Was Begeisterung oder Empörung im Gehirn bewirken – und warum die Seriosität der Nachricht dabei unwichtig ist

Dr. Thomas Kron

Interessenkonflikte

18. Dezember 2020

Emotionsgeladene Schlagzeilen haben großen Einfluss auf unsere Informationsverarbeitung und Urteilsbildung über Personen, selbst wenn wir die Nachrichtenquelle nicht für glaubwürdig halten. Dies berichten Forscher um Julia Baum von der Humboldt-Universität zu Berlin [1].

Bauch versus Großhirnrinde 

Gerüchte, Halbwahrheiten und Falschinformationen haben eine enorme Reichweite. Doch obwohl sie fragwürdig oder falsch sind, können sie einen erheblichen Einfluss auf persönliche Meinungen und öffentliche Diskurse ausüben. Bislang war jedoch wenig darüber bekannt, welche Folgen die Konfrontation mit solchen Informationen darauf hat, wie diese in unserem Gehirn verarbeitet werden und inwiefern dieser neuronale Prozess unser Urteilsvermögen beeinflusst. Dieser Frage sind Baum und Kollegen jetzt nachgegangen.

Sie haben Probanden mit fiktiven Schlagzeilen im Online-Layout bekannter deutscher Medien konfrontiert (Tagesschau, Süddeutsche Zeitung, Zeit Online, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Bild, B.Z. Berlin, Bunte, Gala). Studienteilnehmer lasen Artikel mit sozial-emotionalen oder mit neutralen Informationen über fiktive Charaktere. Beispielsweise stand geschrieben, dass eine Person Steuergelder veruntreut und ein anderer Mensch Zivilcourage bewiesen habe. Nach einer kurzen Pause haben Neurologen die Gehirnaktivität ihrer Probanden gemessen, während dieser Gesichter fiktiver Protagonisten beurteilten. 

Glaubwürdigkeit der Medienquelle ohne Bedeutung

Obwohl Studienteilnehmer Medien als unterschiedlich glaubwürdig beurteilten, spielten diese Einschätzungen für ihre Meinungsbildung keine Rolle. Schlagzeilen mit Inhalten, die Emotionen hervorriefen, hatten dagegen starke Auswirkungen auf die Urteile: Auch ohne Vertrauen in die jeweilige Nachrichtenquelle fällten Probanden extreme Urteile. Personen, deren Verhalten als negativ beschrieben wurde, bewerteten die Teilnehmer als unsympathisch und negativ, während sie Personen, die mit guten Taten Schlagzeilen machten, als sehr sympathisch und positiv einschätzten. 

Gehirnaktivität zeigt die Auswirkung emotionaler Schlagzeilen

Im Experiment bestimmten Neurologen die Gehirnaktivität ihrer Probanden anhand von Elektroenzephalogrammen, während sie Urteile über die Personen fällten. Dabei können schnelle, unwillkürliche Antworten des Gehirns von langsameren, kontrollierten Reaktionen unterschieden werden.

Die Forscher hatten erwartet, dass letztere außer der Emotion eine Berücksichtigung der Glaubwürdigkeit der Quelle enthalten und somit die Glaubwürdigkeit in das Urteil einfließen könnte, während in frühen und eher unwillkürlichen Reaktionen die Emotionen dominieren sollten. Jedoch zeigten sich sowohl in späten als auch in frühen Reaktionen des Gehirns dominante Einflüsse der Emotionalität der Schlagzeilen, unabhängig von der Glaubwürdigkeit. 

Diese neuen Erkenntnisse zeigen, dass Nachrichteninhalte, die Gefühle wie Begeisterung oder Empörung auslösen, auch dann nicht einfach an uns abprallen, wenn die Vertrauenswürdigkeit der Quelle als gering eingeschätzt wird. Vielmehr bleiben Vorbehalte gegenüber der Verlässlichkeit einer Quelle wirkungslos, wenn emotionale Inhalte unser Urteilsvermögen dominieren. Anders formuliert: Unser Bauch schlägt die Großhirnrinde.

Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Univadis.de .

 

Kommentar

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