Ungesunde Ernährung ist nicht nur ein Gesundheitsproblem, sondern befeuert in vielerlei Hinsicht auch den globalen Klimawandel. Als Beispiel nennen Forscher im Countdown-Bericht in The Lancet die Tierproduktion. Sie sei weltweit für über die Hälfte der landwirtschaftlichen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich [1].
Experten um den bisherigen Direktor von Lancet Countdown, den Londoner Mediziner Dr. Nick Watts, haben außerdem berechnet, dass weltweit im Jahr 2017 rund 990.000 Todesfälle auf den übermäßigen Verzehr von rotem Fleisch zurückzuführen sind. Diesen Konsum zu reduzieren sei also eine Win-Win-Maßnahme, um gleichzeitig den Klimawandel zu bremsen und die Gesundheit zu fördern, so die Autoren.
43 verschiedene Indikatoren erfasst
Lancet Countdown basiert auf der internationalen Zusammenarbeit von 35 Institutionen, die in jährlichen Berichten Daten über Zusammenhänge von Klimawandel und Gesundheit analysieren. Dabei werden unter anderem Hitzetote und Ernteverluste erfasst, aber auch Bemühungen um Vorbeugung oder Maßnahmen zur Verbesserung der Situation. Insgesamt gibt es 43 Indikatoren.
Aktuell geht es den Autoren um einen besonderen Aspekt: Die Corona-Krise dürfe Ziele des Pariser Klimaabkommens nicht noch in weitere Ferne schieben, als das ohnehin der Fall sei. „Wir können uns den Luxus, eine Krise nach der anderen zu bewältigen, nicht leisten“, sagte Prof. Dr. Tadj Oreszczyn vom University College London, Mitglied der Lancet Countdown Working Group, bei der Präsentation des Reports.
Alle Maßnahmen sollen einen mehrfachen Nutzen bringen
Wichtig sind den Wissenschaftlern vor allem Zusammenhänge, damit Maßnahmen einen mehrfachen Gewinn für die Gesellschaft bringen. Beispielsweise ist gesündere Ernährung im Idealfall nicht nur klimafreundlicher, sondern verringert auch Übergewicht. Ein hoher Body Mass Index und damit verbundene Folgekrankheiten machten Betroffene zu Risikopatienten bei einer Infektion mit SARS-CoV2, erklärt die Ernährungsmedizinerin Prof. Dr. Anja Bosy-Westphal von der Universität Kiel.
Und nicht nur der hohen Fleischverzehr sei problematisch, so Bosy-Westphal. Auch der hohe Anteil an stark verarbeiteten Nahrungsmitteln in unserer Ernährung trage zum CO2-Ausstoß bei. „Convenience-Food ist sehr attraktiv und profitabel; es verdrängt weltweit traditionelle Ernährungsweisen“, beanstandet die Kieler Wissenschaftlerin. Solche Produkte seien nur deshalb vergleichsweise günstig, weil die Kosten für Umwelt und Gesundheit nicht eingepreist würden.
Denn stark verarbeitete Lebensmittel stehen unter dem Verdacht, Übergewicht zu fördern. Eine kontrollierte Studie deutet etwa darauf hin, dass sie einen höheren Kalorienverzehr zur Folge haben könnten ( Medscape hat berichtet ). Häufig enthalten sie Zucker oder leicht verdauliche Kohlenhydrate und gesättigte Fette, während Ballaststoffe oder sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe eher selten zu finden sind.
Bessere Ernährungsbildung könnte helfen, um solche und andere Ernährungsfallen zu erkennen. Den Einzelnen mit der Verantwortung für seine Ernährung allein zu lassen, sei allerdings keine Lösung, warnt Bosy-Westphal. „Dabei werden die eigentlichen Ursachen für Übergewicht übersehen.“ Deshalb fordert die Expertin auch in Kantinen, Mensen und Krankenhausküchen eine bessere Umsetzung von Ernährungsempfehlungen.
Ernährungstipps sollten Gesundheit und Nachhaltigkeit berücksichtigen
Und diese Empfehlungen müssten nicht nur die Gesundheit, sondern viel mehr auch die Nachhaltigkeit mit in den Blick nehmen [2]. Das ist Tenor eines Policy-Briefs, einer Zusammenfassung, wie sich die Ergebnisse des Lancet Countdown in Deutschland konkret umsetzen lassen. Gerade Kinder sollten auch besser geschützt werden vor einer gezielten Vermarktung von ungesunden Lebensmitteln.
Um die Pariser Klimaziele noch zu erreichen, muss in den nächsten Jahren deutlich mehr passieren als bisher. Einerseits bedroht unsere Ernährungsweise das Klima. Andererseits sind Folgen des Klimawandels auch eine Gefahr für die Sicherheit unserer Ernährung: Die Ernteausbeute wichtiger Nahrungspflanzen wie Soja, Weizen, Mais und Reis sei in den letzten Jahren durch ansteigende Temperaturen oder Dürren gesunken, so die Autoren.
Die große Abhängigkeit der menschlichen Ernährung von einigen wenigen Pflanzenarten sei allerdings auch etwas, was sich im Interesse der Umwelt und der Biodiversität ändern müsse, fordert Bosy-Westphal: „Es gibt rund 33.000 essbare Pflanzenarten, und davon dienen nur 3 Arten als Basis für 50% der Lebensmittel, die wir verzehren.“
Effekte der SARS-CoV-2-Pandemie auf die Ernährung
Die Corona-Krise habe in mancherlei Hinsicht Veränderungen angestoßen, sagt die Ernährungsmedizinerin. Darin sieht sie auch Chancen auf Veränderung. Mehr Menschen in Deutschland würden wieder selbst kochen. Und regionale Produkte hätten eine verstärkte Nachfrage erlebt. Gehäufte SARS-CoV-2-Infektionen in Fleischverarbeitungsbetrieben warfen wiederum Schlaglichter auf die Schattenseiten der Ernährungsindustrie. Jetzt gelte es, die Ressourcen, die zur Bewältigung der Pandemiefolgen zur Verfügung stehen, so einzusetzen, dass sie gleichzeitig auch nachhaltigere Strukturen fördern, erklärte Bosy-Westphal.
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Diesen Artikel so zitieren: Lancet Countdown sammelt weltweit Daten: Warum gesunde Ernährung auch für das globale Klima gut ist - Medscape - 4. Dez 2020.
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