Aus der Not eine Tugend machen: Strategien, wie Mobilität das Klima schützen und Gesundheit fördern kann

Antje Sieb

Interessenkonflikte

16. Dezember 2020

Straßenverkehr kann dem Klima und der Gesundheit schaden – denn Verkehr verursacht Treibhausgas-Emissionen, aber auch Feinstaubbelastung und sorgt dafür, dass wir uns zu wenig bewegen. Der aktuelle Lancet Countdown Bericht will dafür sorgen, dass solche Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Gesundheit in der Öffentlichkeit, aber auch der Politik, klarer werden [1].

Deshalb werden Daten zu insgesamt 43 Indikatoren gesammelt – vom Anstieg der Hitzetoten über die Treibhausgas-Emissionen von Kohle und Landwirtschaft bis hin zu Bemühungen, eine Trendwende herbeizuführen.

„Obwohl fossile Brennstoffe den Verkehrssektor nach wie vor dominieren, wächst die Nutzung von Elektrizität im Straßenverkehr“, schreiben die Autoren um den Londoner Mediziner Dr. Nick Watts. Die Flotte der Elektrofahrzeuge sei von 2017 bis 2018 um über 60% angewachsen – auf nun über 5 Millionen Fahrzeuge. Allerdings steige auch der Kraftstoffverbrauch im Straßenverkehr immer noch an, wenn auch deutlich langsamer.

Noch deutlich effektiver als alternative Antriebe wäre es allerdings, schreiben die Wissenschaftler, aufs Auto soweit wie möglich zu verzichten: zu Fuß gehen, oft auch in Verbindung mit der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, sowie Radfahren ist sowohl in Bezug auf den Klimaschutz als auch auf die eigene Gesundheit deutlich wirkungsvoller.

 
Wir müssen nicht jedes Problem einzeln lösen. Es gibt Win-Win-Strategien, bei denen sowohl Klima als auch Gesundheit profitieren. Prof. Dr. Sabine Gabrysch
 

„Wir müssen nicht jedes Problem einzeln lösen“, sagt dazu die Medizinerin Prof. Dr. Sabine Gabrysch vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung und der Charité Berlin. „Es gibt Win-Win-Strategien, bei denen sowohl Klima als auch Gesundheit profitieren.“ Allerdings müsse man dazu auch finanzielle Interessen überwinden, betonte die Wissenschaftlerin bei der Vorstellung des aktuellen Lancet-Countdown-Berichtes, der aus der internationalen Zusammenarbeit von 35 Institutionen hervorgeht.

Strategien für Deutschland

Solche Strategien sollten auch in Deutschland zur Anwendung kommen, fordern zahlreiche Gesundheitsexperten. In punkto Verkehr sei es besonders wichtig, die Fußgänger- und Fahrrad-Infrastruktur und das aktive Pendeln zu fördern. So könne man Treibhausgas-Emissionen und Feinstaubbelastung senken sowie gleichzeitig mit mehr Bewegung für Gesundheit sorgen.

„Der während der COVID-19 Pandemie weniger genutzte öffentliche Nahverkehr benötigt Förderung“, erinnert die Epidemiologin Prof. Dr. Annette Peters vom Helmholtz Zentrum München. In anderer Hinsicht habe die Pandemie allerdings schon für positive Verhaltensänderungen gesorgt, wie etwa eine stärkere Nutzung des Radverkehrs in Städten. Das biete Chancen, solche positiven Änderungen auch in einem Leben nach der Pandemie beizubehalten.

Win-Win-Lösungen für Klima und Gesundheit bevorzugen

Ganz allgemein sei es enorm wichtig, dass die nun ergriffenen Maßnahmen zur Bewältigung der Pandemiefolgen auch die Klimakrise miteinbezögen, sagte Prof. Dr. Tadj Oreszczyn von der Countdown Lancet Working Group bei der Präsentation des Berichtes. Denn die Pandemie habe zwar nach Schätzungen für 2020 zu einer deutlichen Reduktion des Treibhausgasausstoßes geführt, dieser Effekt sei aber nicht nachhaltig.

Der Bericht nennt allerdings einige Änderungen, deren Nutzen man auswerten und die man nach Möglichkeit dann auch beibehalten solle. So können mehr Homeoffice und häufigere virtuelle Konferenzen dazu beitragen, dauerhaft Flug- und Straßenverkehr zu reduzieren. „Um teilweise schmerzhafte Transformationen anzugehen, braucht es vor allem Mut“, so die Einschätzung von Gabrysch. „Geld, das jetzt fließt, sollte Win-Win-Lösungen fördern“, fordert die Berliner Wissenschaftlerin.

Unter anderem der Verkehrssektor ist für die Experten prädestiniert für solche Win-Win-Lösungen, die Klima und Gesundheit gleichzeitig adressieren können. Denn auch wenn der Sektor in Europa für ein Viertel der Treibhausgas-Emissionen verantwortlich sei und die Hauptursache für die Luftverschmutzung in Städten darstelle, habe aktiver klimafreundlicher Transport gleichzeitig das Potential, Bewegung und Gesundheit zu fördern. So fasst es eine Gruppe von Wissenschaftlern im zeitgleich mit dem aktuellen Bericht veröffentlichten Policy-Brief für Deutschland zusammen [2].

Das Papier leitet aus dem Lancet-Countdown-Bericht konkrete Maßnahmen oder Ziele ab, um den negativen Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit vorzubeugen oder sie abzumildern.

Im vergangenen Jahr gehörte zu diesen Zielen auch, dass Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Gesundheit stärker in die ärztliche Aus- und Fortbildung einfließen sollen. Dort bleibe aber noch einiges zu tun, lautete die Bilanz nach einem Jahr. Das Thema sei allerdings nach wie vor enorm wichtig, denn, wie Oreszczyn betont: „Kein Land ist gegenüber den gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels immun.“ 

 
Kein Land ist gegenüber den gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels immun. Prof. Dr. Tadj Oreszczyn
 

 

Kommentar

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