Alle Jahre wieder: Das British Medical Journal publiziert zu Weihnachten mehr oder weniger ernst zu nehmende Studienergebnisse [1]. Dieses Jahr warnt es in seiner Weihnachtsausgabe vor einem selbstgebrautem Zaubertrank nach Roald Dahls Kinderbuch ‚George´s Marvellous Medicine‘. Außerdem beleuchtet das BMJ, welche Folgen es für Patienten hat, wenn der Chirurg am Tag der Operation Geburtstag hat, und wie beruhigende Worte und Hintergrundmusik bei einer OP Opioide einsparen helfen..
Eine schwedische Beobachtungsstudie klärt die wichtige Frage: Hund mit Diabetes – haben dann auch Herrchen oder Frauchen häufiger Diabetes? Und wie sieht es bei Katzen aus? Und britische Forscher erklären, wie die Unbekannte Frau der Seine aus dem 19. Jahrhundert heutzutage dazu beiträgt, Millionen von Menschenleben zu retten.
Schuhcreme, Waschpulver und Frostschutzmittel als Ingredienzien
Sind die Kleinen kreativ, freut das die Eltern. ‚George´s Marvellous Medicine‘ aus Roald Dahls gleichnamigem Kinderbuch könnte kleine Forscher zum Experimentieren anregen. Doch Finger weg von dem fabelhaften Trank, warnen Dr. Graham Johnson und Dr. Patrick Davies, Pädiater der University of Nottingham in Großbritannien. Denn das Gebräu kann Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Nieren- und Herzschäden hervorrufen.
Der für seinen schwarzen Humor berühmte Dahl schildert in ‚George´s Marvellous Medicine‘ die Beziehung zwischen dem 8-jährigen George und seiner griesgrämigen, mürrischen Großmutter, die ihn ständig schikaniert. 4-mal am Tag nimmt sie einen großen Löffel Medizin zu sich, doch die scheint ihr nicht zu helfen: Nach der Einnahme ist sie genauso unleidlich wie zuvor. Als George eines Morgens auf sie aufpassen soll, beschließt er, ihr eine Medizin zu brauen. Ein Experiment, das für Großmutter nicht gut ausgeht …
Weil die meisten unbeabsichtigten Vergiftungen zu Hause stattfinden und eine der Hauptursachen für den Unfalltod von Kindern sind, beschlossen Johnson und Davies, das toxische und therapeutische Potenzial von ‚George´s Marvellous Medicine´ zu untersuchen und seine tatsächlichen Wirkungen mit den im Buch beschriebenen zu vergleichen. Die Forscher und ihre 5 Kinder listeten alle Inhaltsstoffe des Gebräus auf. Diese wurden dann anhand der Giftdatenbank des National Poisons Information Service (ToxBase) untersucht.
Der Trank enthielt 34 Zutaten – darunter Zahnpasta, Lippenstift, Schuhcreme, Waschpulver, „extra scharfe“ Chilisauce, Motoröl und Frostschutzmittel. Die häufigste toxische Wirkung dieser Zutaten waren Übelkeit und Erbrechen (16 Inhaltsstoffe, 47%). Insgesamt 11 (32%) Inhaltsstoffe wurden mit Durchfall und 6 (18%) mit Herzrhythmusstörungen in Verbindung gebracht. Potenziell lebensbedrohliche Wirkungen wurden mit 13 (38%) der Inhaltsstoffe in Verbindung gebracht, darunter Nierenschäden, Krämpfe und Schäden an der Magenschleimhaut. Die Behandlung dieser Vergiftung ist komplex und würde nach Ansicht der Autoren eine sofortige intensive Therapie erfordern.
Johnson und Graham weisen darauf hin, dass sie das ‚Medikament‘ zwar nicht wie beschrieben kombiniert haben – so dass sie sich nicht zu möglichen Wechselwirkungen äußern können. Auch die genaue Dosis des eingenommenen ‚Medikaments‘ ist nicht bekannt, was nur Annahmen über die Wirkungen zulässt. Sie betonen aber: „Eltern können das Experimentieren mit ihren Kindern fördern, doch es ist ratsam, alle medizinischen Inhaltsstoffe vor der Anwendung auf mögliche Toxizität zu überprüfen.“
Sterberaten höher, wenn der operierende Chirurg Geburtstag hat
So schön Geburtstage sind – für Patienten können sie fatale Nebenwirkungen haben. Dann nämlich, wenn der sie operierende Chirurg am Tag der Operation Geburtstag hat. Diese Patienten sterben mit höherer Wahrscheinlichkeit als Patienten, die sich an anderen Tagen des Jahres operieren lassen. Darauf weist eine Studie von Prof. Dr. Yusuke Tsugawa, David Geffen School of Medicine an der UCLA, Los Angeles und Kollegen hin, die jetzt in der Weihnachtsausgabe des BMJ erschienen ist [2].
Laborexperimente hatten gezeigt, dass häufige Ablenkungen im Operationssaal, wie z.B. Lärm, Probleme mit den Geräten und persönliche Gespräche, die Leistung der Chirurgen nachteilig beeinflussen können. Allerdings war die Evidenz durch Real World Daten bislang begrenzt.
