Auch bei „renitentem“ Cholesterin: Neuartiger Lipidsenker Evinacumab halbiert die Werte

Mitchel L. Zoler

Interessenkonflikte

29. Dezember 2020

Eine Behandlung mit dem Lipidsenker Evinacumab, der über einen neuartigen Wirkmechanismus verfügt, führte in einer multizentrischen Phase-2-Studie an 272 Patienten mit zuvor behandlungsresistenter Hypercholesterinämie nach 16 Wochen zu einer Halbierung des LDL-Cholesterinspiegels. Die Studie wurde auf dem online abgehaltenen Jahreskongress 2020 der American Heart Association (AHA) vorgestellt und zeitgleich online im New England Journal of Medicine veröffentlicht [1,2].

Evinacumab-Injektionen subkutan oder i.v.

In die Studie zur Dosisfindung wurden Patienten mit entweder heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie (72% der Patienten) oder mit Hypercholesterinämie und klinischen Anzeichen einer atherosklerotischen kardiovaskulären Erkrankung aufgenommen, die den empfohlenen LDL-Cholesterinspiegel trotz einer Therapie mit einem Statin (bei Verträglichkeit), Ezetimib und einem PCSK9-Hemmer (Proproteinkonvertase-Subtilisin/Kexin Typ 9) nicht erreicht hatten.

Bemerkenswert ist, dass nur 8 der 272 randomisierten Patienten keinen PCSK9-Hemmer einnahmen. Trotz dieser bestehenden Medikation lagen alle eingeschlossenen Patienten mit einem durchschnittlichen Wert von 148 mg/dl über ihrem Zielwert für das LDL-Cholesterin.

Der primäre Endpunkt der Studie war die prozentuale Veränderung des LDL-Cholesterin-Wertes nach 16 Wochen im Vergleich zum Ausgangswert und zu Placebo. Die Patienten erhielten Evinacumab entweder wöchentlich oder 2-wöchentlich subkutan sowie in einer weiteren Subpopulation monatlich i.v..

LDL-Cholesterin sinkt um mehr als 50 Prozent

„Die Ergebnisse der Dosisfindungsstudie zeigten, dass die höchste getestete subkutane Dosis eine Senkung des LDL-Cholesterins um 56% bewirkte, während die höchste i.v.-Dosis zu einer Senkung um 51% führte“, sagte Dr. Robert S. Rosenson, Leiter der Abteilung für kardiometabolische Störungen an der Icahn School of Medicine am Mount Sinai Hospital in New York, der die Studie auf dem Kongresses vorstellte.

Die Sicherheit des Medikaments erwies sich bei den 194 Patienten, die Evinacumab erhielten, als unproblematisch: „Ich sehe keine beunruhigenden Signale im Sicherheitsprofil“, sagte Rosenson in einem Interview. Diese Einschätzung wurde von anderen Experten geteilt.

Auch Dr. Anne C. Goldberg, Endokrinologin an der Washington University in St. Louis, die an der Studie mitgewirkt hatte, bestätigte: „Mit der Sicherheit sieht es ziemlich gut aus. Es gibt wohl keine größeren Bedenken.“ Der nachgewiesene Effekt beim LDL sei hingegen „bei diesen schwer zu behandelnden Patientengruppen sehr, sehr beeindruckend.“

 
Mit der Sicherheit sieht es ziemlich gut aus. Es gibt wohl keine größeren Bedenken. Dr. Anne C. Goldberg
 

„In punkto Sicherheit fällt hier nichts auf“, sagte auch Dr. Robert H. Eckel, Endokrinologe an der Universität von Colorado in Aurora über die neuen Daten.

Einzigartiger Mechanismus vergrößert potenziellen Benefit

Evinacumab ist ein vollständig humaner monoklonaler Antikörper gegen das Enzym ANGPTL3 (Angiopoietin-ähnliches Protein 3), das 2 verschiedene Lipasen hemmt, die an der Metabolisierung von LDL und anderen Lipoproteinen einschließlich Triglyceriden beteiligt sind. Durch eine Hemmung von ANGPTL3 bleiben die Lipasen aktiver und reduzieren nachhaltiger die Spiegel ihrer Ziel-Lipoproteine.

„Die Stärke dieses Medikaments liegt in seiner Wirkung über einen vom LDL-Rezeptor unabhängigen Weg“, sagte Rosenson. Durch diesen Mechanismus senke Evinacumab nicht nur das LDL-Cholesterin, sondern in der höchsten Dosierung auch die Triglyceride um 53 bis 62%. Dieser Effekt wird als potenzielles Plus betrachtet.

