Nach den Ergebnissen einer Phase-3-Studie lassen sich mit Rilonacept sowohl akute Episoden einer rezidivierenden Perikarditis behandeln als auch weitere Rezidive verhindern.
Das Mittel wirkt wie eine Falle für Interleukin-1α- und Interleukin-1β-Zytokine und vermindert damit das Entzündungsgeschehen. Rilonacept ist von der FDA (US Food and Drug Administration) bereits zur Behandlung der so genannten Cryopyrin-assoziierten periodischen Syndrome (CAPS) zugelassen, einer Gruppe seltener ererbter Entzündungskrankheiten.
„Die RHAPSODY-Studie zeigt bei symptomatischen Perikarditis-Patienten, bei denen der Standardansatz mit Colchicin und Steroiden versagt hat, ein sehr robustes Ansprechen auf Rilonacept“, erklärte Dr. Allan Klein, Direktor des Zentrums für die Diagnose und Behandlung von Perikard-Erkrankungen an der Cleveland Clinic in Cleveland, Ohio, gegenüber Medscape.
Schon nach der ersten Dosis Rilonacept kam es zu einem „raschen Abflauen“ des akuten Schubs, und das relative Risiko eines Rückfalls sank um 96%, „was ein ziemlich extremer Wert ist“, sagte Klein, Erstautor der Studie. Die Patienten konnten von der Standardtherapie mit Steroiden entwöhnt werden und berichteten über eine verbesserte Lebensqualität. Unter der Behandlung gaben die Patienten über 98% des Untersuchungszeitraums keine oder nur minimale Perikarditis-Schmerzen an, fügte er hinzu.
„Diese Daten könnten einen Paradigmenwechsel bedeuten, da Rilonacept nicht nur für die Hälfte der Studienpopulation, die bei Studienbeginn Steroide einnahm, eine Option ohne Steroide darstellt, sondern möglicherweise auch die Notwendigkeit der Steroidgabe bei Patienten, die trotz Colchicin ein Rezidiv erleiden, überflüssig macht“, schloss Klein.
Die Ergebnisse der RHAPSODY-Studie (Rilonacept Inhibition of Interleukin-1 Alpha and Beta for Recurrent Pericarditis, a Pivotal Symptomatology and Outcomes Study) wurden bei den virtuellen Scientific Sessions 2020 der American Heart Association (AHA) vorgestellt [1] und auch im New England Journal of Medicine veröffentlicht [2]. Mitverantwortlich für die Studie war Dr. Massimo Imazio vom AOU Città della Salute e della Scienza di Torino in Turin.
„Aufregende Ergebnisse“
Dr. Athena Poppas, Präsidentin des American College of Cardiology, bezeichnete die Ergebnisse als „aufregend“. „Es dürfte die bisherige Praxis verändern und bestätigt zudem die Hypothese von vor allem Interleukin-1 als primären Mediator dieser Erkrankung“, sagte Poppas in einem Interview.
Eine Perikarditis ist „eine ungewöhnliche, aber auch besonders herausfordernde Erkrankung, weil es bisher keine wirklich erfolgreichen Behandlungsmethoden dagegen gibt und sie für die Patienten eine schwere Beeinträchtigung bedeuten kann“, stellte sie fest. Die meisten Medikamente, die derzeit zur unspezifischen Immunsuppression eingesetzt würden, könnten erhebliche Nebenwirkungen haben, wenngleich das für diese Indikation erst kürzlich hinzugekommene Colchicin „ein großer Schritt vorwärts war“, sagte sie.