Tsugawa und Team wollten prüfen, inwieweit Chirurgen an ihren Geburtstagen eher abgelenkt sind oder sich bei ihren Eingriffen besonders beeilen. Sie werteten dazu Medicare-Daten von älteren Patienten (65 bis 99 Jahre) aus, die sich zwischen 2011 und 2014 Notfall-Operationen unterziehen mussten. Insgesamt wurden 980.876 von 47.489 Chirurgen durchgeführte Eingriffe analysiert. Davon wurden 2.064 (0,2%) an den Geburtstagen der Chirurgen durchgeführt.
Patienten, die am Geburtstag eines Chirurgen operiert wurden, wiesen eine höhere Sterblichkeit innerhalb von 30 Tagen nach dem Eingriff auf als Patienten, die an anderen Tagen operiert wurden: 6,9% vs 5,6% (p=0,03).
Die Forscher mutmaßen, Chirurgen könnten es beispielsweise eilig haben, Eingriffe an ihrem Geburtstag pünktlich abzuschließen, weil sie vielleicht wichtige Pläne für den Abend haben. Auch Geburtstagsgespräche mit Teammitgliedern oder Nachrichten auf dem Handy während der Operation könnten ablenken und zu medizinischen Fehlern führen. Möglich sei auch, dass Chirurgen am Abend ihres Geburtstags im Vergleich zu anderen Abenden weniger häufig in die Klinik zurückkehren, um nach ihren Patienten zu sehen.
Sie schränken aber ein, dass es sich um eine Beobachtungsstudie handelt und die Ursachen – etwa die Todesursache – nicht festgestellt werden konnten. Die Ergebnisse deuteten aber darauf hin, „dass Chirurgen durch Lebensereignisse, die nicht direkt mit ihrer Arbeit zusammenhängen, abgelenkt werden können“.
Weniger postoperative Schmerzen – wenn Worte wie Medizin wirken
Worte können wie Medizin wirken: Therapeutische Kommunikation und Hintergrundmusik lindern bei Patienten unter Vollnarkose offenbar postoperative Schmerzen und senken auch den Verbrauch von Schmerzmitteln. Das zeigen die Ergebnisse einer Studie in der Weihnachtsausgabe des BMJ [3].
Dr. Hartmuth Nowak, Intensivmediziner an der Ruhr Universität Bochum, und seine Kollegen führten eine Studie mit 385 Patienten (Alter 18 bis 70 Jahre) durch, die sich an 5 Krankenhäusern in Deutschland einer geplanten Operation von 1 bis 3 Stunden Dauer unter Vollnarkose unterziehen mussten. Die Patienten wurden auf eine Interventionsgruppe (n=191) und eine Kontrollgruppe (n=194) randomisiert. Art und Dauer der Operation, Schmerzen vor der Operation und die Einnahme von Medikamenten während der Operation waren in beiden Gruppen ähnlich.
Die Interventionsgruppe bekam über Kopfhörer ein Audioband mit Hintergrundmusik und positiven Suggestionen über 20 Minuten lang wiederholt während der Vollnarkose vorgespielt, die Kontrollgruppe bekam ein leeres Band vorgespielt.
In den ersten 24 Stunden nach der Operation war die Schmerzintensität in der Interventionsgruppe durchgehend und signifikant niedriger, im Durchschnitt um 25% reduziert. Die Patienten der Interventionsgruppe benötigten auch deutlich weniger Opioide: 121 von 191 (63%) Patienten in der Interventionsgruppe gegenüber 155 von 194 (80%) in der Kontrollgruppe – ein absoluter Rückgang von 16%. Es wurden keine unerwünschten Ereignisse berichtet.
Die Forscher regen eine weitere Evaluierung der Technik an, insbesondere bei invasiveren und schmerzhafteren chirurgischen Eingriffen, und schlagen vor, dass Chirurgen und Anästhesisten „auf Hintergrundgeräusche und Gespräche während der Operation achten sollten“.
Die akustischen Stimulationen sind frei von Nebenwirkungen und Mehrkosten und könnten dazu genutzt werden, auf nicht pharmakologischem Weg postoperative Schmerzen sowie den damit häufig verbundenen Opioid-Gebrauch zu senken.
Diabetes mellitus Typ 2: Kranker Hund, krankes Herrchen
Kranker Hund, krankes Herrchen: Besitzer eines Hundes mit Diabetes entwickeln mit höherer Wahrscheinlichkeit selbst Typ-2-Diabetes als Besitzer eines Hundes ohne Diabetes. Das ergab eine andere Studie, die in der Weihnachtsausgabe des BMJ veröffentlicht ist [4.] Bei Katzen und ihren Besitzern zeigte sich ein solcher Zusammenhang übrigens nicht.
Dr. Rachel Ann Delicano vom Department von Medical Sciences der Universität Uppsala, Schweden, und ihre Kollegen identifizierten anhand von Daten aus Tierversicherungen 208.980 Besitzer-Hund-Paare (175.214 Besitzer und 132.783 Hunde) und 123.566 Besitzer-Katzen-Paare (89.944 Besitzer und 84.143 Katzen) im Zeitraum 1. Januar 2004 bis 31. Dezember 2006.
