Der neue Herzbericht: Enorme Fortschritte, vor allem bei der Herzinsuffizienz, und ambulante Kardiologie im Aufwind

Michael van den Heuvel 

Interessenkonflikte

23. November 2020

Herzerkrankungen bleiben in Deutschland die wichtigste Todesursache. Doch: In manchen Bereichen sind enorme Fortschritte gelungen. So ist vor allem bei der Herzinsuffizienz die Mortalität weiter gesunken. Und: Unabhängig von der Art ihrer Erkrankung werden kardiologische Patienten immer häufiger ambulant versorgt.

Das sind einige Aspekte, die der neue Herzbericht 2019 der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK), für Kinderkardiologie (DGPK) und für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) zusammen mit der Deutschen Herzstiftung darstellt [1]. Weitere interessante ausgewählte Aspekte im Überblick:

Kurzfristiger Einbruch der Patientenzahlen durch SARS-CoV-2

Die Corona-Pandemie ist auch an kardiologischen Kliniken oder kardiologischen Abteilungen von Krankenhäusern nicht spurlos vorübergegangen. Das zeigt eine Auswertung von Daten aller 27 Millionen AOK-Mitglieder.

 
Alarmierend ist, dass aufgrund des ersten Lockdowns 31% weniger akute Herzinfarkte als im Vorjahreszeitraum in stationäre Behandlung kamen. Prof. Dr. Thomas Voigtländer
 

„Alarmierend ist, dass aufgrund des ersten Lockdowns 31% weniger akute Herzinfarkte als im Vorjahreszeitraum in stationäre Behandlung kamen“, erklärt Prof. Dr. Thomas Voigtländer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung. Betrachtet man Ischämien höherer Dringlichkeit wie Hauptstammstenosen, instabile Angina pectoris, dekompensierte Herzschwäche, kardiogene Schocks und Herzinfarkte, liegt der Rückgang stationärer Behandlungen sogar bei 42%.

Voigtländer: „Die aktuelle Corona-Welle darf nicht erneut dazu führen, dass Menschen bei Verdacht auf Herzinfarkt oder bei anderen notfallartigen Symptomen aus Angst vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus oder wegen befürchteter Kapazitätsengpässe in den Kliniken den lebenswichtigen Notruf 112 oder den Weg in die Notfallambulanz scheuen.“

Langfristig weniger stationäre Behandlungen in der Kardiologie

Drüber hinaus erwähnt der Herzbericht auch langfristige Trends. Zwischen 2016 und 2018 ist die Zahl an stationären Behandlungen aufgrund von Herzerkrankungen leicht zurückgegangen, nämlich von 1.706.661 auf 1.683.948 Patienten. Das entspricht minus 1,9%.

Unter ihnen befanden sich 58% Männer und 42% Frauen. Dieser Gender-Unterschied im Risiko betrifft fast alle kardiovaskulären Leiden. Beispielsweise sind Männer von der koronaren Herzerkrankung (KHK) mehr als doppelt so häufig betroffen wie Frauen (Erkrankungsraten 1.042,1 versus 472,9 pro 100.000 Personen). Ein ähnliches Bild zeigt sich beim akuten Herzinfarkt (347,8 versus 165,9).

 
Durch eine bessere Vernetzung in der Versorgung und bei den ambulanten Diagnosemöglichkeiten müssen weniger Patienten stationär in die Kliniken aufgenommen werden. Prof. Dr. Andreas Zeiher
 

„Dass wir 2018 weniger Herzpatientinnen und -patienten in den Kliniken behandelt haben, bedeutet nicht, dass es in Deutschland damit weniger am Herzen erkrankte Personen gibt“, erklärt DGK-Präsident Prof. Dr. Andreas Zeiher in einer Pressemeldung. „Durch eine bessere Vernetzung in der Versorgung und bei den ambulanten Diagnosemöglichkeiten müssen weniger Patientinnen und Patienten stationär in die Kliniken aufgenommen werden.“

Als Beispiel nennt Zeiher die KHK. Wurden 2016 noch 799,7 Patienten pro 100.000 Einwohner in Deutschland wegen dieser Erkrankung stationär behandelt, waren es im Jahr 2018 noch 753,8 Patienten pro 100.000 Einwohner. Das entspricht einem Rückgang um 5,7%. „Gerade in diesem Bereich sehen wir die Effekte der verbesserten ambulanten Behandlung“, so der DGK-Präsident.

