Lancet Countdown: Kein Land, auch Deutschland nicht, kann seine Bevölkerung vor den Folgen des Klimawandels schützen

Dr. Jürgen Sartorius

Interessenkonflikte

18. Dezember 2020

Auch wenn es manchen derzeit frösteln mag – die Erderwärmung bleibt selbst in Corona-Zeiten ein topaktuelles Thema. Gerade haben wir laut EU-Erdbeobachtungsprogramms „Copernicus“ den seit Aufzeichnungsbeginn weltweit wärmsten November erlebt (Durchschnittstemperatur 0,1 Grad über dem letzten Spitzenwert im Jahr 2016, 0,8 Grad wärmer als das 30-Jahres-Mittel von 1981 bis 2010).

Die Erderwärmung fordert auch ihren gesundheitlichen Tribut: Deutschland verzeichnete laut dem aktuellen Countdown-Report der Zeitschrift The Lancet bis zum Herbst 2020 über 20.000 Todesfälle aufgrund von Hitzewellen. Zumeist waren ältere Menschen betroffen [1]. Damit liegt Deutschland im Ländervergleich mit 7% aller weltweit gemeldeten Hitzetoten an 3. Stelle.

Die Autoren der internationalen Studie begründen diesen hohen Anstieg damit, dass 75% der gesamten Bevölkerung Deutschlands in städtischen Ballungsräumen lebt, in denen es nur zu geringen tageszeitlichen Schwankungen der Temperatur kommt.

„Damit liefert Deutschland ein eindrückliches Beispiel, dass auch hochentwickelte Staaten die Gesundheit ihrer Bevölkerung nicht vor den negativen Folgen der Klimaerwärmung schützen können“, konstatiert Dr. Nick Watts, Institute for Global Health, University College London, UK, und Erstautor der aktuellen Veröffentlichung des diesjährigen Lancet Countdowns. 

 
Damit liefert Deutschland ein eindrückliches Beispiel, dass auch hochentwickelte Staaten die Gesundheit ihrer Bevölkerung nicht vor den negativen Folgen der Klimaerwärmung schützen können. Dr. Nick Watts
 

Auch COVID-19 sei letztlich eine Folge der Klimaerwärmung, weil auch diese dafür sorge, dass sich die Menschheit immer weniger naturbelassene Lebensräume auf der Erde mit den verbliebenen Wildtieren teilen müsse. Dies ist eine der zentralen Aussage der Veröffentlichung, die die aktuellen gesundheitlichen Bedrohungen der Weltbevölkerung anhand von 43 Indikatoren untersucht hat.

43 Indikatoren zur Beurteilung der Folgen der Erderwärmung

Diese 43 Indikatoren umfassen neben den bekannten Aspekten des Klimawandels insbesondere Pläne, Adaptionen und Änderungen von Gesundheitssystemen, Maßnahmen zur Milderung und Verbesserung gesundheitlicher Folgen, ökonomische und Finanzierungsproblematiken sowie öffentliches und politisches Engagement in der Welt.

Federführend sind 35 akademische Institutionen und Agenturen der Vereinten Nationen (UN), die neueste Ergebnisse aus der Klimaforschung, Geografie, von Ingenieuren, Energie-, Ernährungs-, Datenmanagement- und Transportexperten, aus Ökonomie, Sozialwissenschaft, Politik, sowie von Ärzten und Behörden für öffentliche Gesundheit sammeln und in Beziehung setzen.

Der Lancet Countdown wurde vor 5 Jahren zur Pariser Klimakonferenz ins Leben gerufen, um die Folgen des Klimawandels und die Maßnahmen zur Erreichung der gemeinsam formulierten Ziele, diesen entgegenzusteuern, zu dokumentieren. Seitdem werden die Ergebnisse jährlich in The Lancet veröffentlicht. In diesem Jahr haben fast 120 internationale Koautoren an der Publikation mitgewirkt.

