MEINUNG

Die positiven Effekte der Pandemie auf die Medizin: „Lasst uns nicht die Lektionen vergessen, die wir 2020 gelernt haben!“

Prof. Dr. Mamas Mamas

Interessenkonflikte

5. Januar 2021

Der britische Kardiologe Prof. Dr. Mamas Mamas wagt einen ungewöhnlichen Blick auf COVID-19. Er sieht für Medizin und Forschung große Fortschritte durch die Pandemie: Mehr Zusammenarbeit, mehr digitale Angebote und Wissen ohne Hürden. 

Das deutsche Transkript des Videos von Medscape UK wurde aus Gründen der besseren Lesbarkeit redigiert.

Hallo und willkommen bei Medscape. Mein Name ist Mamas Mamas, ich bin Professor für Kardiologie an der britischen Keele University.

Heute werde ich mich in meinem Beitrag auf positive Aspekte der COVID-19-Pandemie konzentrieren.

Wir sind uns alle der vielen negativen Dinge bewusst, die wir erlebt haben – der unnötigen Todesfälle in der Bevölkerung, der Auswirkungen auf unser Arbeitsleben, der Auswirkungen auf die Versorgung von Patienten, der Auswirkungen auf die kardiovaskuläre Gesundheit vieler Menschen.

Und im persönlichen Bereich fehlen uns die Möglichkeiten, etwa zu reisen, Freunde oder unsere Lieben zu sehen, insbesondere unsere älteren Eltern oder unsere Verwandten, die durch COVID-19 am stärksten gefährdet sind.

Trotz all dieser bekannten Nachteile denke ich, dass COVID-19 auch zu einigen positiven Veränderungen geführt hat.

Wir arbeiten weltweit enger zusammen

In erster Linie denke ich, dass die Pandemie Mitarbeiter des Gesundheitswesens rund um den Globus viel enger zusammengebracht hat.

Lassen Sie uns zum Anfang des Jahres 2020 zurückkehren, als wir mit einem damals unbekannten Virus konfrontiert waren, einem Virus, bei dem wir nur sehr wenig über seine Übertragbarkeit wussten, einem Virus, bei dem wir nur sehr wenig Einblick in seine Auswirkungen auf den gesamten Körper hatten. Wir wussten nicht, wie man die Infektion behandelt und wie wir unsere ärztlichen Dienstleistungen – ohne uns hohen Risiken auszusetzen – erbringen können.

Für diese und viele andere Fragen haben wir uns an Kollegen im fernen Osten und in Südeuropa, in China und in Italien gewandt, die sehr früh die Hauptlast des Virus zu tragen hatten.

Sie schenkten uns großzügig ihre Zeit und teilten mit uns ihre Protokolle, ihre Behandlungsstrategien und ihre Konzepte, wie sie ihre Dienste umstrukturiert haben, damit wir uns besser vorbereiten können, wenn COVID-19 an unseren Küsten ankommt.

Dies geschah durch Webinare oder Beiträge in den sozialen Medien und durch Kommunikation auf direktem Wege.

Rasante wissenschaftliche Fortschritte

Ich denke, dass COVID-19 auch positive Aspekte für die Wissenschaft mit sich brachte und den Fortschritt beschleunigte.

Vor einem Jahr wussten wir sehr wenig über die Molekularbiologie des Virus, über seine Wirkung im Körper, über Zielstrukturen, um es anzugreifen, und über mögliche Therapien.

Ein Jahr später haben wir mehrere neuartige Impfstoffe in den Händen. Sie wurden bei zehntausenden Probanden getestet, und jetzt profitieren wir alle von den Ergebnissen.

Darüber hinaus wurden mehrere randomisierte, kontrollierte Studien durchgeführt, in denen Therapien zur Behandlung von COVID-19 untersucht worden sind. Obwohl einige davon enttäuschend waren, speziell einige, die zu Beginn der Pandemie als vielversprechend galten, zeigt sich doch, wie schnell randomisierte, kontrollierte Studien in der Stunde der Not durchgeführt und wie rasch Ergebnisse veröffentlicht werden können.

Die Wissenschaft hat sich geöffnet. Über Preprint-Server können die neuesten Forschungsergebnisse zu COVID-19 mit der wissenschaftlichen Community geteilt werden, sodass wir sie alle lesen und lernen können. Publikationen zu COVID-19 liegen größtenteils nicht mehr hinter einer Paywall. Viele Verlage stellen solche Forschungsergebnisse frei zur Verfügung, was ihnen hoch anzurechnen ist. Damit konnten alle Mitglieder der wissenschaftlichen Community von den Artikeln profitieren.

