Wenn Ärzte zu Corona-Leugnern werden – Medscape hat sich bei den Ärztekammern umgehört, wie sie damit umgehen

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

17. November 2020

Ein HNO-Arzt der behauptet, das Tragen von Masken habe den Tod mehrerer Kinder verursacht; Ärzte, die irreführende Behauptungen zu Masken, PCR-Tests und Impfstoffen gegen COVID-19 verbreiten; Ärzte, die Gefälligkeitsatteste ausstellen; Flyer in Wartezimmern, auf denen steht „In meiner Praxis habe ich bisher keine ernsthafte Erkrankung oder Tod durch COVID-19 gesehen“ – bei den Ärztekammern häufen sich anscheinend Beschwerden über Ärztinnen und Ärzte, die die Gefahren der Pandemie herunterspielen, leugnen oder in Verschwörungstheorien einbetten.

Die Landesärztekammer Baden-Württemberg hat sich dazu jetzt in einer Stellungnahme geäußert, bestätigt Tobias Langenbach, Sprecher der Kammer. Darin heißt es, dass die Betreffenden COVID-19 als ungefährlich deklarieren und die aktuelle Forschung zum Virus und den Sinn von Impfungen infrage stellen. „Es handelt sich hier um persönliche Einzelmeinungen!“, schreibt die Kammer dazu.

Selbstverständlich stehe auch Ärzten nach Art. 5 des Grundgesetzes Meinungsfreiheit zu. Die ganz überwiegende Mehrzahl der über 70.000 Ärzte im Land finde es aber mehr als bedauerlich, dass Vertreter des ärztlichen Berufsstandes Gefahren durch das Coronavirus verharmlosen, den Glauben an angeblich dahintersteckende „dunkle Mächte“ verbreiten und wissenschaftlich erwiesenermaßen falsche Informationen streuen, heißt es in der Stellungnahme.

Die große Mehrheit der Ärzte arbeite oft am Rande der Belastbarkeit und empfinde „das Verdrehen der Wirklichkeit als Zumutung – insbesondere vor dem Hintergrund, dass sie selbst die Corona-Gefahr tagtäglich miterleben, mit erhöhtem Ansteckungsrisiko konfrontiert sind und nicht nur Patienten, sondern auch Mitarbeiter bestmöglich vor dem Virus schützen müssen und wollen“, so die Kammer weiter.

Ärztekammer Berlin hat die Staatsanwaltschaft eingeschaltet

„Seit Ende März sind bei der Ärztekammer Berlin 130 Beschwerden im Kontext mit der Corona-Pandemie eingegangen“, berichtet deren Sprecher Ole Eggert. Dabei handele es sich beispielsweise um Verstöße gegen Vorgaben aus der Infektionsschutzverordnung, das Ausstellen sog. Gefälligkeitsatteste, das Leugnen der Pandemie im Arzt-Patienten-Gespräch bis hin zur Aufforderung an die Patienten, in der Arztpraxis keine Mund-Nasen-Bedeckung (MNB) zu tragen.

Wie Eggert berichtet, wurde die Ärztekammer mehrfach von Ärzten angeschrieben, die zu Unterstützern der Gruppierung ‚Ärzte für Aufklärung‘ gezählt werden. „Auch wenn wir kritischen Positionen den nötigen Raum einräumen, muss die Grundlage hierfür jedoch immer eine hinreichend belastbare Darstellung, die Berücksichtigung wissenschaftlicher Evidenz und die Achtung grundlegender ethischer Prinzipien sein. Dies konnte man bei den Schreiben vorwiegend nicht erkennen“, berichtet Eggert.

Einige Corona-Leugner werden jetzt ein Fall für die Justiz: Die Berliner Ärztekammer leitet Fälle von Patientengefährdung auch an die Staatsanwaltschaft weiter. Dabei geht es beispielsweise um Mediziner, die ihre Patienten dazu aufforderten, im Wartezimmer keine Maske zu tragen. Auch ein Verdacht auf systematische Gefälligkeitsatteste, die von der Pflicht zum Maskentragen entbinden, zähle dazu.