 
Die Stärke dieses Medikaments liegt in seiner Wirkung über einen vom LDL-Rezeptor unabhängigen Weg. Dr. Robert S. Rosenson
 

„Die Aussichten für einen Wirkstoff, der nicht nur die atherogenen Lipoproteine, sondern auch die Triglyceride zu senken vermag, sind günstig.“ Dies sei ein Alleinstellungsmerkmal bei dieser Therapie gegenüber anderen Wirkstoffen, die LDL senken können, so Rosenson. Damit würde Evinacumab besonders in der Diabetes-Behandlung attraktiv, da hier oft erhöhte Triglyceridwerte vorliegen. Eckel erinnerte jedoch daran, dass ein klinischer Nutzen in direktem Zusammenhang mit der Triglyceridsenkung noch nicht bewiesen sei.

Das Medikament senke auch das HDL-Cholesterin um durchschnittlich bis zu 31% gegenüber dem Ausgangswert, wobei die Folgen dieser Wirkung nicht klar seien. „Ich mache mir keine Sorgen um die HDL-Werte“, sagte Goldberg. Veränderungen des HDL-Cholesterins infolge einer medikamentösen Behandlung hätten oft keine erkennbaren Auswirkungen.

I.v.- oder s.c.-Gabe?

Ein weiteres Maß für die Wirksamkeit von Evinacumab war der Prozentsatz der Patienten, die unter den LDL-Grenzwert von 70 mg/dl fielen. Dieser Wert wurde in den Empfehlungen der AHA und des American College of Cardiology für Hochrisikopatienten festgelegt. Die European Society of Cardiology legt für ähnliche Patienten einen Zielwert von unter 55 mg/dl fest.

Von den subkutan behandelten Patienten erreichten 64% den Zielwert unter 70 mg/dl und 49% das Ziel von unter 55 mg/dl. Von denjenigen, die eine i.v.-Behandlung erhalten hatten, fielen 71% unter die Schwelle von 70 mg/dl und 50% unter 55 mg/dl.

Die gute Wirksamkeit bei subkutaner Dosierung sei entscheidend, meinte Eckel, da dies eine neue Dimension für Evinacumab darstelle. „Für den breiten Einsatz des Wirkstoffes im ambulanten Sektor ist eine subkutane Darreichungsform erforderlich“, stellte Eckel in einem Interview fest. Zuvor war der Wirkstoff nur bei i.v.-Gabe an Patienten mit homozygoter familiärer Hypercholesterinämie getestet worden.

 
Für den breiten Einsatz des Wirkstoffes im ambulanten Sektor ist eine subkutane Darreichungsform erforderlich. Dr. Robert H. Eckel
 

Evinacumabs Rolle hängt von weiteren Studien ab

Wie es jetzt für Evinacumab weitergeht, sei noch nicht klar, sagte Rosenson. Er erwähnte die Zulassung von Bempedoinsäure (Nexletol), einem weiteren LDL-Senker, Anfang 2020. Der Wirkstoff wurde in den USA für eine ähnliche Patientenpopulation zugelassen, nachdem Studien lediglich die Sicherheit und Wirksamkeit des Lipidsenkers nachgewiesen hatten, aber ohne klinische Endpunktdaten durchgeführt worden waren. Dann meinte er: „Ich frage mich, ob die FDA für Evinacumab eine Studie zu kardiovaskulären Endpunkten verlangen wird.“

Seit immer mehr Erfahrungen mit dem Einsatz von PCSK9-Inhibitor-Antikörpern zur Behandlung einer Hyperlipidämie gemacht wurden, sind Ärzte mit diesem Ansatz in der Lipidtherapie zufrieden. Wenn Evinacumab jedoch nie die Gelegenheit bekommt, ähnliche Wirksamkeitsnachweise zu sammeln, könnte es gegenüber den PCSK9-Inhibitoren leicht für längere Zeit auf die Außenseiterrolle beschränkt bleiben, meinte Goldberg. Sie selbst wäre jedoch bereit, es ausgewählten Patienten allein aufgrund der Evidenzen über seine lipidsenkende Wirkung zu verschreiben.

Durch seinen anderen Mechanismus bei der Lipidsenkung könne Evinacumab als nützliche Ergänzung für Patienten dienen, die ihren LDL-Zielwert mit den zur Verfügung stehenden etablierteren Mitteln nicht erreichen. Damit gäbe es auch eine Alternative zur LDL-Apherese, die derzeit noch als Ultima Ratio bei der Lipidsenkung für die therapieresistenten Patienten gilt, meinten Rosenson und Goldberg unisono.

Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

 

Kommentar

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