Nach einer retrospektiven Analyse an über 2.800 Krebspatienten einer einzelnen US-Klinik ist die Behandlung mit einem Checkpoint-Inhibitor eventuell mit einer Verdopplung des Risikos für eine venöse Thromboembolie (VTE) verbunden – dies in den 2 Jahren nach der Therapie gegenüber den 2 Jahren zuvor.
Die Studie konzentrierte sich auf Krebspatienten am Massachusetts General Hospital in Boston, die mit einem Checkpoint-Inhibitor behandelt wurden. Die Inzidenz venöser Thromboembolien in den 2 Jahren vor der Behandlung mit einem beliebigen Checkpoint-Inhibitor betrug 4,85/100 Patientenjahre, die dann in den 2 Jahren nach der Behandlung auf 11,75/100 Patientenjahre anstieg. Dies führte zu einem Inzidenzratenverhältnis (IRR) von 2,43 bei der Nachsorge im Vergleich zur Zeit vor der Behandlung, sagte Dr. Jingyi Gong vom Brigham and Women's Hospital in Boston bei den virtuellen Scientific Sessions 2020 der American Heart Association (AHA) [1].
Die erhöhte VTE-Rate resultierte aus einem Anstieg sowohl der Rate für tiefe Venenthrombosen, die während der Nachbehandlungszeit ein IRR von 3,23 aufwies, als auch für Lungenembolien mit einem IRR von 2,24, so Gong. Sie stellte die Hypothese auf, dass dieser Effekt auf eine prokoagulierende Wirkung der Immunaktivierung und Entzündung zurückzuführen sein könnte, die durch Checkpoint-Inhibitoren getriggert wird.
Ergebnisse zur Hypothesenbildung
Aus der Kardiologie kommen Stimmen, die davor warnen, diese Befunde nur als Stoff zur Hypothesenbildung anzusehen. Es wurde vielmehr an die Ärzte appelliert, das Bewusstsein für das Potenzial einer möglichen VTE nach einer Checkpoint-Inhibitor-Behandlung zu erhöhen.
„Die eindeutige Botschaft ist, dass man sich dieser Hinweise bewusst sein sollte und die Möglichkeit einer VTE nach einer Checkpoint-Inhibitor-Behandlung stets im Blick behält“, kommentierte Dr. Richard J. Kovacs, Kardiologe an der Indiana University in Indianapolis. Die Daten, die Gong vorlegte, seien „einigermaßen überzeugend“, fügte er in einem Interview hinzu.
„Das Bewusstsein dafür, dass Patienten, die eine Checkpoint-Inhibitor-Behandlung erhalten, ein erhöhtes VTE-Risiko haben können, ist sehr wichtig“, stimmte Dr. Umberto Campia zu, Kardiologe, Gefäßspezialist und Mitglied der kardioonkologischen Gruppe am Bostoner Brigham and Women's Hospital. Er war an der neuen Studie nicht beteiligt.
Die potenziellen Auswirkungen der Checkpoint-Inhibitor-Behandlung auf das VTE-Risiko hätten sich in letzter Zeit abgezeichnet, fügte Campia hinzu. Bis vor wurden in der Literatur vornehmlich Fallberichte dazu gefunden, doch jüngst sei eine weitere retrospektive Studie erschienen, die über eine 13%-ige Inzidenz von VTE bei Krebspatienten nach Checkpoint-Inhibitor-Behandlung an einer einzelnen Klinik berichtete.
Andererseits konnte in einer zuletzt veröffentlichten Metaanalyse mit insgesamt über 20.000 Patienten aus 68 Checkpoint-Inhibitor-Studien keine erhöhte VTE-Inzidenz nach Checkpoint-Inhibitor-Behandlung festgestellt werden.
Der Versuch, die Folgen der Behandlung für das VTE-Risiko bei Krebspatienten zu beurteilen, stellt eine Herausforderung dar, da der Krebs selbst dieses Risiko ebenfalls erhöht. Im Jahr 2014 gab die American Society of Clinical Oncology (ASCO) ihre letzten Empfehlungen zur VTE-Prophylaxe bei Krebspatienten heraus. Danach sollte sie im ambulanten onkologischen Bereich „bei gut ausgewählten Hochrisiko-Patienten in Betracht gezogen werden“. Der Einfluss der Krebstherapie auf das VTE-Risiko und die Notwendigkeit einer Prophylaxe wird normalerweise über den Khorana-Score bestimmt, erklärte Campia in einem Interview.