Die aktuellen Ergebnisse mit Rilonacept „beeindrucken bei den Themen Wirksamkeit und relative Verträglichkeit“, sagte sie weiter. „Ich glaube jedoch, dass es mit Blick auf das Sicherheitsprofil bei längerfristiger Anwendung oder bei Hochrisikogruppen mit Infektionen der oberen Atemwege – vor allem bei älteren Patienten – noch Vorbehalte geben wird. Zudem muss der Anstieg der LDL- und Triglyceridwerte beobachtet werden. Ich denke dabei insbesondere an die Postperikardotomie-Gruppe, die wiederum nur einen kleinen Teil dieser Gruppe ausmachte. Ich glaube, es waren 15%. Sie haben eine KHK, sodass hier also eine gute Risikoabwägung getroffen werden muss.“
Rezidivierende Perikarditis – vor allem bei jüngeren Menschen
Die rezidivierende Perikarditis ist eine chronische, oftmals stark schwächende Erkrankung, an der häufig jüngere Menschen erkranken. Sie tritt nach einer Viruserkrankung oder nach kardialen Eingriffen wie Klappenoperationen oder Katheterablationen auf, sagte Klein. „Es entwickelt sich dann ein entzündlicher Prozess, dessen Behandlung Monate oder Jahre dauern kann.“ Von Patienten, die eine derartige Episode erlebt haben, erleiden 15% bis 30% trotz einer Behandlung mit Colchicin ein Rezidiv, schreiben die Autoren.
Es gibt keine von der FDA zugelassene Therapie. Die Patienten werden mit Entzündungshemmern NSAR und seit kurzem auch mit Colchicin behandelt. „Bei diesen begrenzten therapeutischen Möglichkeiten ist die Kortisongabe wegen seiner unspezifischen Immunsuppression und wegen des Risikos schwerer Nebenwirkungen bei langfristiger Anwendung besonders besorgniserregend“, s o die Autoren.
Für die Untersucher spiele das Interleukin-1 (IL-1) eine wichtige Rolle, so Klein. IL-1α und IL-1β verursachten eine Herzbeutel-Entzündung in einem sich selbst unterhaltenden Zyklus. Rilonacept fange sowohl IL-1α als auch IL-1β ein und bringe so den Zyklus zum Stillstand. Eine frühere Phase-2-Studie mit Rilonacept gebe Hinweise auf eine Beendigung der Perikarditis.
RHAPSODY-Studie
RHAPSODY war eine multizentrische, doppelblinde, randomisierte Phase-3-Studie, die Rilonacept bei Patienten mit der akuten Symptomatik einer rezidivierenden Perikarditis und systemischer Entzündung mit einem Placebo verglich. Die Studie wurde in Australien, Israel, Italien und den USA durchgeführt.
Aufgenommen wurden Erwachsene und Jugendliche (≥ 12 Jahre), die mindestens zum 2. Mal ein Rezidiv erlebt hatten. Zuvor mussten sie mindestens einmal die Perikarditis-Kriterien der European Society of Cardiology von 2015 erfüllt haben, obwohl sie mit NSAR, Colchicin oder Glukokortikoiden in beliebiger Kombination behandelt worden waren. Sie mussten zudem innerhalb von 7 Tagen vor der ersten Rilonacept-Gabe einen Schmerzskalenwert von mindestens 4 von 10 sowie eine Entzündung mit einem CRP-Wert von mindestens 1 mg/dl aufweisen.
Die Patienten durchliefen zunächst eine Run-in-Periode von 12 Wochen. In dieser Zeit begann die Rilonacept-Behandlung, und andere Medikamente wurden ausgeschlichen und abgesetzt. Rilonacept wurde in einer Anfangsdosierung von 320 mg (bzw. 4,4 mg/kg für Personen unter 18 Jahren) subkutan verabreicht, gefolgt von wöchentlichen Erhaltungsdosen von 160 mg (bzw. 2,2 mg/kg).
Personen, die auf die Behandlung ansprachen (definiert als CRP < 0,5 mg/dl und ein wöchentlicher Schmerz-Mittelwert ≤ 2, gleichbedeutend mit minimalen oder keinen Schmerzen), wurden dann zu gleichen Teilen einer doppelblinden, ereignisgesteuerten, randomisierten Entzugsperiode zugewiesen, entweder unter Fortsetzung der Therapie oder unter einem Placebo.
