Feuer im Körper: Lebensmittel mit proinflammatorischem Potenzial könnten das Herz-Kreislauf-Risiko erhöhen

Antje Sieb

Interessenkonflikte

23. November 2020

Wer sich besonders entzündungsfördernd ernährt, könnte ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben. Das schließen Ärzte und Ernährungsforscher der US-Universität Harvard um Dr. Jun Li aus den Daten mehrerer prospektiver Kohortenstudien [1].

„Das hat damit zu tun, dass sich im Fettgewebe Immunzellen anlagern, die Entzündungsmediatoren ausschütten, und diese Entzündungsmediatoren können zu ungünstigen Veränderungen des Gefäßsystems und zu Veränderungen des Herzens beitragen“, erläutert Prof. Dr. TIlman Grune vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam Rehbrücke, gegenüber Medscape.

Daten von mehr als 210.000 Probanden mit neuem Score ausgewertet

Zu den Details: Für ihre Studie haben Li und Kollegen Ernährungsfragebögen von mehr als 210.000 Frauen und Männern anhand eines neuentwickelten Scores, dem sogenannten EDIP (Empirical Dietary Inflammatory Pattern)-Score, analysiert. Er wird anhand des Gesamtverzehrs bestimmter Lebensmittelgruppen berechnet.

 
Man weiß, dass Stoffwechselerkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes eine sehr starke entzündliche Komponente haben. Prof. Dr. Alexander Bartelt
 

Die meisten dieser Lebensmittelgruppen kenne man bereits aus Empfehlungen zur gesunden Ernährung, erklärt Prof. Dr. Alexander Bartelt vom Institut für Prophylaxe und Epidemiologie der Kreislaufkrankheiten an der LMU München gegenüber Medscape. „Es geht stark in die Richtung dessen, was man ohnehin unter gesunder Ernährung versteht.”

Für ihren Score griffen die Wissenschaftler auf Lebensmittelgruppen zurück, die mit einer Erhöhung oder Senkung sogenannter Entzündungsmarker im Blut in Verbindung gebracht werden. Zu entzündungsfördernden Lebensmitteln zählen danach z.B. rotes Fleisch, Wurstwaren, Auszugsmehl oder stark zuckerhaltige Getränke. Anti-inflammatorisch könnten sich hingegen besonders grüne Blattgemüse, dunkelgelbe Gemüsearten, Obst, Ballaststoffe oder auch Kaffee oder Tee und Wein auswirken.

Bei über 33.000 Teilnehmern konnten die Wissenschaftler auch auf Blutproben zurückgreifen. Je höher der berechnete EDIP-Score war, desto eher fand man höhere Spiegel an Markern wie Interleukin 6, C-reaktivem Protein oder dem Tumor-Nekrose-Faktor α. Auch einige Blutfettwerte wie Triglyzeride oder Cholesterinwerte waren mit entzündungsfördernden Ernährungsgewohnheiten assoziiert.

Aus solchen Biomarkern schließen Wissenschaftler auf eine chronische Entzündung, die für zahlreiche Zivilisationskrankheiten mit verantwortlich gemacht wird. Dazu sagt Bartelt: „Man weiß, dass Stoffwechselerkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes eine sehr starke entzündliche Komponente haben. Das heißt, dass diese Krankheiten auf molekularer Ebene fast so aussehen, als ob wir eine Infektion hätten.”

Schlechtere Ernährung, höheres Risiko

Im nächsten Schritt teilten die Studienautoren ihre Probanden je nach Höhe des EDIP-Scores in 5 Gruppen ein. Die Beobachtungszeit in den 3 Kohortenstudien summierte sich auf mehr als 5 Millionen Personenjahre, während derer es zu mehr als 15.800 kardiovaskulären Erkrankungen kam.

Diese Krankheiten konnten mit dem inflammatorischen Potenzial der Ernährung in Beziehung gesetzt werden. Bei der vorliegenden Studie hatten Teilnehmer aus der Gruppe mit den höchsten EDIP-Scores im Vergleich zu denen mit den niedrigsten Scores ein um 38% erhöhtes Risiko, etwa eine koronare Herzerkrankung oder einen Schlaganfall zu bekommen.

Das sei kein vernachlässigbarer Wert, erklärt Grune. „Für eine Intervention im Bereich der Pharmakologie würde eine Risikoabsenkung in dieser Größenordnung ausreichen, um sie als wirksam zu betrachten. Ob das für eine individuelle Person reicht, um eine Verhaltensänderung zu bewirken, ist eine andere Frage.”

 
Für eine Intervention im Bereich der Pharmakologie würde eine Risikoabsenkung in dieser Größenordnung ausreichen, um sie als wirksam zu betrachten. Prof. Dr. TIlman Grune
 

Für ihre Berechnung haben Li und Kollegen versucht, alle anderen Einflussfaktoren auf chronische Entzündungsvorgänge herauszurechnen. Dazu zählen etwa Übergewicht oder Rauchen als potenziell negative oder Bewegung als positive Einflussfaktoren.

Ernährung nicht der einzige Faktor

Sie schließen aus ihren Ergebnissen ebenfalls, dass es bei unterschiedlichen proinflammatorischen Lebensmitteln zu Synergieeffekten kommen könnte. Denn wenn besonders viele davon verzehrt wurden, stieg das Risiko deutlich stärker an.

Bartelt vermutet sogar, dass das auch bei anderen Lebensstilfaktoren wie Rauchen oder Übergewicht der Fall sein könnte: „Es ist davon auszugehen, dass die Effekte sich gegenseitig verstärken.“ Die Studienautoren konnten keinen Einfluss des BMI auf ihre Ergebnisse feststellen. Allerdings sei die vorliegende Studie ohnehin nicht dazu geeignet, einen Kausalzusammenhang zwischen dem Inflammationspotenzial der Ernährung und Herz-Kreislauf-Erkrankungen nachzuweisen, so Bartelt weiter.

EDIP-Scores sind nicht der erste Versuch, das inflammatorische Potential von bestimmten Ernährungsgewohnheiten einzuschätzen. Zu diesem Zweck wurden bereits andere Indizes wie der DII (Dietary Inflammatory Index) entwickelt. Die Autoren der aktuellen Studie sind der Ansicht, dass ihr EDIP-Score weniger vom Verzehr von Nahrungsergänzungsmitteln beeinflusst wird und insgesamt eine bessere Vorhersagekraft haben könnte.

Grune zufolge müsse erst die Zeit zeigen, ob einer der bereits vorhandenen oder neu zu entwickelnden Scores sich in der Wissenschaft durchsetzen würden. „Ich glaube, das zukünftige Scores sich nicht nur auf Ernährung beschränken werden“, so der Experte. Zudem sei das inflammatorische Potenzial zwar eine interessante Größe, um Ernährungsempfehlungen weiter zu optimieren. Es könne aber nicht das einzige Kriterium sein.
 

Kommentar

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