Virtuelle Konferenzen erreichen mehr Teilnehmer als je zuvor

Ich denke, dass sich auch die Wissensvermittlung für Menschen auf unterschiedlichen Karrierestufen verbessert hat, weil Wissen leichter zugänglich wurde.

Es ist interessant, zu sehen, dass im Jahr 2019 am European Society of Cardiology (ESC)-Kongress knapp 30.000 Personen teilgenommen haben. Auf den virtuellen Plattformen im Jahr 2020 waren es mehr als 110.000 Personen aus aller Welt. Und ähnlich große Zuwächse bei den Teilnehmerzahlen verzeichnen die Organisatoren des ACC, des SCAI, des EuroPCR und des TCT.

Ich denke, dies ist wichtig, weil Bildung quasi demokratisiert und allen frei zugänglich gemacht worden ist. Menschen, die traditionell nicht die finanziellen Mittel oder die Möglichkeit haben, damit sie um den halben Globus reisen, erhalten jetzt ebenfalls Zugang zum Wissen.

Außerdem ermöglicht dieser Trend allen Wissenschaftlern, selbst Bildungsinhalte hochzuladen. Plötzlich bekommen viel mehr Menschen als früher eine Stimme – zuvor standen nur wenige, ausgewählte Personen auf dem Podium von Kongressen.

Zoom-Webinare haben die Demokratisierung der Meinung Einzelner und die Demokratisierung der Bereitstellung von Bildungsmaterial ermöglicht.

Ich denke auch, dass die COVID-19-Pandemie uns viel näher zusammengebracht hat. Wir haben alle mit Problemen zu kämpfen. In der Folge sind in der virtuellen Welt über Social Media Netzwerke zur gegenseitigen Unterstützung entstanden. Diese können sich auf unser Wohlbefinden und unsere psychische Gesundheit auswirken.

Neue Wege des Arbeitens entstehen

Ich denke, die Pandemie hat auch unsere Möglichkeiten, Patienten zu versorgen, verändert.

Wir haben als Gesundheitsexperten die Herausforderung angenommen und die Art und Weise, wie wir Dienstleistungen zum Schutz unserer älteren und gebrechlichen Menschen erbringen, komplett verändert. Wenn mir jemand vor einem Jahr gesagt hätte, dass ich virtuelle bzw. telemedizinische Services anbieten würde, hätte ich gelacht. Ich bin mir sicher, dass viele von uns ähnlich reagiert hätten. Dennoch stehen wir nun hier und bieten älteren, gebrechlichen Patienten solche Leistungen an, um sie vor den Folgen einer Infektion zu schützen.

Wir unterschätzen oft, welche Auswirkungen dies auf Patienten hat, die mehrere Grunderkrankungen haben und vielleicht nicht mehr laufen können, die auf einen Transport angewiesen sind, um zu Terminen ins Krankenhaus zu kommen. Das belastet diese Patienten sehr, und sicherlich muss die Art und Weise, wie wir die Gesundheitsversorgung im letzten Jahr organisiert haben, der Weg in die Zukunft sein.

Hoffnung auf ein Ende der Pandemie

Ich denke, mittlerweile ist Hoffnung angebracht. Während sich das Virus in vielen Teilen der Welt weiterhin verbreitet, werden mit Hochdruck die Impfstoffe ausgeliefert. Damit gelangt ein Ende der Pandemie in Sicht.

Ich hoffe aber, dass viele der Lektionen, die wir während COVID-19 gelernt haben, dauerhaft die Art und Weise verändern werden, wie wir arbeiten, wie wir uns weiterbilden und wie wir miteinander umgehen.

Ich wünsche Ihnen alles Gute für das Jahr 2021. Ich hoffe, das neue Jahr bringt viel Freude und Glück und wird für uns alle besser. Aber lassen Sie uns nicht die Lektionen vergessen, die wir in 2020 gelernt haben!

Der Beitrag wurde von Michael van den Heuvel aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

Prof. Dr. Mamas A. Mamas ist Kardiologe und klinischer Direktor. Er arbeitet am Centre for Prognosis Research, Institute for Primary care and Health Services, der Keele University. Außerdem ist Mamas beratender Kardiologe für interventionelle Kardiologie am Department of Cardiology, University Hospital North Midlands, Stoke-on-Trent. Im Auftrag der European Society of Cardiology (ESC) hat er die NSTEMI-Leitlinien koordiniert.
 

Kommentar

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