Die Folgen der COVID 19-Krise betreffen überwiegend Frauen – das zeigen zahlreiche Studien. Eine repräsentative Umfrage der Bertelsmann-Stiftung fördert Details zu Tage: Fast jede 2. Frau sieht sich durch die Situation an ihre körperliche, psychische und emotionale Grenze gebracht. Von den Männern sagt dies nur jeder 3. Umfrageteilnehmer [1].
Prof. Dr. Christiane Eichenberg, Leiterin des Instituts für Psychosomatik an der Sigmund Freud Privat Universität Wien, warnt gegenüber Medscape: „Wir brauchen psychotherapeutische Hilfsangebote, die sich auf die Besonderheiten der Situationen von Frauen in dieser Krise einstellen.“
Vor allem Frauen putzen, betreuen und kochen
Befragt wurden 1.060 Personen. Schon vor COVID-19, das zeigen die Ergebnisse, wurde Care-Arbeit nicht gleichmäßig aufgeteilt. Jede 2. Frau sagt, dass sie mehr gemacht hat. Auch 39% der Männer sehen das so. Der Wegfall von Unterstützungsangeboten hat die Situation weiter verschärft. 69% der Frauen, aber nur 11% der Männer geben an, dass überwiegend sie die Hausarbeit erledigen.
Beim Homeschooling (51% versus 15%) oder beim Zubereiten von Mahlzeiten (61% versus 14%) sieht es ähnlich aus. Erstaunlich: 2 von 3 Männern sind dennoch der Ansicht, die Aufgaben seien „gerecht“ verteilt. Von den Frauen findet das nicht einmal die Hälfte.
„Vor diesem Hintergrund sollten sich sowohl Frauen als auch Männer mit ihren privaten und beruflichen Rollen auseinandersetzen, die Aufgabenverteilung in der Familie zur Sprache bringen und mit Rücksicht auf die Belastungen und Bedürfnisse des Partners oder der Partnerin aushandeln“, fordert Barbara von Würzen, Autorin der Umfrage. Sie ist Expertin für Führung und Unternehmenskultur bei der Bertelsmann Stiftung.
Viele Frauen leiden unter der Situation: 49% sagen, sie seien körperlich und psychisch bis an ihre Grenzen belastet. Von den Männern empfinden dies nur 30%. Etwa dieselben Gruppen befürchten, dass die Krise dazu führt, Care- und Erwerbsarbeit wieder stärker zu Lasten der Frauen aufzuteilen.
Krisen verschärfen Ungleichheiten eher
Eichenberg sieht hier auch die Gesellschaft in der Pflicht: „Wichtig ist, diese Befunde in eine gendersensible Entwicklung von entsprechenden Unterstützungsmaßnahmen mit einfließen zu lassen.“ Zentral sei, insbesondere Frauen öffentlich so anzusprechen, dass eine Entstigmatisierung von psychischen Reaktionen wie Wut, Überforderung, Stress, Angst und Ohnmachtsgefühlen unterstützt werde. Eichenberg hat dazu auch gerade ein Fachbuch veröffentlicht.
Die deutlich stärkere Belastung von Frauen ergibt sich Eichenberg zufolge auch daraus, dass Frauen öfter als Männer in Berufen arbeiten, die in Krisenzeiten ein besonderes Belastungspotenzial haben, etwa in der Pflege. „Auch wissen wir, dass Frauen häufiger Opfer von häuslicher Gewalt sind“, sagt die Expertin. Anfragen bei Hilfseinrichtungen hätten sich verdoppelt bis verdreifacht.
In der Wissenschaft beobachtet Eichenberg, dass Frauen weniger publizieren, es bei Männern aber keine Änderungen gibt. „In Krisenzeiten ist auch aus psychologischer Sicht nicht zu erwarten, dass sich bestehende Rollenmodelle verändern“, konstatiert Eichenberg: „Existierende Ungleichheiten verschärfen sich eher.“
Medscape Nachrichten © 2020 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Rollenmodelle bleiben in der Pandemie bestehen, werden sogar verstärkt – jede 2. Frau physisch und psychisch an der Grenze - Medscape - 3. Dez 2020.
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