Auch negative Studienergebnisse sind wichtig für die Therapie. Dies zeigt die Auswahl von Prof. Dr. Hans-Christoph Dieners Dezember-Studien.
Transkript des Videos von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Duisburg-Essen
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich bin Christoph Diener, Neurologe an der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen.
Ich möchte Ihnen gern einige Studien vorstellen, die im Dezember 2020 erschienen sind.
2 wichtige Studien wurden im Bereich der Neurotraumatologie publiziert.
Dexamethason beim chronischen subduralen Hämatom
Die erste Studie beschäftigt sich mit der Frage, ob chronische subdurale Hämatome von einer Behandlung mit Dexamethason profitieren [1].
Worauf basiert diese Hypothese?
Man weiß, dass es bei chronischen subduralen Hämatomen auch zu Entzündungsreaktionen und zu einer Undichtigkeit von kleinen Gefäßen in der Wand der Dura kommen kann. Daher stellt man sich vor, dass Dexamethason bei diesen Patienten eventuell hilft. Die in Großbritannien durchgeführte Studie wurde im New England Journal of Medicine publiziert.
748 Patienten wurden randomisiert mit Dexamethason oder Placebo behandelt. 95% dieser Patienten waren operiert worden.
Der primäre Outcome war ein funktioneller Outcome auf der modifizierten Rankin-Skala von 0 bis 3, das heißt, die Patienten sollten ohne wirklich schwerwiegende Behinderung sein.
Es gab aber keinen Unterschied zwischen den beiden Gruppen, dieser Endpunkt wurde bei 84% unter Dexamethason und 90% unter Placebo erreicht. Placebo war also sogar eher besser als Dexamethason.
Fazit: Beim chronischen subduralen Hämatom bringt Cortison nichts.
Tranexamsäure bei schweren Schädel-Hirn-Traumen?
Die 2. Studie beschäftigt sich mit Tranexamsäure bei schweren Schädel-Hirn-Traumen [2]. Diese Substanz soll intrakranielle Blutungen verhindern oder das Größenwachstum reduzieren.
Wichtiger Punkt hier ist, dass die Behandlung so früh wie möglich einsetzten sollte. Deswegen haben die holländischen Kollegen ihre Register von Hubschraubertransporten ins Krankenhaus analysiert. Sie verglichen Patienten, die bereits im Hubschrauber Tranexamsäure bekommen haben, mit den Patienten, die keine Tranexamsäure bekommen haben.
Es handelte sich ganz überwiegend um Verkehrsunfälle und Stürze. Eingeschlossen waren 1.827 Patienten. Die Mortalität betrug 37% unter Tranexamsäure und 30% unter Placebo. Damit war Placebo signifikant besser wirksam als Tranexamsäure.
Wir haben jetzt 7 große randomisierte Studien mit über 32.000 Patienten mit Tranexamsäure bei Schädel-Hirn-Traumen. Es gibt eine schwache Tendenz, dass die Mortalität reduziert wird, aber die Therapie hat keinerlei Einfluss auf den Behinderungsgrad dieser Patienten.
Zudem wissen wir, dass Tranexamsäure bei spontanen intrazerebralen Blutungen leider auch nicht wirksam ist.
COVID-19 und Schlaganfall
Zum Zusammenhang zwischen COVID-19 und Schlaganfall ist eine Studie in Neurology publiziert worden, die die Daten aus 10 Studien und 125 Einzelfällen zusammengefasst hat [3].
Man weiß in der Zwischenzeit, dass es im Rahmen der SARS-CoV2-Infektion bei etwa 1,8 bis 2% der Patienten zu einem Schlaganfall kommt. Die Sterblichkeit im Krankenhaus beträgt etwa 35%. Bei der Hälfte der Patienten liegen Verschlüsse der großen hirnversorgenden Arterien vor.
Eine besonders hohe Mortalität haben Patienten im fortgeschrittenen Alter, mit Komorbiditäten und einer schweren Lungenmanifestation.
Epilepsie in der Schwangerschaft
Eine weitere Studie beschäftigte sich mit der Frage, was mit der Anfallshäufigkeit bei Frauen mit Epilepsie während der Schwangerschaft passiert [4]. Man weiß, dass zu Beginn einer Schwangerschaft häufig die antikonvulsive Therapie geändert werden muss, um die Einnahme von potenziell teratogen wirkenden Substanzen zu verhindern.
Die Kollegen, die die Studie im New England Journal of Medicine publiziert haben, haben 2 Zeiträume untersucht, und zwar den Zeitraum 1 der Schwangerschaft plus die ersten 6 Wochen nach der Geburt und den Zeitraum 2, die nächsten 7,5 Monate.
Das Besondere dieser Studie ist, dass sie nicht nur 351 schwangere Frauen, sondern auch 109 Kontrollen mit Epilepsie eingeschlossen hat.
Es zeigte sich, dass während der Schwangerschaft tatsächlich bei 23% der Frauen die Anfallshäufigkeit zugenommen hat. Das war allerdings bei den Kontrollen genauso häufig der Fall.
Es gibt zwar eine Zunahme der Häufigkeit von Anfällen, aber die ist offenbar nicht durch die Schwangerschaft per se bedingt.
Fatigue bei MS
Das letzte Thema betrifft viele Patienten mit Multipler Sklerose (MS), nämlich Fatigue, also Müdigkeit und Erschöpfung im Rahmen der Erkrankung.
In einer sehr eindrucksvollen Studie wurden bei 141 Patienten in einem Cross-Over-Design 3 Substanzen mit Placebo verglichen [5]. Die Patienten wurden je 6 Wochen mit Placebo, Amantadin, Modafinil oder Methylphenidat behandelt.
Alle Behandlungen reduzierten die Müdigkeit, aber es gab keinen Unterschied zwischen Verum und Placebo. Es besteht also keine wissenschaftliche Evidenz, dass Amantadin, Modafinil oder Methylphenidat besser wirksam sind als Placebo zur Behandlung von Müdigkeit bei MS-Patienten.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, meine Damen und Herren,
es wird auch im Jahr 2021 jeden Monat spannende Studien aus der Neurologie geben.
Ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen und bedanke mich fürs Zuhören und fürs Zuschauen.
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Diesen Artikel so zitieren: Neuro-Talk: 5 Studien zu Schlaganfall und COVID-19, Traumatologie, Epilepsie bei Schwangeren sowie MS-Fatigue - Medscape - 11. Jan 2021.
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