Jeder 2. Patient mit Depressionen hat während des Lockdowns im Frühjahr massive Einschränkungen bei der Behandlung seiner Erkrankung erlebt. Für einen kleineren Teil der Patienten waren Telefon- und Videosprechstunden eine gute Alternative. Das geht aus dem 4. „Deutschland-Barometer Depression“ hervor [1]. Ergebnisse der repräsentativen Umfrage wurden von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe veröffentlicht. Sie hat im Juni/Juli 2020 genau 5.178 Personen zwischen 18 und 69 Jahren interviewt.
Menschen mit Depression leiden stärker an Folgen des Lockdowns
Depressiv Erkrankte seien durch Corona-Maßnahmen besonders betroffen, schreibt die Stiftung. So wurde der Lockdown im März von Patienten mit Depressionen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung als deutlich belastender erlebt (74% versus 59%). Erkrankte hätten fast doppelt so häufig unter der fehlenden Tagesstruktur wie die Allgemeinbevölkerung gelitten (75% versus 39%). Auch blieben Menschen mit Depressionen in häuslicher Isolation deutlich häufiger tagsüber im Bett als die Allgemeinbevölkerung (48% versus 21%).
„Lange Bettzeiten können die Depression jedoch weiter verstärken. Ein Teufelskreis beginnt“, erläutert Prof. Dr. Ulrich Hegerl, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Inhaber der Senckenberg-Professur an der Goethe-Universität Frankfurt/Main. Während mehr als die Hälfte der Allgemeinbevölkerung (58%) angab, dem veränderten Leben in der Corona-Krise auch Positives abzugewinnen, war dies bei nur 38% aller Patienten mit Depression der Fall.
Viele fühlten sich der Umfrage zufolge auch noch viele Wochen nach dem Lockdown belastet. So gaben Im Juli 68% der depressiv Erkrankten und nur 36 % der Allgemeinbevölkerung an, die Situation als bedrückend zu empfinden.
Versorgungslücken bei Menschen mit psychischen Erkrankungen
Die Corona-Maßnahmen führen laut Stiftung zudem zu massiven Einschnitten in der Versorgung psychisch erkrankter Menschen: Jeder 2. Betroffene (48%) berichtete von ausgefallenen Behandlungsterminen beim Facharzt oder Psychotherapeuten während des Lockdowns. Und jeder 10. befragte Patient erlebte sogar, dass ein geplanter Klinikaufenthalt nicht stattfinden konnte. 13% gaben an, von sich aus Behandlungstermine aus Angst vor Ansteckung mit SARS-CoV-2 abgesagt zu haben.
„Hochgerechnet auf die Bevölkerung in Deutschland haben mehr als 2 Millionen depressiv erkrankte Menschen eine Einschränkung ihrer medizinischen Versorgung mit entsprechenden gesundheitlichen Folgen durch die Corona-Maßnahmen erlebt“, betont Hegerl. Nur bei Beachtung dieser negativen Folgen könne „die richtige Balance gefunden werden – eine Balance zwischen Leid und Tod, die durch die Corona-Maßnahmen einerseits möglicherweise verhindert und andererseits konkret verursacht werden“.
Videosprechstunden finden große Akzeptanz
Digitale Angebote gewannen laut Stiftung während der Corona-Pandemie an Bedeutung: 14% aller Patienten, die aktuell an einer Depression leiden, hätten von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und in der Corona-Zeit zum 1. Mal Behandlungsangebote per Telefon oder Video genutzt.
Viele Patienten seien mit den Telefon-und Video-Sprechstunden beim Psychotherapeuten sehr zufrieden: 82% bzw. 85% bewerten diese positiv. Auch im Zeitverlauf zeigte sich eine größere Akzeptanz digitaler Angebote: Beim ersten Deutschland-Barometer Depression 2017 sahen 40% aller Menschen mit Depression Online-Programme als hilfreiche Unterstützungen, mittlerweile seien es 55%.
Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Univadis.de.
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Diesen Artikel so zitieren: Depression: Patienten erlebten massive Einschränkungen beim 1. Lockdown – digitale Tools könnten ihnen helfen - Medscape - 19. Nov 2020.
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