
Dr. Susanne Johna
Seit 12 Monaten ist Dr. Susanne Johna Vorsitzende des Marburger Bundes (MB). Ihre Arbeit hat sich die Chefin der Ärztegewerkschaft allerdings ganz anders vorgestellt – SARS-CoV-2 machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Im Interview spricht sie über notwendige Reformen der Krankenhauslandschaft und Alternativen zu diagnosebezogenen Fallgruppen (DRGs).
Frau Johna, Sie sind seit gut 1 Jahr MB-Vorsitzende Wie hat sich Ihr Leben in diesem einen Jahr verändert?
Johna: Relativ kurz nach der Wahl ging es mit Corona los. Natürlich habe ich mir das 1. Jahr anders vorgestellt. Die Idee war, die Landesverbände zu besuchen, um vor Ort die Gesamtvorstände und die Abläufe kennenzulernen. Im Sommer hatten alle so viel nachzuarbeiten, dass ich mich entschieden habe, die Besuche auf die Zeit nach der Pandemie zu verschieben. Das ist bedauerlich, weil die Landesverbände den direkten Kontakt zu den Mitgliedern vor Ort bilden. Das bleibt definitiv auf meiner To-Do-Liste, aber zurzeit ist es schwierig.
Ihr Lieblingsthema?
Johna: Die Notfallversorgung. Damit habe ich mich in den letzten 3 Jahren intensiv beschäftigt. Wir sind neue Wege gegangen, haben gemeinsam mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ein Konzeptpapier geschrieben. Der 1. Entwurf stammt aus 2017. Daraus ist eine kleinere Einigung entwickelt worden, die auch die Bundesärztekammer mitträgt. Die Notfallversorgung ist nicht nur als solche wichtig, sondern insgesamt für das Thema Krankenhausplanung. Beides sollte nicht getrennt voneinander behandelt werden.
Zur Krankenhauszukunft: Muss bei der Abrechnung das System der Diagnose-verwandten Gruppen (DRG) abgeschafft werden oder reicht eine Modifizierung?
Johna: Wir glauben, es muss grundsätzlich abgeschafft werden. Wir müssen neu denken. Wir steuern nicht nur auf ein Finanzierungsproblem im Gesundheitswesen hin, sondern auch auf einen sich noch erheblich verschärfenden Fachkräftemangel. Dafür brauchen wir Lösungskonzepte. Die sehe ich wenig in der Politik.
Was ist Ihre Alternative zu DRGs?
Johna: Unser Konzept basiert auf Vorhaltekosten. Diese müssen je nach Versorgungsstufe gestaffelt, entweder standort- oder landesbezogen festgelegt werden. Die standortbezogenen berechnen mit ein, dass die Kosten in Ballungsräumen höher sind als im ländlichen Bereich. Häuser der Grundversorgung haben niedrigere Vorhaltekosten als Universitätskliniken.
Bei den Vorhaltekosten sollte man mitbedenken, dass das Ziel einer Krankenhausbelegung nicht 95% sein kann, sondern eher 82 bis 85%. Diese Zahl ist nicht willkürlich gewählt. Sie beruht auf Untersuchungen zur Patientensicherheit. Diese zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit für Fehler oder kritische Ereignisse ab einer Belegung von 85% wahrscheinlicher werden. Hohe Belegungszahlen bedeuten, dass man ein Bett 2-mal am Tag belegen muss und dass Patienten in Flurbetten liegen. Zunehmend bringen die Träger Patienten für eine hohe Belegung fachfremd unter. Das heißt, der chirurgische Patient liegt nicht in der Chirurgie, sondern auf der Inneren, weil dort gerade ein Bett frei ist. Manche unserer Kollegen meinen dazu makaber: „Das ist ein Gemischtwarenladen.“
Was sagen Sie zum Ansatz in Nordrhein-Westfalen, wo man sich vom Bett als Planungsgröße verabschieden und stattdessen auf eine detaillierte Ausweisung von Leistungsbereichen und Leistungsgruppen setzen will?