Insgesamt traten 86 Patienten in die Run-in-Periode ein. In dieser Phase betrug der durchschnittliche Zeitraum bis zur Auflösung oder Beinahe-Auflösung der Schmerzen 5 Tage und bis zur CRP-Spiegel-Normalisierung 7 Tage, so die Autoren. Alle Patienten, die zu Beginn der Studie Kortison erhalten hatten, konnten es erfolgreich ausschleichen, worauf sie innerhalb von 8 Wochen zur Monotherapie mit Rilonacept übergingen, erläuterte Klein.
Insgesamt 79 Patienten (92%) schlossen das Run-in ab. Von den Respondern wurden 61 zufällig ausgewählt. Der primäre Endpunkt für die Wirksamkeit war die Zeit bis zum ersten festgestellten Perikarditis-Rezidiv. Patienten, bei denen ein Rezidiv auftrat, konnten Rilonacept „open-label“ erhalten und in der Studie verbleiben, erklärte Klein. Auch die Sicherheit wurde beurteilt.
„Während der randomisierten Entzugsphase gab es in der Rilonacept-Gruppe zu wenige Rezidiv-Ereignisse, mit denen man den durchschnittlichen Zeitraum bis zum ersten neuerlichen Rezidiv hätte berechnen können“, bemerkten die Forscher in ihrem NEJM-Artikel.
Der mittlere Zeitraum bis zum ersten festgestellten Rezidiv in der Placebo-Gruppe betrug 8,6 Wochen nach der Randomisierung (95% KI: 4,0–11,7; Hazard Ratio in einem Cox-Modell: 0,04; 95% KI: 0,01–0,18; p<0,0001 durch Log-Rank-Test). Die Perikarditis trat in diesem Zeitraum bei 2 von 30 Patienten (7%), die mit Rilonacept behandelt wurden, wieder auf sowie bei 23 von 31 Patienten (74%) nach Placebo-Gabe.
„Das entspricht einer 96%igen Verringerung des Risikos eines erneuten Perikarditis-Ereignisses“, sagte Klein während seiner Präsentation. „Bemerkenswert ist, dass es bei den restlichen Personen der randomisierten Entzugsperiode, die Rilonacept erhalten hatten, keine Berichte über Rezidive gab.“
Die 3 wichtigsten sekundären Endpunkte in Woche 16 seien „statistisch hochsignifikant“ zugunsten der Behandlung ausgefallen, bemerkte er. „Viermal so viele Rilonacept-Empfänger zeigten weiterhin positive klinische Ergebnisse im Vergleich zu den Placebo-Empfängern. Mit Blick auf die Lebensqualität der Patienten berichteten 81% der Patienten von ausbleibenden oder minimalen Perikarditis-Symptomen unter Rilonacept – im Vergleich zu 25% in der Placebogruppe.
Aus den Berichten der Patienten geht hervor, dass diejenigen, die Rilonacept erhielten, an 98% der Studientage schmerzfrei waren oder minimale Schmerzen hatten; diejenigen, die ein Placebo erhielten, hatten an 46% der Studientage minimale oder keine Schmerzen.
Unerwünschte Nebenwirkungen
Die unter der Therapie aufgetretenen Nebenwirkungen stimmten mit den bislang von Rilonacept bei CAPS gesehenen überein, sagte Klein. Schwerwiegende Medikamenten-bedingte unerwünschte Ereignisse oder gar Todesfälle waren nicht aufgetreten.
Die häufigsten unerwünschten Ereignisse waren Reaktionen an der Injektionsstelle (34%), die alle leicht oder mittelschwer waren, sowie Infektionen der oberen Atemwege bei 7 Patienten (23%), ebenfalls allesamt leicht oder mittelschwer.
Während der Run-in-Periode brachen 4 Patienten die Behandlung wegen unerwünschter Ereignisse ab: wegen Alopezie, extrinsischer allergischer Alveolitis, Erythem und in einem Fall wegen einer systemischen allergischen Überempfindlichkeitsreaktion.
