Aufregung um „Gott“: TV-Spielfilm thematisiert ärztlich assistierte Sterbehilfe – auch bei gesunden Menschen. Stimmen Sie ab!

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

25. November 2020

Wie sollten Ärzte ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts umsetzen?

Wie Medscape berichtet hat, erklärten Richter Anfang des Jahres die „geschäftsmäßige“ Suizid-Beihilfe – also durch Ärzte oder Vereine – für legitim und kippten damit Paragraf 217 des Strafgesetzbuchs (StGB). Der besagte Paragraf war erst Ende 2015 ins StGB aufgenommen worden. „Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen“, lautete ihr Urteil.

Doch viel entscheidender waren einige Klarstellungen der Richter. „Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben ist […] nicht auf schwere oder unheilbare Krankheitszustände oder bestimmte Lebens- und Krankheitsphasen beschränkt“, hieß es im Schriftsatz. Und weiter: „Die Entscheidung des Einzelnen […] ist […] von Staat und Gesellschaft zu respektieren.“

Zwar dürfe der Gesetzgeber die Suizidbeihilfe regulieren. Aber er müsse das Recht des Einzelnen zu einem selbstbestimmten Tod „hinreichend Raum zur Entfaltung und Umsetzung“ geben.

Doch welche Rolle spielen Ärzte? Bereits Mitte 2019 stellte der BGH klar, sie dürften suizidwillige Patienten begleiten – falls sie sich von deren freier, wohlüberlegter Entscheidung überzeugt hätten.

Kontroverse Diskussion bei „Hart aber fair“

Wie schwer sich Experten damit tut, zeigte sich im Anschluss an den Spielfilm bei Frank Plasbergs Talkshow „Hart aber fair“.

„Wir wehren uns nicht [gegen den ärztlich unterstützen Suizid], sondern wir diskutieren in der Ärzteschaft seit vielen Jahren über das Thema“, so Dr. Susanne Johna, Mitglied im Vorstand der Bundesärztekammer. „Für uns ist natürlich die Frage: Habe ich einen Patienten […] oder einen ganz gesunden Menschen vor mir.“ Johna verweist auf mehrere Beratungen bei Ärztetagen – und auf die Einschätzung, der ärztlich assistierte Suizid gehöre nicht zu den Aufgaben des Berufsstands.

Ärzte sollten Gespräche führen, um herauszufinden, wie ein Leben noch lebenswert wäre, ergänzt Johna. „Wir sind heute mit der Schmerzmedizin […] soviel besser als vor 10 oder 15 Jahren, dass die meisten Menschen wirklich eine gute Symptomlinderung erfahren.“ Sie zeigte sich überrascht, dass das BVG das Recht auf Selbstbestimmung beim Suizid nicht eingeschränkt habe.

Es gibt durchaus andere Meinungen: „Ich finde nachvollziehbar und richtig, dass hier Selbstbestimmung das letzte Wort hat, auch Selbstbestimmung über die eigene Würdevorstellungen“, sagte Prof. Dr. Bettina Schöne-Seifert, Expertin für Medizinethik an der Universität Münster und relativiert: „Die große Mehrheit der Fälle […] sind Patienten, die an Krankheiten leiden, deren absehbares Ende sie nicht erleiden wollen.“ Ethisch gebe es keinen Unterschied, ob jemand Medikamente einnehme, um zu sterben, oder ob lebenserhaltende Maßnahmen beendet würden.

Im Fall des Architekten im Film „Gott" hält sie die Alternativen zum assistierten Suizid für nicht zumutbar. Würde Herr Gärtner die Medikamente nicht bekommen, könnte er sich etwa vor einen Zug werfen (Brutal-Suizid) oder nichts machen (und kein lebenswertes Leben mehr haben). „Die richtige Alternative ist, seine Freiheit zu respektieren“, so Schöne-Seifert. 

Kritik an dieser Sichtweise kam von der katholischen Kirche. „Humanes Sterben geschieht derzeit […] in Hospizen“, erklärte Bischof Dr. Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Für ihn zähle, an der Hand – aber nicht durch die Hand – von Menschen zu sterben. Im Film selbst sieht er eine „karikierte Situation“, gibt aber auch zu bedenken: „Es muss einen Menschen geben, der dem Sterbewilligen das Medikament gibt.“ Nicht jeder könne und wolle diese Verantwortung übernehmen. „Haben Personen, die helfen, auch Anspruch auf Hilfe?“, lautet seine Frage.

Das Podium diskutierte sehr kontrovers darüber, ob es in Deutschland jetzt zu einem „Dammbruch“ bei assistierten Suiziden kommt. Dazu ein paar Zahlen, die in der Sendung „Hart aber fair“ gezeigt wurden:

  • In der Schweiz starben 2017 genau 1.009 Menschen durch einen assistierten Suizid. Seit 2003 hat sich die Zahl verfünffacht.

  • Belgien berichtet von 2.656 Fällen (2019), die Zahl hat sich seit 2003 verelffacht.

  •  In den Niederlanden starben zuletzt 6.391 Menschen durch einen assistierten Suizid (2019). Seit 2003 hat sich die Zahl mehr als verdreifacht.

Ein Manko der Darstellung bleibt, dass solche Statistiken ohne Vergleich zu anderen, nicht assistierten Suiziden wenig Aussagekraft haben.

Am BVG-Urteil ist ohnehin nicht zu rütteln. Nur die Umsetzung bietet Stoff für kontroverse Diskussionen. Schöne-Seifert: „Einzelne Ärzte sind ganz unterschiedlicher Ansicht. Und wir wissen aus Umfragen, dass jedenfalls 30%, 40% aller Ärzte, wenn nicht noch mehr, bereit wären, Patienten in bestimmten Situationen Hilfe zu leisten, während die organisierte Ärzteschaft ein anderes Urteil hat.“ Aber so lange man Ärzten suggeriere, sie verstießen gegen ihr berufliches Ethos, werden sich nicht viele finden, die dazu bereit seien. „Und genau das muss sich ändern“, fordert die Diskutantin.

Auch beim Medscape-Ethik-Report 2020 wollte wir von Ärzten wissen, ob ärztliche Sterbehilfe legalisiert werden soll – allerdings bei unheilbar kranken Patienten.

Die Mehrheit war dafür oder zeigte sich zumindest offen dafür. Für einen assistierten Suizid sprachen sich 45% aller Ärzte, die an der Umfrage teilnahmen aus. 31% waren dagegen.

Überraschend war die Nuance, dass niedergelassene Ärzte (51%) sogar noch häufiger eine Gesetzesänderung begrüßten als Klinikärzte (40%), die ja womöglich häufiger mit unheilbar Kranken zu tun haben.

In unserer Medscape-Ethik-Umfrage vor 3 Jahren waren die Befürworter von Sterbehilfe noch in der Minderzahl. Nur 33% der Ärzte wünschten sich, dass ärztlich unterstützter Suizid erlaubt ist.

Anders sieht es aus, wenn die Patienten zwar ein unheilbares Leiden haben und sterben wollen, die Krankheit aber nur sehr langsam voranschreitet. Da würden Ärzte laut unserer Medscape-Umfrage in der Mehrzahl nicht mitmachen: Nur 15% (Daten nicht graphisch dargestellt) befürworteten in solchen langwierigen Verläufen, dass ein Arzt beim Sterben assistiert. 

Die Diskussion zu diesem Thema wird weitergehen – nicht nur im Fernsehen, auch unter Ärzten.
 

Kommentar

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