Der Konsum von Cannabis ist mit einer höheren Prävalenz eines Reinfarkts und einem höheren Risiko für Blutungen oder Schlaganfälle nach perkutaner Koronarintervention (PCI) assoziiert, so das Ergebnis von 2 Studien. Bei den virtuellen Scientific Sessions 2020 der American Heart Association (AHA) präsentierte Dr. Rhushik Bhuva Ergebnisse einer nationalen US-Studie zum rezidivierenden Myokardinfarkt, und Dr. Sang Gune K. Yoo stellte die PCI-Studie vor, die Daten aus einer Michigan-Kohorte verwendete [1].
Beide Studien „erweitern unseren Kenntnisstand über die kardiovaskulären Risiken von Cannabis“, sagte Dr. Ersilia M. DeFilippis, Kardiologin am Irvine Medical Center der Columbia University in New York, die an den Studien nicht beteiligt war, gegenüber Medscape. DeFilippis und die beiden Studienautoren sagten, dass Ärzte und Patienten sich mehr über die kardiovaskulären Risiken des Cannabis-Rauchens bewusst sein müssten, und forderten mehr Screening und Beratung der Patienten sowie weitere Forschungsanstrengungen.
Bedarf an Screening und Beratung
Cannabis ist in den USA eine kontrollierte Substanz der Kategorie 1, was es illegal macht, kontrollierte Versuche mit Cannabis-Produkten durchzuführen. Das vorhandene Wissen basiere daher allein auf Beobachtungsstudien, so DeFilippis, Hauptautorin eines Reviews zum Cannabiskonsum von Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Der Bericht ist im Januar 2020 im Journal of the American College of Cardiology veröffentlicht worden. Eine wissenschaftliche Stellungnahme der AHA zu Cannabis und kardiovaskulärer Gesundheit wurde im August 2020 in Circulation veröffentlicht. Beide Arbeiten weisen auf die Risiken des Cannabis-Konsums bei Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen hin.
Bis weitere Daten verfügbar seien, „halte ich es für absolut erforderlich“, dass Kardiologen und Hausärzte ihre Patienten auf Cannabis-Konsum untersuchen, „entweder zum Zeitpunkt ihres Infarktes oder idealerweise davor“, sagte DeFilippis. Dies wäre auch der Zeitpunkt, „Patienten über die mit einem fortgesetzten Cannabis-Konsum verbundenen Risiken zu beraten, vor allem wenn sie einen Herzinfarkt hinter sich haben“.
Wichtig sei es sowohl für Ärzte als auch Patienten, sich darüber im Klaren zu sein, dass „Cannabinoide durch das Cytochrom-P450-System mit bekannten kardiovaskulären Medikamenten interagieren können, von denen wir wissen, dass sie in der Zeit nach einem Herzinfarkt vorteilhaft sind“, fügte sie hinzu. „So kann Cannabis etwa mit Betablockern, Statinen, Antiarrhythmika und bestimmten Antikoagulanzien interagieren.“
Bhuva, Kardiologe am Wright Center for Community Health in Scranton, Pennsylvania, sagte, es sei „besorgniserregend“, dass in der Analyse „die Zahl der Reinfarkte und der kardialen Interventionen unter Cannabis-Konsumenten höher war, obwohl sie im Mittel jünger waren und weniger kardiale Risikofaktoren aufwiesen“.
Er drängte in einer Erklärung: „In der Ärzteschaft sollte das Bewusstsein für das potenzielle Risiko von Reinfarkten unter Cannabiskonsumenten mittleren Alters, afroamerikanischer Herkunft und männlichen Geschlechts geschärft und das Screening dieser Konsumenten auf potenzielle Risikofaktoren für zukünftige Herzinfarkte in jungen Jahren intensiviert werden.“
In der Studie von Yoo, Internist an der University of Michigan in Ann Arbor, zu Patienten, die sich nach einem Herzinfarkt oder wegen einer KHK einer PCI unterziehen mussten, waren diejenigen, die Cannabis rauchten oder in vaporisierter Form inhalierten, jünger und mit größerer Wahrscheinlichkeit männlich. Die klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren waren bei ihnen mit Ausnahme des sehr häufigen Tabakrauchens seltener.
Nach dem Propensity Score Matching hatten Patienten, die Cannabis konsumierten, nach einer PCI ein 1,5-fach höheres Blutungsrisiko und ein 11-fach erhöhtes Risiko für Schlaganfälle in der Klinik. Die absolute Zahl an Schlaganfällen bei einer PCI war jedoch niedrig, und das Konfidenzintervall war groß (was auf eine große Unsicherheit hinweist), so Yoo gegenüber Medscape.
Diese Risiken „sollten Patienten nicht davon abhalten, sich diesen lebensrettenden Eingriffen zu unterziehen“, sagte er. Die Ärzte sollten sich jedoch dieser Risiken bei Cannabis-Konsumenten bewusst sein und die Patienten dahingehend untersuchen und beraten.
