Nach EMA-Zulassung der ersten SARS-CoV-2-Vakzine: Was Ärzte über Wirkung und mögliche Nebenwirkungen wissen sollten

Michael van den Heuvel  

Interessenkonflikte

21. Dezember 2020

In der Europäischen Union deutet alles auf eine baldige Zulassung von mehreren Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 hin. Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur EMA hat heute, am 21. Dezember, den Impfstoff BNT162b2 von Biontech/Pfizer für die Zulassung zur Anwendung bei Personen ab dem 16. Lebensjahr empfohlen. Damit können, wie von Gesundheitsminister Jens Spahn angekündigt, nach den Weihnachtsfeiertagen in Deutschland die Impfungen beginnen. Über den Kandidaten mRNA-1273 von Moderna will der CHMP am 6. Januar 2021 beratschlagen, bei Bedarf auch am 12. Januar 2021.

Hinzu kommen bei der EMA 2 fortlaufende Überprüfungen, sogenannte Rolling Reviews, und zwar für Vektorimpfstoffe der Pharmakonzerne AstraZeneca beziehungsweise Johnson and Johnson. Ziel dieser Strategie ist, Zulassungsanträge schneller zu bearbeiten.

Auch das deutsche Unternehmen Curevac hat am 14. Dezember 2020 laut Pressemeldung eine Phase-2b/3-Studie begonnen. Mehr als 35.000 Teilnehmer sollen eingeschlossen werden. Auch der Impfstoff-Kandidat CVnCoV des Unternehmens basiert auf der mRNA-Technologie. 

Auf was müssen sich Ärzte und Patienten im Zusammenhang mit den neuen Impfstoffen einstellen? Bei einem Press Briefing beurteilten Experten des Science Media Center Germany die Sachlage.

„Wir sehen eine hervorragende Entwicklung in kurzer Zeit“, zeigte sich Prof. Dr. Leif-Erik Sander begeistert. Er ist Leiter der Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung sowie Oberarzt in der Medizinischen Klinik für Infektiologie und Pneumologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin. Sander ist „optimistisch“, die aktuelle Lage sei „sehr positiv“.

 
Wir sehen eine hervorragende Entwicklung in kurzer Zeit. Prof. Dr. Leif-Erik Sander
 

Große Unterschiede sieht der Experte zwischen den unterschiedlichen mRNA-Vakzinen (z.B. Biontech/Pfizer, Moderna, ev. auch Curevac) derzeit nicht; das Wirkprinzip sei ähnlich – und die Studienergebnisse auch. Gespannt ist er auf weitere andere Kandidaten, etwa Vektorimpfstoffe von AstraZeneca oder Protein-Impfstoffe von Novavax. „Es ist gut, mehrere Hersteller zu haben“, sagt Sander. „Vielleicht wirken manche Impfstoffe bei bestimmten Gruppen ja besser?“

Prof. Dr. Peter Kremsner, Direktor des Instituts für Tropenmedizin an der Eberhard Karls Universität Tübingen, leitet klinische Studien mit Corona-Impfstoff-Kandidaten der Firma Curevac. Er sieht Vorteile in einer möglichen Vielfalt: „Verbraucher können wählen.“ Er rechnet auch mit niedrigeren Preisen, sollte es mehrere Zulassungen – und damit mehr Konkurrenz – geben.

Der Experte hält auch für chinesische oder russische Impfstoffen eine „Zulassung mit guten Daten“ in der EU für denkbar. Bislang gebe es jedoch nur Medienberichte zur Studienlage mit diesen Impfstoff-Kandidaten – und noch keine wissenschaftlichen Publikationen.

Nebenwirkungen: Derzeit wenig Anlass zur Sorge

Zurück zu den mRNA-Vakzinen. „Die Nebenwirkungen halten sich in Grenzen“, sagt Kremsner mit Verweis auf die bislang veröffentlichten Daten. Neben Missempfindungen an der Einstichstelle berichteten Probanden vor allem von Symptomen, die an einen viralen Infekt erinnern.

Er berichtet von seinen Erfahrungen: „Junge 20-Jährige werden teilweise ordentlich krank wie bei einem fieberhaften Infekt.“ Dies sehe man bei älteren Geimpften kaum. „Als 20-Jähriger würde ich mir die Impfung nicht unbedingt geben lassen, aber als 80-Jähriger schon“, sagte Kremsner mit Verweis auf die unterschiedlichen Nutzen-Risiko-Ratios. Denn von einem schweren COVID-19-Verlauf seien fast nur ältere Menschen betroffen; auch wenn es einzelne Ausnahmen immer gebe. Das heißt: Ältere profitieren am meisten und haben bei der Impfung die wenigsten Nebenwirkungen zu erwarten.