Die Forscher berichteten auch, dass die LDL-Werte in Woche 24 unter Rilonacept vor dem Bailout höher waren als mit Placebo (124,8 mg/dl gegenüber 111,7 mg/dl). Ebenso waren die Triglyceridspiegel in der behandelten Gruppe vor dem Bailout höher als in der Placebogruppe (198 mg/dl gegenüber 96,7 mg/dl). Diese Lipidwerterhöhungen wurden „an anderer Stelle erwähnt“, heißt es im NEJM-Bericht.
Eine Studie zur Langzeit-Sicherheit sei im Gange, stellte Klein fest.
Ersatz für Kortikoide?
An der Diskussion zur Präsentation der RHAPSODY-Studie nahm auch Dr. Brendan M. Everett von der Harvard Medical School in Boston teil. Er gratulierte den Autoren zu ihrer Studie in einem „kritischen Bereich der Kardiologie, der für viele Patienten von großer klinischer Bedeutung ist“.
Er wies darauf hin, dass die Daten aus der Run-in-Periode auf einen klinischen Nutzen von Rilonacept hindeuten, obwohl sie unkontrolliert und „daher – zumindest für mich – schwer interpretierbar sind“, sagte Everett weiter. Auch weil etwa 8% der Patienten, die nicht auf die Behandlung angesprochen hatten, nicht zufällig zugewiesen wurden, „gelten die präsentierten Ergebnisse möglicherweise nicht für alle Patienten mit einer rezidivierenden Perikarditis“, sagte Everett.
„Dennoch scheint Rilonacept für Patienten, die es vertragen, einen bemerkenswerten Benefit zu haben, und man fragt sich, ob es nicht das Kortison als Zweitlinientherapie in der Perikarditis-Therapie ersetzen kann“, fügte er hinzu.
„Dann müssen seine Wirksamkeit und Sicherheit direkt mit Kortikoiden verglichen werden, und zwar sowohl kurzfristig, wie es in dieser Studie der Fall war, als auch möglicherweise langfristig.“ Kortikoide seien für ihre Nebenwirkungen bekannt und es wäre wichtig, sie dahin gehend mit Rilonacept zu vergleichen.
„Trotz einiger wichtiger Vorbehalte und offenen klinischen Fragen scheint Rilonacept wohl einen wichtigen therapeutischen Fortschritt für Patienten mit dieser schwierigen klinischen Erkrankung zu bieten“, schloss Everett.
Orphan-Drug-Status in den USA
Die Substanz hat von der FDA den Orphan-Drug-Status zur Behandlung der Perikarditis und die „Breakthrough Therapy Designation“ (BTD; Durchbruchtherapie) bei der rezidivierenden Perikarditis erhalten, so die Website von Kiniksa Pharmaceuticals.
Die Firma lizenzierte Rilonacept 2017 von dem Pharmaunternehmen Regeneron zur Evaluierung „bei Krankheiten, von denen angenommen wird, dass sie sowohl durch IL-1α als auch durch IL-1β vermittelt werden, wie die rezidivierende Perikarditis“, so das Unternehmen.
„Der Antrag auf eine ‚Biological License Application‘ (BLA) für CAPS bei der FDA wird auf Kiniksa übertragen, und wir planen, bis Ende 2020 eine ‚Supplemental Biologic License Application‘ (sBLA) bei der FDA für die rezidivierende Perikarditis einzureichen“, fügt das Unternehmen hinzu. „Nach Erhalt der FDA-Zulassung für Rilonacept bei der rezidivierenden Perikarditis würde Kiniksa den Verkauf und Vertrieb von Rilonacept für die zugelassenen Indikationen in den USA übernehmen und die Gewinne aus den Verkäufen mit Regeneron gleichmäßig aufteilen.“
Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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Diesen Artikel so zitieren: Therapie und Prävention bei Perikarditis: „Praxis-verändernde“ Studie RHAPSODY zeigt, der IL1-Inhibitor Rilonacept wirkt - Medscape - 4. Jan 2021.
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