Große Studien geben bei Rhythmusstörungen neue Strategien vor. Prof. Dr. Thorsten Lewalter fasst die spannendsten von der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) zusammen.
Transkript des Videos von Prof. Dr. Thorsten Lewalter
Herzlich willkommen, mein Name ist Thorsten Lewalter. Ich bin Chefarzt im Internistischen Klinikum München-Süd und möchte die interessantesten Punkte von der letzten DGK-Tagung im Bereich der Diagnostik und Therapie von Herzrhythmusstörungen zusammenfassen.
Neue Studien zur Therapie des Vorhofflimmerns
Das Vorhofflimmern (VHF) ist die häufigste Arrhythmie bei Erwachsenen und ist ein wesentlicher Treiber von Kosten, Mortalität und Morbidität.
Es gab hier eine spannende Studie, die jetzt viel diskutiert und in die Praxis eingeordnet wird: die EAST-AF-Net-Studie [1].
Bisher hat man VHF im Wesentlichen aus Symptomgründen behandelt. Die EAST-AF-Net-Studie ( Medscape berichtete) hat die Behandlung des VHF im Sinne eines Erhalts des Sinusrhythmus geprüft – unter der Frage geringere Rehospitalisierung, geringere Herzinsuffizienz und geringere kardiovaskuläre Sterblichkeit. Sie hat mit einer aggressiveren Behandlung von Menschen mit früher Phase des VHF einen signifikanten Überlebensvorteil und einen Nutzen zeigen können.
Das ist der Auftakt für eine etwas intensivere Rhythmuskontrolle im frühen Stadium, die nicht nur von den Symptomen des Patienten getrieben wird.
Medikamente oder Ablation?
In diesem Zusammenhang gehört auch die Frage, wie wir am besten vorgehen, der lange Disput um „pills or pulses” – also um Medikamente oder Ablation. Was ist der bessere Weg in der Rhythmuskontrolle?
Auch dazu gab es mehrere große Untersuchungen: Hier hat sich z.B. die Kryoablation gegenüber einer medikamentösen Therapie als deutlich effektiver in Bezug auf geringere Rezidivraten erwiesen.
Dieses Thema kann man also so zusammenfassen: VHF früh rhythmuskontrollierend behandeln, insbesondere beim jüngeren und rüstigen älteren Patienten. Wenn wir so vorgehen, dann besteht inzwischen schon ein deutlicher Pluspunkt für die Ablationstherapie.
Corona-Effekt: Weniger ventrikuläre Arrhythmien im Lockdown
Wir sind derzeit in der 3. Welle der Corona-Pandemie. Eine Untersuchung aus den USA ging der Frage nach, wie wirken Lockdown und Reduktion unseres normalen Mobilitätslevels auf das Auftreten von ventrikulären Arrhythmien [2]. Die Kardioverter-Defibrillatoren haben eine Fernüberwachungsfunktion, mit der man die Arrhythmie-Last beobachten kann.
Hier zeigte sich an einer breiten Datenbasis von fast 6.000 Patienten, dass während der COVID-19-Pandemie Kammerarrhythmien und assoziierte ICD-Behandlungen um etwa 30% abnahmen.
Warum sich dieser Lockdown so ausgewirkt hat, wird noch spekuliert. Etwa aus dem Grund, dass ein gewisser Schutz vor Stressoren bestand, die durch Mobilität und Interaktionen entstehen. 30% Reduktion ist mehr, als manches Antiarrhythmikum erreichen kann.
Mitralklappenprolaps plus Arrhythmie erhöht Risiko von plötzlichem Herztod
Ein weiterer Aspekt aus dem Bereich der Kammerarrhythmien ist der Mitralklappenprolaps. Das Syndrom ist insofern spannend, weil es jeden Kardiologen ein Leben lang als eher banales Phänomen begleitet. Es ist eine gewisse Bindegewebsschwäche, die Segel der Mitralklappe wölben sich während der Systole stärker in den linken Vorhof vor. Der Mitralklappenprolaps ist bei 2 bis 3% der Menschen zu beobachten und gilt als Nebendiagnose, wenn es nicht zu einer Undichtigkeit der Mitralklappe kommt.
Eine große Untersuchung mit einer Langzeitbeobachtung bis zu 8 Jahre hat gezeigt, dass bei Vorliegen eines Mitralklappenprolapses und Kammerrhythmusstörungen Ausmaß und Komplexität der Kammerarrhythmie gute Prädiktoren für die Gefahr eines plötzlichen Herztods sind [3].
Die Patienten haben ein erhöhtes Risiko für einen plötzlichen Herztod. Ein wichtiger Prädiktor dafür scheint die Extrasystolie-Last in Verbindung mit diesem Mitralklappenprolaps zu sein.
Die Frage, ob man das umkehren kann, wenn man die Extrasystolen behandelt, ist offen.
Künstliche Intelligenz in der Kardiologie
Als letzten Aspekt möchte ich ein Thema ansprechen, das am Anfang seiner Entwicklung steht. Es gibt aber schon einige Publikationen hierzu und wird sehr intensiv diskutiert.
Es geht um den Nutzen von künstlicher Intelligenz in der Kardiologie und speziell im und am EKG. Dazu gab es mehrere Untersuchungen. Eine möchte ich heraus greifen, weil sie einen gewissen Durchbruch darstellt.
Eine Arbeitsgruppe der Mayo-Klinik hat bei über 1 Mio. EKGs – bei denen auch ein medizinischer Verlaufsbericht vorlag – überprüft, ob man mit einem normalen Sinusrhythmus-EKG quasi den Fingerabdruck oder die Anzeichen eines zusätzlich auftretenden VHF herauslesen kann [4].
Mit einem KI-Algorithmus gelang diese Vorhersage, ohne dass ein VHF bereits im EKG so zu sehen war. Die Vorhersagequalität dieses Ansatzes war gut und deutlich besser als bei vielen anderen Diagnose-Methoden in der Medizin. Das hat natürlich eine Tür aufgestoßen.
Wenn man den Gedanken weitertreibt und sagt, ich schreibe beim Hausarzt ein ganz normales EKG und die Intelligenz dieses Algorithmus ist in der Maschine eingepreist und ich bekomme Prädiktoren für zusätzlich bestehende Arrhythmien angezeigt, dann ist das natürlich eine neue Dimension in der Kardiologie.
Wenn man das Ganze dann noch extrapoliert auf Wearables, also z. B. Uhren, und EKG-Signale, die man mit tragbaren Geräten registrieren kann, dann deutet sich die moderne Welt an, dass wir biologische Signale erfassen, die mit künstlichen intelligenten Algorithmen aus diesen Signalen Risikomuster erstellen. Auf diese Weise können wir dann präventiv oder therapeutisch reagieren.
Das sind einige für mich – und ich hoffe auch für Sie – interessante Neuigkeiten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Die dargestellte Meinung entspricht der des Autors und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten von WebMD oder Medscape wider.
Diesen Artikel so zitieren: Arrhythmien besser behandeln: Früher therapieren, Ablation vorziehen, KI für die VHF-Vorhersage und der wundersame Corona-Effekt - Medscape - 15. Apr 2021.
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