Todbringendes Körperfett: Ein hoher BMI ist der drittwichtigste Risikofaktor für eine schwere COVID-19-Erkrankung

Marlene Busko

Interessenkonflikte

17. November 2020

In einer großen internationalen Studie an intensivpflichtigen COVID-19-Patienten erhöhte sich die Wahrscheinlichkeit für eine schwere Lungenentzündung (d.h. die Notwendigkeit einer invasiven maschinellen Beatmung) mit steigendem BMI der Patienten, und zwar unabhängig von anderen Faktoren wie Diabetes, Bluthochdruck, Dyslipidämie oder aktuellem Tabakkonsum [1].

Es zeigte sich eine lineare Korrelation zwischen dem BMI und der Notwendigkeit einer invasiven maschinellen Beatmung, die auch nach Adjustierung an klinische Faktoren, das Alter, das Geschlecht und andere vordefinierte metabolische Risikofaktoren noch Bestand hatte.

Die 2 wichtigsten Risikofaktoren für die Entwicklung einer schweren Lungenentzündung bei einer Corona-Infektion seien das Alter und das männliche Geschlecht, sagte Dr. François Pattou vom Centre Hospitalier Universitaire de Lille in Frankreich „aber der drittwichtigste Risikofaktor ist die Adipositas“. Pattou hat die Studie bei der virtuell abgehaltenen „ObesityWeek 2020“ vorgestellt. Die Ergebnisse sind kürzlich auch als Preprint im Lancet veröffentlicht worden.

Pattou und seine Kollegen haben erstmals schon im April die Adipositas als einen der größten Risikofaktoren für einen schweren COVID-19-Verlauf insbesondere bei jüngeren Patienten ausgemacht. Viele weitere Berichte bestätigten die Assoziation. Daraufhin plante das französische Forscherteam diese internationale Multicenter-Kohortenstudie.

„Nach unserem Wissen ist diese Studie die erste internationale Kooperation, die den Zusammenhang zwischen BMI und dem Outcome bei einer intensivpflichtigen COVID-19-Pneumonie untersuchte“, so die Forscher.

„Durch die hohe Zahl an Patienten in unserer Untersuchung konnten wir die Rolle verschiedener metabolischer Co-Faktoren bestimmen und zeigen, dass die Adipositas, nach dem Alter und dem Geschlecht, eine Hauptdeterminante für eine schwere Pneumonie war – und nicht Diabetes oder ein Bluthochdruck“, sagte Pattou gegenüber Medscape. Dabei war der Effekt der Adipositas am stärksten bei Frauen im Alter unter 50 Jahren.

„Adipositas-Paradoxon“ bei der Mortalität

In der Studie zeigte sich auch ein „Adipositas-Paradoxon“ in Bezug auf die Mortalität nach Aufnahme auf die Intensivstation. Insbesondere im Vergleich zu Normalgewichtigen (BMI < 25 kg/m2) hatten Personen mit schwerer Adipositas (BMI ≥ 40 kg/m2) ein erhöhtes Risiko, innerhalb von 28 Tagen nach Aufnahme auf die Intensivstation zu sterben. Patienten mit Übergewicht oder mittelschwerer Adipositas (BMI 25–39,9 kg/m2) hingegen hatten sogar ein geringeres Risiko zu sterben.

„Der zweite eigenständige Befund unserer Studie war das beobachtete nicht lineare Verhältnis zwischen dem BMI und der Gesamtmortalität bei Intensivpatienten“, so Pattou weiter.

Dr. Matteo Rottoli, Autor einer ähnlichen Studie, über die Medscape bereits im Juli berichtet hatte, sieht durch die neue Untersuchung seine damaligen Ergebnisse bestätigt, nach denen „die Adipositas ein unabhängiger Risikofaktor für die Aufnahme auf eine Intensivstation und den Tod ist“.

 
Adipositas sollte als einer der wichtigsten Parameter zur Identifizierung von COVID-19-Risikopatienten betrachtet werden. Dr. Matteo Rottoli
 

Auch Rottoli und sein Team von der italienischen Universität Bologna stellten bei ihrer Patientenpopulation fest, dass eine COVID-19-Erkrankung bei einem BMI über 35 kg/m2 mit einem höheren Sterberisiko verbunden war.

