1. Corona-Welle: Im Labor Beschäftigte litten psychisch mehr als Ärzte und Pflegende

Heike Dierbach

Interessenkonflikte

28. Dezember 2020

Rund jeder 5. Klinikmitarbeiter zeigte in der ersten Welle der Pandemie Zeichen einer Depression oder Angststörung. Dabei waren medizinisch-technische Berufe psychisch am stärksten belastet, Ärzte am wenigsten, Pflegekräfte lagen dazwischen. Insgesamt konnten die Beschäftigten im Krankenhaus die Pandemie aber emotional besser bewältigen als die Allgemeinbevölkerung.

Das sind die Kernergebnisse einer Studie unter deutschen Krankenhaus-Mitarbeitern unter Leitung der Universität Erlangen-Nürnberg, die derzeit im Review-Prozess beim Journal of Psychosomatic Research ist [1,2]. „Uns hat es nicht überrascht, dass die Beschäftigten im Krankenhaus offenbar auch eine gute Bewältigungsfähigkeit hatten, um der Pandemie zu begegnen“, sagen die Autorinnen Dr. Eva Morawa und Prof. Dr. Yesim Erim, Leiterin der Psychosomatischen und Psychotherapeutischen Abteilung des Universitätsklinikums Erlangen, gegenüber Medscape.

 
Uns hat es nicht überrascht, dass die Beschäftigten im Krankenhaus offenbar auch eine gute Bewältigungsfähigkeit hatten, um der Pandemie zu begegnen. Dr. Eva Morawa und Prof. Dr. Yesim Erim
 

Fast jede 4. MTA mit depressiven Symptomen

Die Untersuchung war nach Angaben der Autorinnen die größte zur psychischen Gesundheit bei Mitarbeitern im Gesundheitswesen während der ersten COVID-19-Welle in Europa. Vom 20. April bis 5. Juni 2020 nahmen an der Online-Befragung insgesamt 1.061 Ärzte, 1.275 Pflegekräfte und 1.342 Angehörige der medizinisch-technischen Berufe (MTAs) vollständig teil. Rund 3 Viertel waren Frauen, 54,8% hatten bei der Arbeit direkten Kontakt mit Infizierten, 1% war selbst infiziert.

Erfasst wurde das Auftreten von Depression (mit dem Patient Health Questionnaire-2) und generalisierter Angststörung (Generalized Anxiety Disorder-2). 2 bedeutet in diesem Falle, dass es 2 Fragen zur Störung gab, mit denen Summenwerte von 0 bis 6 erreicht werden können. Ein Wert von 3 und höher wird als Zeichen für das wahrscheinliche Vorliegen einer Depression bzw. Angststörung gewertet. Weiterhin erfasste die Studie die psychosozialen Belastungen und die Arbeitsbedingungen.

Ergebnis: MTAs waren insgesamt am meisten psychisch belastet. 23% berichteten depressive Symptome (Summenwert 3 oder höher), 20,1% Angst-Symptome. Es folgten Pflegekräfte mit 21,6 und 19%, dann Ärzte mit 17,4 und 17,8%.

Der Unterschied zwischen den Berufsgruppen war allerdings klein und nur für Depression signifikant. Gefährdet waren vor allem jene Mitarbeiter, die sich in ihrer Freizeit schlecht erholen konnten, die mehr Alkohol tranken und weniger Vertrauen in ihre Kollegen bei schwierigen Situationen hatten. Bei Angstsymptomen gab es zudem einen Zusammenhang mit der Angst, sich selbst mit COVID-19 zu infizieren.

Stabiler als die Allgemeinbevölkerung

Interessanterweise kamen die Befragten aber mit der Pandemie dennoch besser zurecht als die Allgemeinbevölkerung. Das wird deutlich, weil die Autorinnen ihre Werte verglichen mit jenen aus anderen Erhebungen, die mit derselben Skala erhoben wurden, und zwar aus der Zeit vor und während der Pandemie.

Ergebnis: Vor der Pandemie war das Krankenhauspersonal psychisch deutlich mehr belastet als der Durchschnitt der Bevölkerung. Während der Pandemie wies aber die Allgemeinbevölkerung signifikant höhere Werte auf, so dass am Ende die Mitarbeiter im Gesundheitswesen stabiler waren.

Ist das ein Heldeneffekt? Erim glaubt eher an 2 andere Ursachen. Zum einen habe vermutlich das größere Wissen den Befragten geholfen, mit der Pandemie psychisch umzugehen. „Zum anderen war ein Teil aber auch vermutlich weniger belastet als erwartet, weil Klinikbetten, die für die COVID-19 Patienten freigeräumt wurden, in der ersten Welle teilweise nicht belegt waren.“ 

 
Zum anderen war ein Teil aber auch vermutlich weniger belastet als erwartet, weil Klinikbetten, die für die COVID-19 Patienten freigeräumt wurden, in der ersten Welle teilweise nicht belegt waren. Prof. Dr. Yesim Erim
 

Für viele MTAs hingegen stiegen die Belastungen, etwa, wenn plötzlich Schichtdienst eingeführt wurde, um die Testkapazitäten zu erhöhen. „Das spiegelt sich dann auch in den Ergebnissen.“ Und noch eine Rückmeldung war interessant: Die meisten Beschäftigten waren mit der vorhandenen Schutzausrüstung zufrieden.

Die größte Angst war denn auch weniger, sich selbst zu infizieren: Dies sagten nur 27,8%, obwohl über 50% direkten Kontakt mit infizierten Patienten hatten. 54,6% hatten aber Angst, ihre Angehörigen anzustecken.

Erim kann das aus eigener Erfahrung berichten: „Am Anfang war ja nicht klar, welche Rolle Schmierinfektionen spielen. Ich habe damals auch jeden Abend meine Kleidung sofort abgelegt, um keine Viren in meine Familie mitzubringen.“

Team-Entwicklung ist wichtig

Was folgt nun aus den Ergebnissen? Zum einen müsse man künftig auch die MTAs stärker in den Blick nehmen, sagt Erim: „Denn sie sind auch sehr belastet.“ Zum anderen sei die Team-Entwicklung wichtig: „In der Pandemie wurden ja oft Teams schnell neu zusammengesetzt. Das war für manche problematisch, weil die wichtige Unterstützung durch vertraute Kollegen wegfiel. Hier sollte man gezielt gegensteuern.“

In ihrer Klinik etwa wurde schon mit dem Personalrat besprochen, welche Maßnahmen zur Team-Entwicklung man ergreifen könnte: „Schon, wenn man einmal eine moderierte Kennenlern-Runde macht, kann das viel bringen.“

Auch ein Bewusstsein für den Gebrauch von Suchtmitteln sei wichtig: „Hier sollte man präventiv darüber informieren, dass Alkohol kein geeignetes Mittel zum Stressabbau ist und Alternativen anbieten.“ Erim und ihre Kolleginnen haben zudem ein „Stress-Thermometer“ entwickelt: Mit einigen Fragen kann man abends einschätzen, wie gestresst man tagsüber war – und bei Bedarf gegensteuern.

Derzeit läuft eine 2. Erhebungsrunde, an der seit dem 17. November über 6.000 Beschäftigte teilgenommen haben. „Das kann man als ein Zeichen des Wunsches nach öffentlicher Anerkennung ansehen“, sagt Erim.

 

Kommentar

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