VTE-Spitzen unmittelbar nach Checkpoint-Inhibitor-Behandlung
Gong analysierte die VTE-Inzidenzraten im Hinblick auf ihr zeitliches Auftreten während des gesamten 4-jährigen Untersuchungszeitraums. Sie stellte dabei fest, dass die Rate während der 2 Jahre vor der Behandlung allmählich und stetig anstieg, unmittelbar nach der Checkpoint-Inhibitor-Behandlung in die Höhe schnellte und dann langsam wieder auf etwa das Niveau von unmittelbar vor der Behandlung zurückging. Dieses wurde dann etwa ein Jahr nach der Behandlung erreicht.
Sie führte auch eine Sensitivitätsanalyse durch, welche Patienten ausschloss, die im ersten Jahr nach der Behandlung starben. Dabei blieb die VTE-Spitze gleich nach der Behandlung erhalten, war jedoch weniger ausgeprägt.
Gong stellte auch die Ergebnisse aus verschiedenen Subgruppenanalysen vor. Die IRR blieben bei Frauen und Männern, bei Patienten über oder unter 65 Jahre, bei den unterschiedlichen Krebsarten sowie bei Behandlungen mit oder ohne Kortikosteroide konsistent. Allerdings wurden bei diesen Analysen 2 Faktoren identifiziert, bei denen die VTE-Raten klar auseinanderzugehen schienen:
Bei Patienten, die zum Zeitpunkt ihrer Behandlung mit einem Gerinnungshemmer behandelt wurden (etwa 10%), lag die IRR bei 0,56, gegenüber einer IRR von 3,86 bei den übrigen Patienten, was auf einen möglichen Schutz hindeutet.
Ein zweiter Faktor, der mit der VTE-Inzidenz in Zusammenhang zu stehen schien, war die Anzahl der Behandlungszyklen mit einem Checkpoint-Inhibitor. Bei mehr als 5 Zyklen lag die IRR bei 3,95, während Patienten mit 5 oder weniger Zyklen auf eine IRR von 1,66 kamen.
Die Patienten waren im Mittel 64 Jahre alt, etwas mehr als die Hälfte war männlich, und 13% hatten eine positive VTE-Anamnese. Die Patienten erhielten im Durchschnitt 5 Behandlungszyklen, aber ein Viertel erhielt auch über 10 Zyklen.
Während der 2-jährigen Nachbeobachtungsphase entwickelten 244 Patienten (9%) eine VTE. Die Betroffenen waren mit durchschnittlich 63 Jahren signifikant jünger als diejenigen, die keine VTE entwickelt hatten (Durchschnitt 65 Jahre). Und Patienten, die eine VTE entwickelten, hatten mit 18% eine signifikant höhere Prävalenz bei VTE in der Vorgeschichte gegenüber 12% bei den Patienten, die keine VTE erlitten.
Die Krebsarten der Patienten waren: nicht kleinzelliges Lungenkarzinom (29%), Melanom (28%), Kopf- und Halstumoren (12%), Nieren- und Urogenitalkarzinome (6%) und andere Krebsarten (25%). Checkpoint-Inhibitoren sind seit 2011 in den USA in der Breite zugelassen. Klassische Vertreter dieser Wirkstoffgruppe sind etwa Pembrolizumab und Durvalumab.
Antikoagulanzien-Prophylaxe?
Um zu ermitteln, ob eine Antikoagulanzien-Prophylaxe für Patienten, die Checkpoint-Inhibitoren erhalten, eindeutig vorteilhaft ist, müssten prospektive, randomisierte Studie durchgeführt werden, sagte Gong. Aber sowohl Kovacs als auch Campia meinten, dass zunächst mehr Daten zu diesem Thema erforderlich seien.
„Wir müssen zunächst verifizieren, ob die Behandlung mit Checkpoint-Inhibitoren mit VTE assoziiert ist. Retrospektive Daten geben da keine abschließende Auskunft“, so Campia. „Wir müssten die Auswirkungen der Checkpoint-Inhibitoren prospektiv bewerten, was nicht einfach sein wird, da sie in kurzer Zeit zu einem Therapieeckpfeiler bei vielen Krebsarten geworden sind. Wichtig ist, sich mit den unerwünschten Wirkungen dieser Medikamente besser vertraut zu machen. Wir lernen immer noch Neues über ihre Toxizität.“
Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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Diesen Artikel so zitieren: Besteht ein Zusammenhang zwischen Thromboembolien und der onkologischen Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren? - Medscape - 17. Dez 2020.
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