Krankenhauspatienten mit früherem Herzinfarkt
Bhuva und sein Team identifizierten aus der National Inpatient Sample Patienten, die zwischen 2007 und 2014 in den USA einen Klinikaufenthalt wegen eines früheren Herzinfarktes hatten und sich einer Revaskularisierung mit PCI oder Koronararterien-Bypass-Op (CABG) unterzogen hatten. Es gab etwa 8 Millionen Krankenhausaufenthalte pro Jahr. In der Datenbank war nicht angegeben, welche Art von Cannabis-Produkten die Patienten konsumierten.
Während des 8-jährigen Untersuchungszeitraumes legalisierten oder entkriminalisierten viele Bundesstaaten medizinisches Cannabis und/oder Cannabis für den Freizeitkonsum. Der Cannabis-Konsum nahm insgesamt von 0,2% auf 0,7% stetig zu.
Im Vergleich zu Nichtkonsumenten waren diejenigen, die Cannabis konsumierten, jünger (mittleres Alter 53 Jahre vs. 72 Jahre), eher männlich (77% vs. 62%) und eher afroamerikanisch (34% vs. 10%; alle p<0,001).
Cannabis-Konsumenten litten weniger unter Hypertonie (72% vs. 75%), Diabetes (24% vs. 33%) oder Dyslipidämie (51% vs. 58%; alle p<0,001). Aber mehr Cannabis-Konsumenten erlitten einen Reinfarkt (67% vs. 41%).
Andererseits starben Cannabis-Konsumenten, die jünger und gesünder als die anderen Patienten waren, seltener während eines Krankenhausaufenthalts an einem Reinfarkt (0,8% vs. 2,5%), und ihre Krankenhauskosten waren niedriger.
Die Forscher räumen ein, dass die Schwächen der Studie in den mangelnden Informationen zur Art des Cannabis-Konsums (geraucht, gegessen, medizinisch oder als Freizeitkonsum), zur Menge oder Dosierung und zum Zeitraum zwischen Cannabis-Konsum und dem kardialen Ereignis liegen.
Outcome nach PCI in der Klinik
Yoo und sein Team analysierten Daten von Patienten, die sich zwischen dem 1. Januar 2013 und dem 1. Oktober 2016 in den 48 nicht bundesstaatlichen Kliniken Michigans, die Teil des PCI-Registers des Blue Cross Blue Shield Michigan Cardiovascular Consortium sind, einer PCI unterzogen haben. In dieser Kohorte hatten 3.970 Patienten (3,5%) im Monat vor der PCI Cannabis geraucht oder in vaporisierter Form inhaliert, 109.507 Patienten hatten dies nicht getan.
Die Cannabis-Konsumenten waren jünger (mittleres Alter 54 vs. 66 Jahre), überwiegend männlich (79% vs. 67%) und überwiegend Zigarettenraucher (73% vs. 27%). Bei ihnen war die Wahrscheinlichkeit für Hypertonie, Typ-2-Diabetes, Dyslipidämie, zerebrovaskuläre Erkrankungen oder eine frühere Bypassoperation geringer. Ebenso war ein früherer Herzinfarkt weniger wahrscheinlich (36%).
Im Vergleich zu Nichtkonsumenten hatten Cannabis-Konsumenten eine höhere Wahrscheinlichkeit für einen NSTEMI (Nicht-ST-Hebungsinfarkt; 30% vs. 23%) oder einen STEMI (ST-Hebungsinfarkt; 27% vs. 16%) und eine geringere Wahrscheinlichkeit für Angina pectoris.
Mithilfe des Propensity Score Matching verglichen die Untersucher 3.803 Cannabiskonsumenten mit der gleichen Anzahl von Nichtkonsumenten.
In der gematchten Kohorte hatten nach einer PCI Patienten, die Cannabis konsumierten, im Krankenhaus ein höheres Risiko für Blutungen (adjustierte Odds Ratio, aOR: 1,54; 95% Konfidenzintervall [KI] 1,20–1,97; p<0,001) oder Schlaganfall (aOR: 11,01; 95% KI 1,32–91,67; p=0,026).
Cannabis-Konsumenten hatten ein geringeres Risiko für eine akute Nierenschädigung (2,2% vs. 2,9%; p=0,007). Die Zahlen für Transfusionen und die Mortalität waren in beiden Gruppen ähnlich.
Auch dieses Forscherteam sieht die Limitationen ihrer Arbeit. Wesentlich dabei ist, dass keine oralen Cannabis-Produkte berücksichtigt wurden, dass sich die Ergebnisse möglicherweise nicht verallgemeinern lassen und dass der Cannabis-Konsum im US-Bundesstaat Michigan nach der Legalisierung von Cannabis für den Freizeitkonsum im Jahr 2018 wahrscheinlich zugenommen hat.
Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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Diesen Artikel so zitieren: Cannabis-Konsum als kardiovaskuläres Risiko: 2 Studien liefern Daten, warum Sie KHK-Patienten warnen sollten - Medscape - 18. Dez 2020.
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