Johna: Da ist viel Gutes dran. Ich finde es toll, dass ein Gesundheitsminister nicht einfach den Krankenhausplan fortschreibt. Wir verfolgen das und sind im Gespräch mit den dortigen Ärztekammern. Aber Minister Laumann wird das nicht in Gänze allein umsetzen können. Der Marburger Bund glaubt, dass wir bundeseinheitliche Vorgaben für den groben Rahmen benötigen. Wir sollten die Kliniken in ein 3-Stufen-Konzept einteilen: Grundversorgung, Schwerpunktversorgung und Maximalversorgung. Dann müssen wir die Aufgaben dieser Stufen definieren, um zu verhindern, dass ein Grundversorger eine Leistung am Patienten erbringt, für die dieser im Schwerpunkt- oder Maximalversorgerkrankenhaus besser aufgehoben wäre. Unsere feste Überzeugung ist: Die Krankenhausplanung und die -finanzierung müssen parallel verändert werden, weil die Fehlanreize und Fehlsteuerungen zu sehr miteinander verwoben sind.
Wie kommt denn da der ambulante Sektor ins Spiel?
Johna: Im Zusammenhang mit Krankenhäusern spielt er die größte Rolle im ländlichen Raum. Dort müssen wir teilweise Standorte erhalten, die sich auf Dauer wirtschaftlich nicht tragen können, die sogenannten Sicherstellungskrankenhäuser. Gerade in diesen dünn besiedelten Regionen bieten sich Campuskonzepte an. Das ist ein Standort mit der gesamten Gesundheitsversorgung unter Einbezug der niedergelassenen Kollegen. Alle greifen auf die gleichen Ressourcen zurück – wie zum Beispiel Röntgen oder Labor. In Regionen, in denen es keine niedergelassenen Fachärzte mehr gibt, müsste das Krankenhaus vor Ort einen ambulanten Versorgungsauftrag erhalten.
In der Öffentlichkeit wird der MB als Gewerkschaft der Krankenhausärzte wahrgenommen. In Rheinland-Pfalz handelt er mit dem extra dafür gegründeten Hausärzte-Arbeitgeberverband einen Tarifvertrag für angestellte Mediziner aus. Wäre das ein Modell für ganz Deutschland?
Johna: Wir sind die Gewerkschaft der angestellten Ärztinnen und Ärzte. Und da immer mehr Ärzte außerhalb der Krankenhäuser angestellt tätig sind, ist es selbstverständlich, dass wir diese genau wie ihre Kollegen im Krankenhaus tariflich absichern wollen. In Rheinland-Pfalz sind wir gemeinsam mit dem Hausärzteverband den ersten Schritt gegangen. Die Verhandlungen sind weit fortgeschritten. Für die Hausärzte war das Neuland. Es geht schließlich nicht nur um Gehalt, sondern auch um sogenannte Mantelthemen wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Notdienstregelung. Beide Seiten haben sich sehr weit angenähert. Wir hoffen, dass das klappt, und dann muss es Ziel sein, das Tarifwerk auch weiter auszurollen.
Die Zahl an SARS-CoV-2-Neuinfektionen ist rasant angestiegen. Was muss passieren, damit die 2. Corona-Welle die Krankenhäuser und das Gesundheitssystem als Ganzes nicht an die Belastungsgrenzen und darüber hinausbringt?
Johna: Die Politik und der Gemeinsame Bundesausschuss müssen jetzt handeln und das Personal von bürokratischer Last befreien. Die dezidierte Dokumentation muss ausgesetzt werden, genauso wie Prüfungen des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen. Der wiederum wäre auch eine Personalressource, auf die man wie schon im Frühjahr zurückgreifen konnte. Wir haben dort eine relevante Anzahl an Intensivpflegekräften. Wichtig ist zudem, den Krankenhäusern jetzt Finanzierungssicherheit zu geben. Die haben wir nicht mehr – im Gegensatz zur 1. Welle. Die Krankenhäuser werden versuchen, so lange es geht, ihre Bettenkapazitäten voll zu belegen, um elektive Eingriffe durchzuführen. Insofern haben wir jetzt eine kritischere Situation als im Frühjahr. Wir wollen die Notbremse nicht wieder in der gleichen Form ziehen. Aber wir brauchen einen regional angepassten Stufenplan, zu dem sich alle Häuser verpflichten. Ansonsten geraten wir ganz früh in eine Personalüberlastung. Wir sind mit viel Glück im letzten Drittel eines Marathons. Und unser Personal muss noch lange durchhalten.
Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Univadis.de.
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Diesen Artikel so zitieren: MB-Forderung an die Politik: DRGs grundsätzlich abschaffen, stattdessen gestaffelte Vorhaltekosten und weniger Bürokratie - Medscape - 30. Dez 2020.
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