 
Wartezimmer sind kein Ort dafür, Patienten zu indoktrinieren – mit Heilslehren oder mit Lügen. Dr. Günther Jonitz
 

Erhält die Kammer eine entsprechende Beschwerde, schreibt sie den betreffenden Arzt an und bittet um Stellungnahme. „Das ist ein ganz normales berufsrechtliches Verfahren und in Fällen, in denen der Arzt nur seine Skepsis zum Ausdruck gebracht hat, dass er mit den Maßnahmen ein Problem hat, bekommt er eine freundliche Belehrung“, berichtet Dr. Günther Jonitz, Vorsitzender der Ärztekammer Berlin im Interview mit dem rbb . „Wir haben aber auch schon mehrere Fälle an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet und 20 Arztpraxen an das Gesundheitsamt gemeldet wegen Patientengefährdung; rein berufsrechtlich drohen Geldbußen von bis zu 10.000 Euro!“

Doch wie weit reicht nun die „Meinungsfreiheit“ von Ärzten tatsächlich? „Wartezimmer sind kein Ort dafür, Patienten zu indoktrinieren – mit Heilslehren oder mit Lügen“, stellt Jonitz klar. Er bittet explizit darum, solche Fälle der Kammer zu melden, denn: „Die Arztpraxis ist kein Platz für politische Agitation, aber Meinungsfreiheit ist das eine, Lügen verbreiten das andere.“

Die Entwicklung bezeichnet er als erschreckend, furchtbar und beschämend – und fügt hinzu: „Ich würde mich freuen, wenn es eine Möglichkeit gäbe, darüber nachzudenken, auf welcher emotionalen Grundlage diese Menschen dermaßen abwehrend und falsch abwehrend reagieren. Denn dass solche Aussagen wissenschaftlich Blödsinn sind, ist mittlerweile völlig eindeutig.“

Persönliche Meinung hat im Patientenkontakt nichts verloren

Bei der Ärztekammer Westfalen-Lippe sind „bisher 4 Beschwerden im Zusammenhang mit dem Nichttragen des Mund-Nasen-Schutzes in der Arztpraxis sowie 5 Beschwerden im Zusammenhang mit der Ausstellung bzw. Nichtausstellung von Attesten zur Befreiung des Mund-Nasen-Schutzes aktenkundig; berufsrechtlich relevant wurde davon keine“, berichtet deren Sprecher Volker Heiliger.

 
Andersdenkende Ärzte sollten nicht ausgegrenzt, gefährliches ärztliches Handeln aber nicht toleriert werden. Stephan Göhrmann
 

Von „Fällen, in denen Ärztinnen oder Ärzte Atteste zur Befreiung von der Maskenpflicht ausgestellt hatten – so wurde im Internet etwa für ärztliche Bescheinigungen zur Befreiung von der Maskenpflicht geworben“, berichtet Horst Schumacher, Sprecher der Ärztekammer Nordrhein. Die Kammer habe daraufhin die betroffenen Mitglieder mit Erfolg aufgefordert, dies unverzüglich einzustellen und dazu eine Erklärung abzugeben. 

Nach Auffassung der Kammer verstößt das Vorgehen, Bescheinigungen ausschließlich auf der Basis von Videokontakten anzubieten, gegen die ärztlichen Pflichten und entspricht nicht der geschuldeten Sorgfalt.

 
Die besondere, vertrauensvolle Position des Arztes … wird durch die unhaltbaren Äußerungen eines verschwindend kleinen Teils der Ärzteschaft nachhaltig gestört. Prof. Dr. Henrik Herrmann
 

„Direkte Corona-Leugner sind uns noch nicht berichtet wurden. Dagegen gibt es wenige Ärzte, die die Maßnahmen zu streng finden. Mit diesen Ärzten diskutieren wir sachlich“, berichtet Knut Köhler, Sprecher der Sächsischen Landesärztekammer. Es habe auch vereinzelt Ärzte als Maskenverweigerer in der Arztpraxis gegeben: „Eine Handhabe dagegen hatten wir lange Zeit nicht. Da aber seit dem 24. Oktober in Sachsen auch eine Maskenpflicht in Arztpraxen gilt, können wir bzw. staatliche Behörden nun dagegen vorgehen, beispielweise mit Bußgeldern“, berichtet er.

Beschwerden über Ärzte, die Corona verharmlosen, sind auch in der Ärztekammer Schleswig-Holstein (ÄKSH) ein Thema, bestätigt deren Sprecher Stephan Göhrmann. „Im Oktober haben sich Spitzen der ärztlichen Institutionen und der Wissenschaft auf Einladung der ÄKSH getroffen, um über den Umgang mit skeptischen und leugnenden Ärztinnen und Ärzten zu sprechen. Die ÄKSH ist überzeugt: Andersdenkende Ärzte sollten nicht ausgegrenzt, gefährliches ärztliches Handeln aber nicht toleriert werden“, sagt Göhrmann.