„Die zerstörerischen Feuer in USA sowie die verheerenden tropischen Stürme zusätzlich zur weltumspannenden Corona-Epidemie haben in diesem Jahr die Machtlosigkeit der Nationen gegen die Folgen der aktuellen Krisen in ihrer Gesamtheit gezeigt“, urteilt Dr. Ian Hamilton, Exekutivdirektor des Lancet Countdown. „Solche Bedrohungen bringen Ökonomien und das öffentliche Leben ganzer Staaten zum Stillstand.“

Auch COVID-19 als Folge der Klimaerwärmung definiert

„Weder die Klimaerwärmung noch eine Zoonose wie COVID-19 trafen die Welt unerwartet“, resümiert Dr. Richard Horton, Chefeditor des Lancet. „Beide Krisen haben letztlich dieselbe Ursache, nämlich den Rückgang natürlicher Lebensräume durch Eingriffe des Menschen. Die aktuellen Untersuchungen zeigen, dass wir es uns nicht mehr leisten können, auf den Schutz der Natur und der Biodiversität zu verzichten, ohne verheerende Einschnitte in die Gesundheit der Erdbevölkerung zu provozieren.“ 

 
Weder die Klimaerwärmung noch eine Zoonose wie COVID-19 trafen die Welt unerwartet. Beide Krisen haben letztlich dieselbe Ursache, nämlich den Rückgang natürlicher Lebensräume durch Eingriffe des Menschen. Dr. Richard Horton
 

Beispielsweise trägt eine intensive Viehwirtschaft in Schwellenländern nicht nur zu einem Verlust von Möglichkeiten ärmerer Bevölkerungsschichten bei, sich auf pflanzlicher Basis ausreichend ernähren zu können, sondern führt – durch Exporte in Industrienationen – dort zu einer Erhöhung des Gesundheitsrisikos durch vermehrten Konsum dieses roten Fleisches. Darüber hinaus ist die Viehwirtschaft insgesamt ein erheblicher Faktor zur Freisetzung von Treibhausgasen. In Deutschland ist die Landwirtschaft Ursache von 62% aller CO2-Emissionen.

Die weltweite Zunahme des Verbrauchs fossiler Brennstoffe für Energieversorgung und Transport führt über Verunreinigung der Atemluft zu einer global erhöhten Rate von Asthma und anderen Lungenerkrankungen, die alleine schon für eine hohe Rate von verfrühten Todesfällen verantwortlich sind. Durch das Einwirken von COVID-19 kommt es jetzt etwa in Indien zu einem sehr starken Zuwachs dieser Rate, der noch nicht seinen Gipfel erreicht hat und auch global gesehen weiter steigen wird.

Dabei ist COVID-19 nicht die einzige Zoonose, die den Menschen gefährlich wird. Auch Malaria, Dengue-Fieber und Vibriose sind auf dem Vormarsch, letztere auch in gemäßigten Küstenregionen wie den baltischen Staaten und dem Nordosten der USA bzw. Kanada.

Nur aus der EU kommen einige Positivmeldungen

Lediglich in Europa zeigen Maßnahmen für eine sauberere Energiegewinnung und im Transportsektor einen geringen Rückgang von Todesfällen, die auf Luftverschmutzung zurückgeführt werden (von 62 von 100.000 in 2015 auf 59 von 100.000 in 2018). Daraus schätzen die Autoren für die gesamte EU eine jährliche Ersparnis von 8,8 Milliarden US-Dollar.

Die Autoren ziehen als Fazit, dass die erwartete Erholung von der COVID-19-Pandemie eine einmalige Chance bietet, den Klimaschutz voranzubringen. Denn die verschiedenen Staaten haben und werden in der Pandemie gemeinsame Ziele verfolgen. Nun gelte es, auf diesem Weg zu bleiben und nicht nur die Pandemie zurückzudrängen, sondern auch die gesamte Gesundheit der Bevölkerung, eine nachhaltigere Ökonomie und den Schutz der Umwelt gemeinsam voranzubringen.

 

Kommentar

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