Kein Bock mehr auf Lockdown? Ein Psychiater erklärt, wie man für Corona-Maßnahmen motivieren und sie besser kommunizieren kann

Prof. Dr. Mazda Adli

Interessenkonflikte

28. Januar 2021

„Hoffnung ist eine Währung!“ Der Psychiater und Stressforscher Prof. Dr. Mazda Adli aus Berlin spricht im Interview über Ängste, Sportsgeist sowie seine Wunschliste für die Zeit nach der Pandemie. 

Er ist Psychiater, Psychotherapeut und Chefarzt an der Fliedner-Klinik in Berlin. Außerdem leitet er den Forschungsbereich „Affektive Störungen“ an der Charité-Universitätsmedizin Berlin.

Transkript des Videos von Prof. Dr. Mazda Adli, Berlin

Wie schätzen Sie als Psychiater die Stressbelastung der Menschen nach einem Jahr Pandemie ein?

Als Psychiater erlebe ich täglich in der Klinik und in unseren Sprechstunden das Thema Stress und Belastung durch die Pandemie - und zwar als klinisch relevantes Problem.

Das zeigen auch die meisten Studien aus den unterschiedlichen geographischen Regionen der Erde, die wir mittlerweile schon haben: Psychische Belastung, Ängstlichkeit, depressive Symptome und Existenzängste nehmen durch die Pandemie zu und dies interessanterweise ganz besonders in den jungen Altersgruppen.

Wie kann man besser motivieren – durch strengere Verbote oder Appelle an die Eigenverantwortung?

Nach einem Jahr in der Pandemie stellen wir bei sehr vielen Menschen eine Erschöpfung fest. Eine Art Pandemie-Fatigue, wie es mittlerweile genannt wird. Die Menschen sind der Maßnahmen oftmals überdrüssig. Aus so einer Negativschleife müssen wir herausfinden.

Dazu ist eine gute Kommunikationsstrategie ganz entscheidend, und zwar eine, die auf Motivation setzt. Es ist wichtig, auf positive Anreize zu setzen und nicht so sehr auf Verbote. Auch wenn es ganz ohne Verbote vielleicht nicht geht – der motivationale Aspekt ist wichtig.

Wenn ich als Einzelner in eine Rolle komme, bei der ich mir die Frage stellen kann, was kann ich als Bürger oder Bürgerin noch tun, damit das Virus gedrängt wird – das wäre die ideale Ausgangsposition. Also, dass jeder eine Handlungsmotivation verspürt.

Man kann dies erreichen, indem man eine Motivationslage schafft, die besagt: Wenn wir es zum Beispiel schaffen, in unserer Region die Fallzahl unter einen bestimmten Wert zu drücken, dann wird diese oder jene Lockerung eintreten.

Ich gebe zu, dass wahrscheinlich dafür noch viel mehr regionales Denken notwendig wäre, weil wir Menschen es eher gewohnt sind, in kleineren Einheiten zu denken und zu funktionieren.

Für eine Region, in der man lebt, sich zu engagieren, fällt motivationspsychologisch leichter als für ein großes Gebiet, das man nicht so leicht übersehen kann und mit dem man sich auch schwerer identifiziert.

In der Psychotherapie arbeiten wir schon lange mit dem Instrument des „Motivational Interviewing“. Diese Mechanismen könnten wir uns sehr viel mehr zunutze machen, um die Menschen wirksam hinter den Corona-Maßnahmen zu vereinen, die einfach auch notwendig sind, um die Pandemie zurück zu drängen.

Viele Menschen hoffen nun auf die Impfstoffe als Ausweg…

Die Impfung ist eine ganz andere Art von positiver Aussicht. Sie ist ein sehr klarer und konkreter Anlass für Optimismus und Hoffnung. Das brauchen wir alle im Moment. Hoffnung ist eine echte Währung für unsere Seele und sicherlich ein ganz wichtiger Baustein in der Motivationsarchitektur, die wir jetzt zugrunde legen müssen.

Wir brauchen viel eher die Überzeugung jedes Einzelnen. Durch eigenes Handeln und Verzicht auf bestimmte Dinge, die wir im Alltag sonst sehr schätzen, kann es uns gemeinsam gelingen, das Virus zurück zu drängen und die Infektionszahlen zu senken.

Es muss so etwas wie ein „Sportsgeist“ entstehen. Das schafft eine andere Handlungsmotivation als durch Hoffnung. Allerdings ist beides wichtig.

Wie gut gelingt es Politikern in der Pandemie, zu kommunizieren und die Bürger zu motivieren?

Das gelingt nicht immer, wenn ich mir die Kommunikationsstrecken über die letzten Monate anschaue. Das liegt natürlich auch daran, dass wir uns als Gesellschaft noch nie in einer solchen Situation befunden haben. Das kann man niemandem vorwerfen.

Aber man kann immer wieder aus bisherigen Erfahrungen lernen. Meine größte Lektion, die ich mitnehme, ist, dass es ganz entscheidend ist, ein klares Hoffnungssignal zu setzen, eine klare Perspektive zu bieten, wie es besser werden kann und auch die Gewissheit zu geben, dass es besser werden wird.

Das genau hält uns bei der Stange und es ist die Grundlage, auf der Motivation und gesellschaftlicher Zusammenhalt basieren, den wir in diesen Tagen auch dringend benötigen.

Wenn Bürgerinnen und Bürger die Vorgänge besser verstehen, fällt es auch leichter, die nötige Motivation zusammen zu kratzen. Es ist einfach schwierig, nach so einer langen Zeit, die wir jetzt mit der Pandemie zu tun haben, die Motivation aufzubringen, um sich hinter die Maßnahmen zu stellen. Dass wir weiter auch wirksame Maßnahmen brauchen, daran besteht überhaupt kein Zweifel. Aber dafür brauchen wir jeden einzelnen Menschen.

Wie motivieren Sie sich für die nächsten Wochen und Monate?

Ich motiviere mich, indem ich versuche, mir einfach alles das zu merken, worauf ich jetzt verzichte. Ich habe einen wachsenden Wunschzettel an Dingen, die ich gerne mache, beispielsweise Reisen, Unternehmungen mit anderen Menschen, kulturelle Aktivitäten, die mir sehr fehlen, Singen mit meinem Psychiater-Chor und vieles mehr. Das landet alles auf einer großen Wunschliste. Die Vorfreude auf diese Dinge, das motiviert mich persönlich jeden Tag.
 

Kommentar

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