In einer Pressemitteilung stellt Prof. Dr. Henrik Herrmann, Präsident der ÄKSH, klar, dass die persönliche Meinung „im Patientenkontakt in der Praxis wie im Krankenhaus nichts verloren“ hat. Hier müsse das ärztliche Handeln auf wissenschaftliche Erfahrung gestützt sein.

„Die besondere, vertrauensvolle Position des Arztes, die im Gespräch so wichtig ist und dem Patienten viel Kraft schenken kann, wird durch die unhaltbaren Äußerungen eines verschwindend kleinen Teils der Ärzteschaft nachhaltig gestört“, kritisiert Herrmann.

 
Wir dürfen nicht müde werden, Fehlinformationen durch Evidenz zu entkräften. Prof. Dr. Henrik Herrmann
 

Zudem trügen einzelne Ärzte nicht nur aktiv dazu bei, die Bevölkerung zu verunsichern, mit Falschaussagen werde auch die Gesundheit von Menschen aufs Spiel gesetzt. „Diese Handvoll Ärzte fällt zudem denjenigen Kolleginnen und Kollegen in den Rücken, die täglich im direkten Patientenkontakt versuchen, Überzeugungsarbeit zu leisten und das Schlimmste zu verhindern. Das treibt den allergrößten Anteil der Ärzte in Schleswig-Holstein um“, so Herrmann.

Gesprächsbereite Skeptiker ließen sich durch wissenschaftliche Argumente überzeugen. Bei Leugnern blieben öffentlicher Widerspruch und in bestimmten Fällen berufsrechtliche Prüfungen. „Wir dürfen nicht müde werden, Fehlinformationen durch Evidenz zu entkräften“, mahnt Herrmann.

Schweriner Ärzte hatten Proteste gegen Schutzmaßnahmen organisiert

„Selbstverständlich gilt auch für Ärzte die grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit. Die Kammer toleriert aber kein ärztliches Handeln, das gegen ethische Grundlagen des Berufs verstößt“, betont Wilfried Schimanke, Vizepräsident der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern, in einem Statement der Kammer. Schimanke berichtet, dass aus der Ärzteschaft immer wieder Zweifel laut werden an den zum Teil drastischen Schutzvorkehrungen, Skepsis gebe es auch gegenüber der Maskenpflicht.

Für Aufsehen hatten Ärzte aus Schwerin gesorgt, die die Gefahren der Corona-Pandemie grundsätzlich infrage stellten und während des ersten Shutdowns im Mai in der Landeshauptstadt Protestaktionen gegen die Schutzmaßnahmen organisiert hatten. Dafür waren sie von Kollegen kritisiert worden.

Die Debatte über solche Aktionen werde kammerintern geführt, so Schimanke. Fragen von Kritikern werde man weiterhin beantworten, behalte sich aber das Recht vor, bei begründeten Verdachtsfällen vorzugehen. „Persönlich halte ich die selektive Wahrnehmung der Wirklichkeit durch diese Kolleginnen und Kollegen für hochproblematisch“, betonte Schimanke. Der Anteil der aktiven Corona-Kritiker unter den Ärzten lasse sich schwer abschätzen, liege wohl aber kaum höher als 1%.

Ärztliche Berufsaufsicht in Bayern: Gefälligkeitsatteste sind ein Thema

Auch einige Ärzte in Bayern ziehen den Sinn einer Mund-Nasen-Bedeckung in Zweifel oder nehmen an Corona-kritischen Veranstaltungen teil, berichtet Dagmar Nedbal, Sprecherin der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK). Für die ärztliche Berufsaufsicht seien insbesondere Gefälligkeitsatteste ein Thema. Der 79. Bayerische Ärztetag hat sich mit einem Beschluss am 10. Oktober 2020 deutlich positioniert und schreibt:

„Bei der Ausstellung ärztlicher Gutachten und Zeugnisse hat der Arzt mit der notwendigen Sorgfalt zu verfahren und nach bestem Wissen seine ärztliche Überzeugung auszusprechen. Mit Attesten, die von Ärzten zum Download aus dem Internet angeboten werden, ohne sich mit einem zugrunde liegenden Beschwerdebild auseinandergesetzt zu haben, wird diesem Sorgfaltsgebot nicht Genüge getan.“