Diese Informationen wurden mit schwedischen Gesundheits- und Medikamentenregistern verknüpft, um Fälle von Typ-2-Diabetes bei Hunde- und Katzenbesitzern und Fälle von Diabetes bei ihren Haustieren während eines 6-jährigen Nachbeobachtungszeitraums zu ermitteln.
Im Vergleich zum Besitz eines Hundes ohne Diabetes war der Besitz eines Hundes mit Diabetes mit einem um 38% erhöhten Risiko für Typ-2-Diabetes verbunden. Diese Schätzung änderte sich nach Bereinigung um andere Risikofaktoren nicht merklich.
Auch bei den Hunden war das Risiko, an Diabetes zu erkranken, um 28% höher, wenn der Besitzer Typ-2-Diabetes hatte – im Vergleich zu Hunden mit einem Besitzer, der keinen Typ-2-Diabetes hatte. Es wurde kein Zusammenhang zwischen Typ-2-Diabetes bei Katzen und bei ihren Besitzern gefunden.
„Die Daten weisen darauf hin, dass Besitzer eines Hundes mit Diabetes mit höherer Wahrscheinlichkeit einen Typ-2-Diabetes entwickeln als Besitzer eines Hundes ohne Diabetes“, schreiben die Autoren.
Mögliche Erklärungen für diese Ergebnisse seien gemeinsamer Lebensstil, wie z.B. körperliche Aktivität und Ernährungsgewohnheiten zwischen Hundebesitzern und ihren Hunden, die das Diabetes-Risiko beeinflussen, so die Forscher.
Dass die körperliche Aktivität von Katzenbesitzern und Katzen deutlich weniger übereinstimmt, könnte das Fehlen eines gemeinsamen Diabetes-Risikos bei Katzenbesitzern und ihren Tieren erklären.
Die Autoren schränken allerdings ein, dass es sich hier um eine Beobachtungsstudie handelt, so dass die Ernährung und der Grad der körperlichen Aktivität nicht als zugrunde liegende Ursachen der Assoziationen beurteilt werden konnten.
Dennoch handele es sich um eine robuste Studie, die zeige, dass der Besitz eines Hundes mit Diabetes mit einem erhöhten Risiko für Typ-2-Diabetes beim Besitzer verbunden war, was nicht durch persönliche und sozioökonomische Umstände der Hundebesitzer erklärt werden konnte.
Wer steckt hinter Rescue Annie?
Sie ist unter vielen Namen bekannt: Resusci Anne, Rescue Annie oder auch „Das meistgeküsste Mädchen der Welt“. Rescue Annie ist eine standardisierte Puppe, die zum Erlernen und Trainieren der Herz-Lungen-Wiederbelebung eingesetzt wird. Doch wer steckt eigentlich hinter dem Gesicht der Puppe? Dr. Stephanie Loke und Dr. Sarah McKernon von der Universität Liverpool erzählen in der Weihnachtsausgabe des BMJ Annies Geschichte [5].
L'Inconnue de la Seine (die Unbekannte Frau der Seine) war ein junges Mädchen, dessen Körper im Paris des späten 19. Jahrhunderts aus der Seine gezogen wurde. Wie sie ums Leben kam, ist ungeklärt. Aber der Pathologe, der die Autopsie durchführte, war von ihrer Schönheit so beeindruckt, dass er eine Gipsmaske von ihrem Gesicht anfertigen ließ. In den folgenden Jahren wurden Kopien der Maske in Paris verkauft. Um das Leben der schönen Unbekannten rankten sich Geschichten, nach denen sie ermordet worden sein soll oder mit einem wohlhabenden Freier von Liverpool nach Paris durchgebrannt ist.
Als die Medizin in den 1950er-Jahren die Technik der Wiederbelebung mittels Mund-zu-Mund-Beatmung und Herzdruckmassage (HLW) entwickelte, übten angehende Mediziner die Technik zunächst gegenseitig. Als ein Mitglied des HLW-Ausschusses der American Heart Association (AHA) sah, dass die Studierenden durch das Üben Gefahr liefen, Rippenbrüche und Schmerzen zu verursachen, wandte er sich an den Puppenmacher Åsmund Laerdal mit dem Auftrag, ein realistisches Trainingsmodell zu entwerfen.
Laerdal erinnerte sich an eine Maske an der Wand des Hauses seiner Großeltern und beschloss, sie zum Gesicht der Resusci Anne zu machen.
Schätzungen nach hat Resusci Annie wahrscheinlich mehr als 500 Millionen Menschen geholfen, einen HLW-Kurs zu absolvieren, wodurch etwa 2,5 Millionen Menschenleben gerettet werden konnten.
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Diesen Artikel so zitieren: Weihnachtsausgabe des BMJ: Über übergewichtige Hunde, eine schöne Tote und Geburtstage von Chirurgen - Medscape - 21. Dez 2020.
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