 Ereignis pro Jahr zu verhindern (number needed to treat, NNT), geben die Autoren 9 an.
Obwohl diese Beobachtung aus einer nicht vordefinierten kombinierten Analyse stamme, „erscheint mir das Ergebnis real, und ich denke, es handelt sich um einen Klasseneffekt, der sich nach meiner Vorstellung auf die SGLT2-Inhibitoren allgemein übertragen lässt“, sagte Bhatt. „Es wird mein Therapiemanagement verändern“, fügte er hinzu. Er sehe sich dazu ermutigt, Typ-2-Diabetiker mit HFpEF intensiver mit SGLT2-Inhibitoren zu versorgen.
„Ich denke, es gab einige Bedenken, SGLT2-Inhibitoren bei diesen Patienten einzusetzen“, was er auf die spärliche Datenlage in dieser Population zurückführt, auch wenn die Packungsbeilagen und die Empfehlungen der Fachgesellschaft dies nicht ausschließen würden. „Ich hoffe, dass dieses Ergebnis das Pendel in eine andere Richtung ausschlagen lässt und sich auch insgesamt die Akzeptanz von SGLT2-Inhibitoren, die bisher eher gering war, verbessert“, sagte er.
SGLT-Hemmung bald auch nach akuter dekompensierter Herzinsuffizienz
Ein anderer Befund, der sich wahrscheinlich auf alle SGLT2-Inhibitoren übertragen lässt, bezieht sich auf das Design der SOLOIST-WHF-Studie, bei der die Wirksamkeit und Sicherheit von Sotagliflozin für Typ-2-Diabetiker untersucht wurde, die sich gerade erst stationär nach einer akuten dekompensierten Herzinsuffizienz stabilisiert hatten.
„Der Nachweis der Sicherheit und Wirksamkeit eines Medikaments bereits unter stationären Bedingungen ist ziemlich wertvoll, weil es dem Patienten dessen Bedeutung aufzeigt und damit auch die Compliance fördern wird“, wie Bhatt prognostiziert. „Das ist der Königsweg, um zu verhindern, dass Patienten durch die Maschen fallen und keinen SGLT2-Hemmer erhalten.“
In SOLOIST-WHF wurden Patienten aufgenommen, die wegen einer sich verschlechternden Herzinsuffizienz ins Krankenhaus eingeliefert wurden und auch intravenöse Diuretika benötigten, aber sich so stabilisierten, dass sie auf ein orales Diuretikum umgestellt werden konnten und keinen Sauerstoff mehr bekamen. Während eines durchschnittlichen Nachbeobachtungszeitraums von etwas über 9 Monaten (sowohl SOLOIST-WHF als auch SCORED wurden aufgrund einer Änderung der Förderung durch die Pharmafirma vorzeitig beendet) senkte Sotagliflozin das Risiko von Ereignissen des primären Endpunkts im Vergleich zu Placebo relativ um 33% und absolut um 25 Ereignisse pro 100 Patientenjahre bei einer NNT von 4.
Sotagliflozin zeichne sich durch eine auffallend hohe Behandlungseffizienz aus, die auf die hohe Ereignisrate bei kürzlich dekompensierten Patienten zurückzuführen sei, so Bhatt. Der Nutzen stelle sich sehr schnell ein, und man sehe innerhalb von 28 Tagen eine signifikante Verringerung der Ereignisse. Die Extrapolation dieser Ergebnisse auf SGLT2-Hemmer im Allgemeinen sei „kein übertriebener Vertrauensvorschuss“, ergänzt Bhatt.
„Sotagliflozin hat einen Platz in der Therapie der akuten Herzinsuffizienz. Es zeigte bei diesen Hochrisikopatienten seinen Benefit in der Übergangsphase“, sagte Wilcox.
Gleichzeitig mit Bhatts Präsentation wurden die Ergebnisse von SOLOIST-WHF und SCORED online im New England Journal of Medicine veröffentlicht.
Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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Diesen Artikel so zitieren: Historie der SGLT2-Hemmer fortgeschrieben: Phase-3-Daten zu SGLT1/2-Hemmer Sotagliflozin bei Typ-2-Diabetikern - Medscape - 8. Jan 2021.
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