„Bis auf vereinzelt ausgestellte, mutmaßliche Gefälligkeitsatteste bzw. wenige Ärzte, die als ‚Corona-Leugner‘ auftreten, sind uns bis jetzt keine weiteren berufsrechtlichen Vorkommnisse bekannt“, berichtet Nedbal. Beschwerden über Corona-skeptische Ärzte kämen meist von Patienten oder anderen Ärzten. „Wir schätzen die Zahl der Fälle, die uns zur Kenntnis gebracht wurden, im einstelligen Bereich. Bedauerlich, aber zu relativieren bei 88.560 niedergelassenen sowie angestellten Ärztinnen und Ärzten, die der BLÄK angehören – davon sind 66.000 aktiv tätig.“

Nur in Einzelfällen Ausnahmen von der Maskenpflicht

Natürlich gelte auch für Ärzte das Recht auf freie Meinungsäußerung, bestätigt auch Katja Möhrle, Sprecherin der Landesärztekammer Hessen. Allerdings erfordere die gewissenhafte Ausübung des Arztberufs die Beachtung des anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse. So heißt es in § 2, Abs. 3 der Berufsordnung für die Ärztinnen und Ärzte in Hessen: „Eine gewissenhafte Ausübung des Berufs erfordert insbesondere die notwendige fachliche Qualifikation und die Beachtung des anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse.“  

Möhrle betont: „Patientinnen und Patienten dürfen aufgrund der persönlichen Weltanschauungen eines Arztes keinen Schaden erleiden, zum Beispiel, wenn dieser anerkannte Hygiene- und Schutzmaßnahmen ablehnt. Wenn die Landesärztekammer Kenntnis davon erhält, dass ein Arzt gegen die ärztliche Berufsordnung verstößt, kann dies zu berufsrechtlichen Maßnahmen führen.“

Dass die Verbreitung von SARS-CoV-2 nur durch die „konsequente Einhaltung der AHA-L-Regeln eingedämmt werden kann, zu denen auch das Masken-Tragen zählt“, betont zudem Dr. Edgar Pinkowski, Präsident der Hessischen Landesärztekammer. Nur in Einzelfällen könne es Ausnahmen von der Maskenpflicht geben, etwa für Kinder oder aber gesundheitlich eingeschränkte Personen, denen das Tragen einer Maske nicht zumutbar bzw. nicht möglich ist. Hierfür sei dann allerdings eine ärztliche Bescheinigung auf der Grundlage einer gesicherten Diagnose – z.B. einer schweren Herz- oder Lungenerkrankung – erforderlich.

 
Wenn die Landesärztekammer Kenntnis davon erhält, dass ein Arzt gegen die ärztliche Berufsordnung verstößt, kann dies zu berufsrechtlichen Maßnahmen führen. Katja Möhrle
 

Er warnt ausdrücklich vor dem Ausstellen von Gefälligkeitsattesten: Gemäß § 25 S. 1 Berufsordnung haben Ärztinnen und Ärzte bei der Ausstellung ärztlicher Zeugnisse und Gutachten mit der notwendigen Sorgfalt zu verfahren und nach bestem Wissen ihre ärztliche Überzeugung auszusprechen. Sollten dagegen Atteste wider besseres Wissen, aus Gefälligkeit und ohne individuelle Untersuchung ausgestellt werden – wie im Fall eines hessischen Arztes, der Blanko-Rezepte zur Befreiung von der Maskenpflicht ins Internet gestellt hatte – könne dies zu berufsrechtlichen Maßnahmen führen.

„In Thüringen hält sich die Zahl der offensiv auftretenden ‚Corona-Leugner‘ in Grenzen bzw. diese sind nicht so dominant (mit Ausnahme des medial breit berichteten Falles eines AfD-Bundestagsabgeordneten), dass uns vielfache Beschwerden erreichen“, sagt Dr. Ulrike Schramm-Häder, Sprecherin der Landesärztekammer Thüringen. Der Umgang der Kammer damit hänge jeweils vom konkreten Sachverhalt ab.

„Im Fall des Bundestagsabgeordneten prüfen wir einen Verstoß gegen das Berufsrecht bzw. haben ein berufsrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. Bei vereinzelten weiteren Fällen geht es z.B. um die Attestierung von Maskenbefreiungen. Hier ist klar, dass Ärztinnen und Ärzte laut Berufsordnung zur Sorgfalt verpflichtet sind und eine Pauschalausstellung der Befreiung ohne konkrete ärztliche Expertise nicht zulässig ist“, so Schramm-Häder.

 

Kommentar

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