Das Fazit der Studie lautete, dass die „Adipositas als einer der wichtigsten Parameter zur Identifizierung von COVID-19-Risikopatienten betrachtet werden sollte“. Diese Personen sollten sich ganz besonders vor Ansteckung schützen – etwa durch noch mehr soziale Distanzierung, betonte Rottoli.

Pattou stimmt dem insbesondere mit Blick auf die schwere Adipositas zu. Intensivmediziner hätten in den vergangenen Monaten viel über die COVID-19-Pneumonie und ihre Therapie gelernt, erklärte er, etwa nicht zu rasch zu intubieren oder auch bezüglich der Kortikosteroid-Therapie.

„Wichtig ist, dass auch die Bevölkerung im vergangenen halben Jahr viel gelernt hat und wir können hoffen, dass insbesondere Patienten mit schwerer Adipositas zusätzliche Maßnahmen ergreifen, um sich zu schützen, was einen Rückgang der Inzidenz schwerer Pneumonien bei jungen und schwer adipösen Patienten mit sich bringen kann“, fügte er hinzu.

BMI von anderen metabolischen Risikofaktoren abgrenzen

Pattou erinnerte daran, dass zwischen dem 16. Dezember 2019 und dem 1. November 2020 weltweit über 45 Millionen Menschen positiv auf COVID-19 getestet worden sind und mehr als 1,2 Millionen Menschen daran starben.

Mehrere Studien hatten berichtet, dass unter den COVID-19-Kranken diejenigen mit Adipositas ein höheres Risiko für Klinikaufenthalte, die Einweisung auf eine Intensivstation, eine maschinelle Beatmung oder den Tod hatten. Doch war nicht klar, ob der BMI dabei ein unabhängiger Risikofaktor ist.

Pattou und seine Kollegen haben daher nun den Zusammenhang zwischen dem BMI und der Schwere einer COVID-19-Pneumonie, definiert als Notwendigkeit einer maschinellen Beatmung (primärer Endpunkt) und der 28-Tage-Gesamtmortalität (sekundärer Endpunkt) bei intensivpflichtigen Patienten untersucht.

Sie bemühten sich dabei, die Effekte eines hohen BMI von denen anderer metabolischer Risikofaktoren wie Diabetes, Bluthochdruck, Dyslipidämie und aktuellem Tabakkonsum zu trennen und den Einfluss von Alter und Geschlecht auf das Outcome zu untersuchen.

Sie analysierten dafür Daten von 1.461 Patienten mit bestätigter COVID-19-Erkrankung (positiver RT-PCR-Test im Nasen- oder Rachenabstrich) retrospektiv, die zwischen dem 19. Februar und dem 11. Mai 2020 in 21 Kliniken auf der Intensivstation aufgenommen worden waren. Die teilnehmenden Kliniken befanden sich in Frankreich (13), Italien (3), den USA (2; Bronx, New York, und Providence, Rhode Island), Israel (1), Belgien (1) und Spanien (1).

Nahezu 3 Viertel der Patienten waren Männer (73%). Die Patienten waren durchschnittlich 64 Jahre alt und hatten im Mittel einen BMI von 28,1 kg/m2. Die Hälfte hatte eine Hypertonie (52%), 29% einen Diabetes, 29% eine Hyperlipidämie und 6,5% waren aktuell Raucher.

Fast 3 Viertel (74%) mussten maschinell beatmet werden und 36% starben innerhalb von 28 Tagen nach der Aufnahme auf die Intensivstation.

Bei einem BMI über 40 steigt die Mortalität um 68 Prozent

Jede Erhöhung des BMI um 5 kg/m2 war in der Gesamtkohorte mit einem um 27% höheren Risiko für eine maschinelle Beatmung verbunden. Nach Adjustierung auf andere Risikofaktoren betrug dieser Wert für Frauen unter 50 Jahren sogar 65%.

Das männliche Geschlecht und jede Erhöhung des Alters um 10 Jahre waren mit einem 82%igen bzw. 17%igen Anstieg des Beatmungsrisikos verbunden. Hypertonie, Diabetes, Hyperlipidämie und ein aktueller Tabakkonsum waren das dagegen nicht.

Nach Adjustierung für Klinik, Alter, Geschlecht und vordefinierte metabolische Risikofaktoren war eine Adipositas Grad III (BMI ≥ 40 kg/m2) mit einen 68%igen Anstieg der Mortalität im Vergleich zu normalgewichtigen Patienten verbunden. Die Ergebnisse waren in den verschiedenen Kliniken ähnlich.

Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
 

Kommentar

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