 
Als 20-Jähriger würde ich mir die Impfung (mit mRNA-Vakzinen) nicht unbedingt geben lassen, aber als 80-Jähriger schon. Prof. Dr. Peter Kremsner
 

Sander greift Fälle mit allergischen Reaktionen aus Großbritannien auf: „Beide Personen hatten einen Adrenalin-Autoinjektor dabei, was auf schwere Allergien in der Vorgeschichte hindeutet.“ Man hätte sie in keine klinische Studie aufgenommen, gibt er zu bedenken. Die Reaktionen erklärt Sander nicht mit den mRNAs an sich, sondern mit Formulierungen zu deren Verkapselung. Bekanntlich werden mRNAs im Körper zu schnell abgebaut, um solche Moleküle direkt zu spritzen.

Grund zur Sorge sieht auch Kremsner nicht: „Solche Reaktionen sind in der Regel gut beherrschbar.“ Sein Rat an Personen, die sich vorrangig impfen lassen sollten: „Lieber jetzt an den Massenimpfungen teilnehmen, als später beim Hausarzt impfen.“ Denn in den Impfzentren wisse man auch mit seltenen Nebenwirkungen umzugehen. Bei allergischem Heuschnupfen gebe es keine Gefahr; Sander würde aber beispielsweise einen Patienten mit starker Erdnuss-Allergie nicht impfen.

 
Lieber jetzt an den Massenimpfungen teilnehmen, als später beim Hausarzt impfen. Prof. Dr. Peter Kremsner
 

Welche Fragen sind derzeit offen?

Beide Experten betonen, es sei bislang noch unklar, inwieweit die Impfstoffe auch die Weitergabe von SARS-CoV-2 verhindern könnten.

Kremser verweist auf Ergebnisse aus Tierexperimenten mit Primaten. Diese hätten ergeben, dass es zu einer Reduktion der Viruslast in den oberen Atemwegen und einer geringeren Ausscheidung von Viren komme. Er rät dennoch zur Skepsis: „Remdesivir hat Affen zu 100%, aber Menschen zu 0% gegen Ebola geschützt.“ Rückschlüsse aus Tierexperimenten seien eben nur bedingt möglich.

Hinzu kommt, dass derzeit weder Kinder noch Schwangere geimpft werden – denn auch zu diesen Personengruppen gibt es laut Sander noch zu wenige Daten. „Schwangere haben wohl ein leicht erhöhtes Risiko für schweres COVID-19“, so der Experte. Das Paul-Ehrlich-Institut plane, Daten über Impfungen bei dieser Gruppe zu erfassen. Hier geht es um Frauen, die unwissentlich schwanger waren, als sie die Vakzine bekommen haben.

Langfristig fordert Kremser, auch Kinder zu impfen. Dies sei schon aufgrund des Aufbaus einer Herdenimmunität und aufgrund des Ziels einer weltweiten Eradikation von SARS-CoV-2 wichtig.

Klinische Studien: Bald könnte es schwierig werden

Ein Blick in die Zukunft. Kremsner sieht auf forschende Hersteller Probleme zukommen: „Wir versuchen derzeit, zu rekrutieren, was das Zeug hält“, sagt er, bezogen auf Curevac. Vielleicht sei dies weltweit die letzte Phase-3-Studie, die möglich sei. Denn sobald ein Impfstoff verfügbar sei, vermutet der Experte, würden Probanden aussteigen, weil sie nicht riskieren wollten, in die Placebo-Gruppe randomisiert zu werden. Letztlich müssten sich aber Ethik-Kommissionen mit solchen Aspekten befassen.

Eine theoretische Möglichkeit wäre z.B., dass Probanden aus einer Studie aussteigen und sich impfen lassen – auch wenn sie vielleicht im Verum-Arm waren (was sie jedoch nicht wissen). Was dann? „Impfungen mit verschiedenen Impfstoffen wurden bisher in keiner Studie untersucht“, gibt Sander zu bedenken. Als Hypothese stehe eine stärkere Immunogenität als Folge einer solchen Kombination im Raum.

Zumindest bei Personen mit überstandenem SARS-CoV-2-Infekt scheint es keine Probleme zu geben. Kremsner: „Wir haben dies geprüft und Seropositive geimpft, da zeigte sich eine super Auffrischung, sprich eine sehr gute Immunabwehr. Ob sie dies allerdings brauchen, wissen wir nicht.“

Fazit: Akzeptanz für Impfungen schaffen

Welchen Rat geben die Experten Ärzten, aber auch Patienten, auf den Weg? „Alle Menschen über 65 sollten sich schnellstmöglich impfen lassen“, so Kremsner. Dann seien auch wieder soziale Aktivitäten wie Feiern, Oper oder Fußball bald möglich. 

 
Alle Menschen über 65 sollten sich schnellstmöglich impfen lassen. Prof. Dr. Peter Kremsner
 

Sander wagt einen Blick in die Zukunft und hofft „nächsten Winter auf deutlich weniger Fälle“. Jetzt sei es erst einmal wichtig, Patienten aufzuklären und transparent zu informieren – auch über mögliche Nebenwirkungen. „Viel wird von der Akzeptanz der Impfung abhängen“, gibt er zu bedenken. 

Viel wird von der Akzeptanz der Impfung abhängen. Prof. Dr. Leif-Erik Sander

 

Kommentar

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