Transkript des Videos:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mein Name ist Nikolaus Sarafoff und ich bin Kardiologe in München. Ich möchte Sie herzlich zu meinem kardiologischen Jahresrückblick 2020 begrüßen.
Die Coronavirus-Pandemie hat das ganze Jahr beherrscht. Obwohl es mittlerweile über 80.000 wissenschaftliche Artikel auf PubMed gibt, ist unser Wissen zu Therapie und Prognose der Erkrankung aber weiterhin beschränkt.
Es ist nicht bekannt, warum manche Patienten asymptomatisch sind oder einen milden Verlauf haben, während andere eine Lungenentzündung entwickeln und hierfür im Krankenhaus behandelt werden und in schweren Fällen auf einer Intensivstation beatmet werden müssen. Neben der Lunge kann das Coronavirus aber auch andere Organe befallen.
Post-COVID-Syndrom mit Herzbeteiligung
Nach einer überstandenen COVID-19-Infektion ist die Erholungsphase unterschiedlich lang. Einige Patienten fühlen sich auch noch Wochen nach der Infektion schwach und erschöpft und klagen über Leistungsminderung, Atemnot, Husten oder Brustschmerzen. Andere haben Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen sowie Störungen des Geruchs und Geschmacks. Dies wird als Post-COVID-Syndrom oder Long COVID bezeichnet.
Unter anderem kann eine kardiale Beteiligung ursächlich für diese Symptome sein. Eine Arbeit aus dem Juli dieses Jahres machte bei 100 Post-COVID-Patienten ca. 70 Tage nach Diagnose ein MRT vom Herzen. [1]
Es zeigte sich bei 78% der untersuchten Patienten eine kardiale Beteiligung im MRT. Dies war unabhängig von Vorerkrankungen und vom initialen Schweregrad der Erkrankung.
Patienten mit anhaltenden Symptomen nach einer Coronavirus-Infektion sollten sich an spezialisierte Post-COVID-Ambulanzen wenden.
Die vielversprechenden Daten der Corona-Impfstoffe[2] lassen hoffen, dass die Corona-Pandemie im nächsten Jahr deutlich zurückgehen wird.
Neue Infarkt-Leitlinien
Des Weiteren sind im Jahr 2020 neue Leitlinien zum Nicht ST-Hebungsinfarkt erschienen. [3]
Eine wichtige Empfehlung ist, dass bei NSTEMI-Patienten ein routinemäßiges P2Y12 Inhibitor Loading nicht erfolgen sollte, wenn die Koronar-Anatomie noch nicht bekannt ist und die baldige Koronar-Diagnostik ansteht.
Wenn die Koronar-Anatomie dann bekannt und eine Intervention geplant ist, dann sollte Prasugrel im Vergleich zu Ticagrelor bevorzugt gegeben werden.
Bei Patienten, die nach Stentimplantation zusätzlich eine orale Antikoagulation benötigen, empfehlen die Leitlinien als Standardtherapie eine Woche Triple-Therapie – gefolgt von einer Kombination aus NOAK und einem P2Y12-Hemmer.
Während diese Empfehlung bei Patienten mit erhöhtem Blutungsrisiko sicherlich sinnvoll ist, kann diese kurze Triple-Therapie möglicherweise das Risiko für Stentthrombosen erhöhen [4]. Die Dauer der Triple-Therapie sollte deshalb je nach ischämischem Risiko oder Blutungsrisiko angepasst werden.
Timing invasiver Diagnostik
Es gibt auch neue Empfehlung zum Zeitpunkt der Herzkatheter-Untersuchung: Bei Patienten mit sehr hohem Risiko sollte die invasive Diagnostik innerhalb von 2 Stunden erfolgen und bei Patienten mit hohem Risiko innerhalb von 24 Stunden.
Während diese Vorgaben unter der Woche bereits problemlos erfüllt werden können, sollte diese Empfehlung dazu führen, dass gerade am Wochenende häufiger Patienten mit NSTEMI invasiv behandelt werden.
Leitlinien Vorhofflimmern
Auch zu Vorhofflimmern wurden neue europäische Leitlinien publiziert[5]. Diese besagen, dass man für eine definitive Diagnose von Vorhofflimmern entweder ein 12-Kanal-EKG oder einen 1-Kanal-Rhythmusstreifen von über 30 Sekunden benötigt.
Da Vorhofflimmern häufig unerkannt ist, sollte bei Patienten über 65 Jahren regelmäßig ein Screening auf Vorhofflimmern mittels Pulstasten oder eines EKGs erfolgen. Es wird nun zudem empfohlen, dass Vorhofflimmern genauer systematisch mit Hilfe des 4S-AF- Schemas charakterisiert wird.
Dies beinhaltet neben der Abschätzung des Schlaganfallrisikos anhand des CHA2DS2-VASc Scores, die Angabe der Schwere der Symptome mit dem EHRA-Symptom-Score, die Beschreibung der Intensität und der Dauer von Vorhofflimmern, sowie von strukturellen Herzveränderungen und Komorbiditäten.
Mit dem ABC-Pathway soll die Behandlung systematisch verbessert werden. A steht für Antikoagulation, B für bessere Symptomkontrolle und C für Komorbidität und Optimierung der Kardiovaskulären Risikofaktoren.
Die Rolle der Katheter-Ablation in der Therapie von Vorhofflimmern wurde zudem in den Leitlinien weiter gestärkt. Amiodaron wird aufgrund der extrakardialen Nebenwirkungen nicht mehr als First-line-Langzeittherapie empfohlen.
Ich möchte mich für Ihr Interesse am kardiologischen Jahresrückblick 2020 bedanken. Ihnen und Ihrer Familie ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest in dieser turbulenten Zeit.
Ich wünschen Ihnen Gesundheit, Glück, Zufriedenheit und viele schöne Momente im Jahr 2021 und freue mich, Sie im neuen Jahr wieder hier auf Medscape begrüßen zu dürfen.
Medscape © 2020 WebMD, LLC
Die dargestellte Meinung entspricht der des Autors und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten von WebMD oder Medscape wider.
Diesen Artikel so zitieren: Was Kardiologen 2020 gelernt haben: Etwa zu Long COVID, Timing von Katheter-Untersuchungen, Vorhofflimmern und Infarkt - Medscape - 21. Dez 2020.
Kommentar