Sowohl Vorhofflimmern (AF) als auch venöse Thromboembolien (VTE) erhöhen das Risiko thromboembolischer Komplikationen und erfordern deshalb eine antikoagulative Therapie. Muss bei diesen Patienten eine perkutane koronare Intervention (PCI) durchgeführt werden, benötigen sie im Vorfeld und nach der Intervention zusätzlich noch einen oder 2 Thrombozytenaggregationshemmer.
Eine ähnliche Situation kann auch bei Patienten vorkommen, die wegen einer atherosklerotisch bedingten kardiovaskulären Erkrankung solche Plättchenhemmer einnehmen und wegen neuem AF oder VTE antikoaguliert werden sollen. Eine solcherart kombinierte antithrombotische Therapie erhöht allerdings das Blutungsrisiko signifikant. Ein US-amerikanisches interdisziplinäres Expertengremium hat jetzt einen Leitfaden zur antithrombotischen Therapie für diese Situationen veröffentlicht [1].
„Diese Aufstellung ist sehr sinnvoll“, bewertet Prof. Dr. Hanno Riess, Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Onkologie und Hämatologie an der Charité Berlin, die Publikation im Journal of the American College of Cardiology (JACC). „Denn sie gibt Antworten auf Fragen, die sich im Praxisalltag häufig stellen.“
Klinische Fragen in 4 zentralen Szenarien erläutert
Die 14 Autoren um Prof. Dharam J Kumbhani, Southwestern Medical Center, University of Texas, beschreiben in ihrer Zusammenfassung differenzierte Behandlungsempfehlungen für 4 verschiedene klinische Szenarien:
aufgrund von Vorhofflimmern antikoagulierte Patienten, die eine PCI und Plättchenhemmung benötigen;
Patienten unter Plättchenhemmung mit neuer Diagnose von Vorhofflimmern, die antikoaguliert werden sollen;
antikoagulierte Patienten nach venöser Thromboembolie, die eine PCI und Plättchenhemmung benötigen;
Patienten unter Plättchenhemmung mit neuer Diagnose einer venösen Thromboembolie, die antikoaguliert werden sollen.
Diese Szenarien bilden die Ausgangspunkte für die Behandlungsempfehlungen vor, während und nach der kardialen Intervention sowie für die Erhaltungsdosierungen verschiedener Antikoagulanzien und Plättchenhemmer. Die Empfehlungen basieren dabei wesentlich auf Daten aus 5 großen klinischen randomisierten Studien mit über 11.000 Patienten mit AF und PCI.
Zusätzlich werden die Ergebnisse auf die deutlich weniger studienmäßig belegten Konstellationen von VTE und PCI sowie Plättchenhemmung bei chronischen arteriosklerotischen Erkrankungen ausgedehnt. Diese Ausführungen wurden von einem zweiten, 10-köpfigen Komitee weiterer Experten überprüft und vor Veröffentlichung abschließend von weiteren 23 interdisziplinären Spezialisten peer-reviewed.
„Gerade in der fachübergreifenden Kompetenz und der Konsensfindung der Beteiligten liegt die Qualität dieses Leitfadens“, bemerkt Riess dazu. „Obschon Kardiologen des American College of Cardiology (ACC) schriftführend sind, fließen auch die Erkenntnisse und Erfahrungen von Phlebologen, Neurologen, Hämatologen, Apothekern und Pflegespezialisten mit ein.“
Antikoagulation plus Plättchenhemmung kann Blutungsrisiko erhöhen
Die Autoren beziehen sich besonders auf die häufigen Fälle, in denen antikoagulierte Patienten eine PCI und damit auch eine Plättchenhemmung benötigen. Aber auch die Konstellation einer vorbestehenden Therapienotwendigkeit mit Plättchenhemmern und neu hinzukommender Antikoagulationsindikation aufgrund von AF oder VTE wird ausführlich behandelt. Denn jeweils alleinige Antikoagulation oder PFH reduzieren thromboembolische Komplikationen bei diesen Patienten unzureichend, aber die Kombination erhöht das behandlungsbedingte Blutungsrisiko.
Das Ziel der ACC-Empfehlungen ist, für jeden Patienten einen Behandlungskorridor der optimalen antithrombotischen Therapie mit maximal reduziertem Thromboembolie-Risiko zu definieren, ohne dabei das Blutungsrisiko aus den Augen zu verlieren.
Therapieempfehlungen mit Flussdiagrammen und Tabellen
Die zentralen Elemente des Leitfadens sind einheitlich strukturierte Flussdiagramme, die – unterstützt von detaillierten Tabellen – Ablaufpläne je nach medizinischer Situation und Erfordernis geben. Ausgehend von den oben erwähnten 4 klinischen Szenarien werden das Thromboembolie-Risiko, das Blutungsrisiko, der Zeitpunkt der indikationsauslösenden Ereignisse, der Behandlungsverlauf und auch die Bedeutung der Patientenpräferenz diskutiert.
Die dabei empfohlenen Antithrombotika sind Acetylsalicylsäure (ASS) und der P2Y12-Inhibitor Clopidogrel als vorrangige Plättchenfunktionshemmer, direkte orale Antikoagulanzien wie Apixaban, Vitamin-K-Antagonisten und niedermolekulare Heparine wie Enoxaparin, jeweils mit Dosierungen für Akut- und Erhaltungstherapie.
Auch die Bedeutung von H2-Blockern und Protonenpumpen-Inhibitoren zur Prävention gastrointestinaler Blutungskomplikationen wird hervorgehoben und in die Empfehlungen einbezogen.
„Diese sehr detaillierten Empfehlungen sind durchaus geeignet, sachgerechte Entscheidungen zu treffen“, erläutert Riess. „Allerdings bilden vereinzelt die dargestellten Abwägungen etwa bei zusätzlichem Vorliegen von Krebserkrankungen die klinische Komplexität dieser Situation unzureichend ab.“
„Es lohnt sich auf jeden Fall besonders für diejenigen, die solche Patienten vor, während und auch im Nachgang einer PCI betreuen, diesen US-amerikanischen Leitfaden zu lesen, da sehr vieles auch auf deutsche Verhältnisse übertragbar ist“, konstatiert Riess. „Er ist von Praktikern für Praktiker geschrieben, interdisziplinär, interprofessionell und geht sehr konkret über das hinaus, was man üblicherweise in Leitlinien findet.“
Medscape Nachrichten © 2021
Diesen Artikel so zitieren: Welche Antikoagulation bei PCI, wenn AF oder VTE vorliegen? „Antworten auf Fragen, die sich in der Praxis häufig stellen“ - Medscape - 7. Jan 2021.
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