Eine mit speziellen Nährstoffen angereicherte Trinknahrung konnte bei Alzheimer-Patienten im Frühstadium den Verfall offenbar etwas verlangsamen: Manche kognitiven Fähigkeiten ließen weniger stark nach, und ihre Gehirnmasse in kritischen Bereichen blieb besser erhalten. Das berichten Wissenschaftler um Prof. Dr. Hilkka Soininen von der University of Eastern Finland nach 3-jähriger Laufzeit ihrer randomisiert-kontrollierten LipiDidiet-Studie [1].

Prof. Dr. Johannes Pantel
„Die Studie ist methodisch gut gemacht und von der Grundidee sehr interessant, weil die Frage, welchen Einfluss Ernährungsinterventionen auf die Hirngesundheit im Alter haben, eine sehr wichtige und aktuelle Frage ist“, betont der Altersmediziner Prof. Dr. Johannes Pantel im Gespräch mit Medscape. Allerdings hatte die Trinknahrung offenbar keinen Einfluss auf den Ausbruch der Erkrankung. In der Kontrollgruppe und der behandelten Gruppe wurden jeweils etwa gleich viele Patienten im Laufe der 3 Jahre mit Alzheimer neu diagnostiziert.
Nährstoffe fürs Gehirn – eine sinnvolle Strategie
„Man darf keine Wunder erwarten – aber der Ansatz, mit Nährstoffen das Gehirn zu unterstützen, ist sicher kein Fehler”, kommentiert das der Gießener Ernährungsmediziner Prof. Dr. Gunter Eckert. Auch Pantel sieht die Studie als einen Beweis dafür, dass Ernährungsansätze grundsätzlich wirkungsvoll sein können.
„Ob man jetzt speziell diese Nährlösung empfehlen muss, ich glaube da wären die Ergebnisse überinterpretiert. Aber dass man mit diesem Ernährungsansatz etwas bewirkt, das wurde eindrucksvoll bestätigt“, sagt der Frankfurter Mediziner.
Die verwendete Trinknahrung, die speziell für Alzheimer-Erkrankte im Frühstadium gedacht ist, enthält unter anderem Omega-3-Fettsäuren und verschiedene Vitamine. „Der Hersteller hat alles hineingepackt, von dem man annimmt, dass es möglicherweise einen Benefit bringt”, beurteilt Eckert den Nährstoffcocktail Fortasyn Connect (Souvenaid®). „B-Vitamine, die für das Gehirn eine wichtige Rolle spielen, Omega-3-Fettsäuren als Membranbaustein auch in neuronalen Membranen, aber z.B. auch Cholin und Folat.”

Prof. Dr. Gunter Eckert
Ob einzelne Bestandteile mehr oder weniger zur Wirkung beigetragen hätten, könne man nicht sagen. „Man kann daraus ableiten, dass eine Ernährungsintervention, die diese Komponenten hat, eine Wirkung erzielt, wobei dies aber womöglich auch durch eine vollwertige mediterrane Ernährung erreicht werden könnte”, meint Pantel – die standardisierte Form der Trinknahrung sei aber natürlich für Studien praktischer, weil besser vergleichbar.
Trinknahrung zeigt nur langfristig einen Nutzen
Die Wissenschaftler hatten insgesamt 311 Patienten im Prodromalstadium von Alzheimer in ihre Studie einbezogen: ein frühes Stadium, in dem neuropsychologische Tests in Verbindung mit Biomarkern oder Nachweise aus bildgebenden Methoden bereits mit einer hohen Wahrscheinlichkeit für diese Demenz anzeigen können, die Symptome aber noch nicht stark ausgeprägt sind.
Die Hälfte der Teilnehmer erhielt in der Doppelblindstudie Trinknahrung mit der Nährstoffmischung Fortasyn Connect (Souvenaid®), die andere Hälfte einen ähnlichen Trinkjoghurt ohne Nährstoffanreicherung.
Mit einer neuropsychologischen Testbatterie und mithilfe von bildgebenden Verfahren wurde regelmäßig die kognitive Verschlechterung gemessen und Veränderungen im Gehirn selbst wurden beurteilt.
Dabei konnten die Wissenschaftler nach 3 Jahren signifikante Unterschiede zwischen beiden Gruppen feststellen. Die kognitive Verschlechterung verlief in der Verum-Gruppe langsamer, und zwar um Werte zwischen 40% und 70%. Probanden dieser Gruppe konnten alltägliche Herausforderungen besser bewältigen, etwa sich einen Weg merken oder eine Rechnung bezahlen. Auch das Hirnvolumen z.B. im Hippocampus nahm nicht so schnell ab wie in der Kontrollgruppe.
Dabei handelt es sich nicht um ein schnell wirkendes Konzept. Bei der Auswertung derselben Studie nach zwei Jahren seien die Unterschiede bei der kognitiven Verschlechterung, dem primären Endpunkt der Studie, noch nicht signifikant gewesen, erklärt Pantel: „Es war da noch nicht so eindeutig, und jetzt ein Jahr später sieht man dass die Schere weiter auseinandergeht, die Effekte haben sich stabilisiert.”
Viele Teilnehmer scheiden aus
Nach 3 Jahren standen für die Auswertung nur noch insgesamt 81 von anfangs über 300 Patienten zur Verfügung. Die anderen nahmen nicht mehr teil oder fielen aus der Auswertung heraus, weil bei ihnen mittlerweile eine Alzheimer-Demenz diagnostiziert worden war und sie deshalb Medikamente bekamen. Bei der Anzahl der Alzheimer-Diagnosen gab es zwischen den Gruppen zudem keine signifikanten Unterschiede.
Eine Verzögerung des Krankheitsausbruches konnte die Studie also nicht nachweisen. „Das hätte man sich erhofft, wenn sich die Verschlechterung der Kognition verlangsamt, aber auch das ist möglicherweise eine Frage der Anwendungsdauer“, so Pantel. „Da haben wir es ja mit langfristigen Effekten zu tun.”
Bei der Alzheimer-Demenz handele es sich um eine Erkrankung, die lange vor der Diagnose einsetze, erklärt Eckert: „Wir gehen davon aus, dass die Krankheit mindestens zwei Dekaden vor dem Auftreten der Symptome schon beginnt, und dass das nur mit unseren heutigen Methoden nicht messbar ist.”
Je früher in diesen Prozess eingegriffen werden könne, desto besser. Das beobachteten auch die Studienautoren: „Die positiven Effekte der Behandlung zeigten sich besonders deutlich bei den Teilnehmern, die in einem sehr frühen Alzheimer-Stadium damit beginnen konnten“, betont Prof. Dr. Tobias Hartmann, der an der Universität Saarbrücken die Studie koordiniert, in einer Pressemeldung. Auch weitere deutsche Kliniken waren an der an insgesamt 11 europäischen Zentren durchgeführten Studie beteiligt.
Medscape Nachrichten © 2020 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Nährstoffe fürs Gehirn: Eine Trinknahrung hat in einer randomisierten Studie die Alzheimer-Progression verlangsamt - Medscape - 30. Nov 2020.
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