Mehr Herzklappenerkrankungen und Herzrhythmusstörungen

Gleichzeitig warnen die kardiologischen Verbände und Gesellschaften vor einem Anstieg bei Herzklappenerkrankungen (+ 0,9%) und Herzrhythmusstörungen (+ 0,7%) im Berichtszeitraum. Davon sind unterschiedliche Patentengruppen betroffen.

Klappenerkrankungen treten meist im höheren Alter auf, während Herzrhythmusstörungen auch deutlich jüngere Menschen ab dem 45. Lebensjahr betreffen. Auch bei Herzrhythmusstörungen profitieren Patienten von minimalinvasiven Therapien. Diese Verfahren werden nur in Klinken ausgeführt, was einen Anstieg der stationären Aufenthalte speziell bei dieser Gruppe erklären könnte.

Herzinsuffizienz: Die Sterberate sinkt

Positive Trends gibt es bei Patienten mit Herzinsuffizienz. Die Sterberate hat sich im Berichtszeitraum um 7,1% verringert; sie lag in 2018 bei 45,4 Fällen pro 100.000 Einwohnern. In 2016 waren es noch 48,9 pro 100.000 Menschen. Zeihers Erklärung: „Zum einen haben neue Medikamente die Behandlung deutlich verbessert, und zum anderen stehen uns auch zunehmend mehr interventionelle Therapiemöglichkeiten zur Verfügung.“ Der DGK-Präsident sieht hier auch einen Effekt durch spezialisierte Versorgungseinheiten, den „Heart Failure Units“.

 
Die Behandlung der Herzinsuffizienz bleibt also eine der größten Herausforderungen, vor der wir in der Kardiologie in den nächsten Jahren stehen. Prof. Dr. Andreas Zeiher
 

Die absolut hohen Zahlen bei Herzinsuffizienzen erklären Experten im Herzbericht damit, dass viele Patienten einen akuten Herzinfarkt überleben, später aber an der besagten Herzschwäche erkranken. „Die Behandlung der Herzinsuffizienz bleibt also eine der größten Herausforderungen, vor der wir in der Kardiologie in den nächsten Jahren stehen“, erklärt Zeiher.

Kinderkardiologie: Gute Chancen für kleine Herzpatienten

Doch nicht nur Erwachsene leiden an Herzerkrankungen, wie die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler (DGPK) betont. Im Jahr 2018 hatten von bundesweit 787.532 Lebendgeborenen 1,1%, also 8.600 Kinder, einen angeborenen Herzfehler. Durch Fortschritte bei der Diagnostik und der Therapie erreichen von ihnen mehr als 94% das Erwachsenenalter.

Seit 2012 werden Daten von Kindern und Erwachsenen im Rahmen der ‚Nationalen Qualitätssicherung Angeborener Herzfehler‘ erfasst. Daran beteiligen sich 26 Kliniken; eine flächendeckende Qualitätssicherung gibt es aber nicht. Auswertungen zeigen, dass die Sterblichkeit bei dieser speziellen Gruppe zuletzt 2,3% betrug (2018), das sind 11,2 Prozentpunkte weniger als in 2017.

Probleme gebe es laut Prof. Dr. Nikolaus Haas, Präsident der DGPK, etwa beim Übergang zwischen der Kinder- und der Erwachsenenkardiologie. Aktuell gibt es 325 zertifizierte Ärzte für die Behandlung von Patienten mit angeborenem Herzfehler, nämlich 234 Kinderkardiologen und 91 internistische Kardiologen. Seit 2019 greift eine Musterweiterbildungsordnung der Bundesärztekammer. Doch laut der DGPK gebe es Probleme auf der Ebene von Landesärztekammern und Kassenärztlichen Vereinigungen. Kinderkardiologen fordern, die Zahl an spezialisierten Ärzten in adäquatem Maße zu erhöhen.
 

Kommentar

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