DGKN: Magnetfelder und Strom gegen Depressionen – und als Hilfe bei Schlaganfall und Parkinson

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

13. November 2020

Depressionen gehören zu den häufigsten Erkrankungen: Laut WHO leiden allein in Deutschland 4,1 Millionen Menschen (5,2% der Bevölkerung) darunter. Antidepressiva und Psychotherapie gehören zu den Standardtherapien. Doch nicht jeder Patient spricht auf Antidepressiva an. Möglicherweise kommt mit der nicht-invasiven Hirnstimulation eine weitere wichtige Behandlungsoption hinzu, wie Experten auf der Pressekonferenz zur 64. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) berichtet haben [1].

Lässt sich prognostizieren, welche Patienten gut auf eine medikamentöse Therapie ansprechen und welche nicht? „Bisher fehlten uns klinisch nutzbare Biomarker für so eine verlässliche Prognose“, erklärte Prof. Dr. Frank Padberg, Leiter der Sektion für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Ludwigs-Maximilians-Universität (LMU) München.

Seine Arbeitsgruppe erforscht derzeit Möglichkeiten der individualisierten Behandlung bei Patienten mit Depressionen. Eine schonende nicht-invasive Hirnstimulation könnte neben Medikamenten und Psychotherapie womöglich zur „3. Säule“ in der Depressionstherapie werden, sagte Padberg.

Nicht-invasive Hirnstimulation gewinnt zunehmend an Bedeutung

In den vergangenen Jahren hat die nicht-invasive Hirnstimulation zunehmend an Bedeutung gewonnen. Bei der repetitiven transkraniellen Magnetstimulation (rTMS) werden Nervenzellen in der Hirnrinde mittels Serien von sehr kurzen, aber starken Magnetfeldimpulsen stimuliert.

Bei Depressionen zielt die rTMS auf die Stimulation frontaler Hirnareale. Die Behandlung erfolgt mit 20 bis 30 Sitzungen über mehrere Wochen. Mittlerweile ist die rTMS in vielen Ländern zur Behandlung von Depressionen zugelassen und auch in Deutschland eine Therapieoption.

Bei der transkraniellen Gleichstromstimulation (tDCS) wird über Elektroden auf der Kopfhaut für 20 bis 30 Minuten ein schwacher Gleichstrom angelegt, der die Aktivierbarkeit von Nervenzellen verändert.

„Bei der TMS und tDCS handelt es sich um nebenwirkungsarme Behandlungsverfahren, die in jeder Arztpraxis, im Fall der tDCS sogar zu Hause, eingesetzt werden können“, erklärte Padberg.

 
Bei der TMS und tDCS handelt es sich um nebenwirkungsarme Behandlungsverfahren, die in jeder Arztpraxis … eingesetzt werden können. Prof. Dr. Frank Padberg
 

Die tDCS wird gerade intensiv bezüglich ihrer Wirksamkeit untersucht, u.a. in einem vom Forschungsministerium geförderten Verbundprojekt.

Eine 2017 im New England Journal of Medicine erschienene Studie konnte zeigen, dass eine tDCS über 10 Wochen zwar nicht ganz so wirksam wie eine Therapie mit Antidepressiva war, aber deutlich besser als Placebo abschnitt.

Eine Studie der Arbeitsgruppe von Padberg fand auf der Basis von Bildgebungsdaten einen klaren Zusammenhang zwischen dem Volumen grauer Substanz in frontalen Hirnregionen und der Verbesserung der depressiven Symptomatik unter tDCS.

Auch die Studienergebnisse einer Bostoner Arbeitsgruppe aus 2018 zeigen anhand von MRT-Daten, dass depressive Patienten auf eine rTMS-Behandlung ansprechen.

Die Verbindung von Biomarkern der Bildgebung mit spezifischen Stimulationsansätzen öffne einen neuen Weg in der Behandlung depressiver Erkrankungen und könne sowohl mit Medikamenten als auch mit Psychotherapie kombiniert werden, betonte Padberg. Die einfache Anwendung im klinischen Alltag ermögliche die Entwicklung der Stimulationsverfahren zu einer neben Medikamenten und Psychotherapie stehenden „3. Säule“ in der Depressionstherapie.

ConnecToBrain“ – ein Helm soll Schlaganfall-Patienten unterstützen

Dass auch Schlaganfall-Patienten von Stimulationsverfahren profitieren könnten, zeigt das Projekt ‚ConnecToBrain‘. Nach einem Schlaganfall behalten die Betroffenen häufig Lähmungen, Sprachstörungen oder andere Einschränkungen zurück – je nachdem, in welchem Bereich das Gehirn geschädigt wurde. Dabei machten sich die Ausfälle nicht nur am Ort der Schädigung selbst bemerkbar, sondern in allen Hirnregionen, die damit in Verbindung stehen, erklärte Prof. Dr. Ulf Ziemann, Präsident der DGKN und Kongresspräsident der 64. Jahrestagung. „Das kann man sich ein bisschen wie ein Sinfonieorchester vorstellen, das nicht richtig zusammenspielt“, so Ziemann.

Das Ziel von ‚ConnecToBrain‘ ist „die Entwicklung eines „Helms“, der mittels transkranieller Magnetstimulation (TMS) gezielt jeden Ort der Großhirnrinde des Menschen schmerzfrei und nicht-invasiv stimulieren kann. „Die Stimulation erfolgt dabei zeitlich abhängig vom augenblicklichen Aktivitätszustand des Gehirns, der mittels Echtzeit-Analyse aus elektroenzephalografischen Daten (EEG) beurteilt wird“, berichtete Ziemann, Ärztlicher Direktor der Abteilung Neurologie und Ko-Direktor am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung der Universität Tübingen.

 
Damit kann gezielt, schmerzfrei und nicht-invasiv jeder Ort der Großhirnrinde stimuliert werden. Prof. Dr. Ulf Ziemann
 

‚ConnecToBrain‘ ist ein multizentrisches Projekt von Tübinger Medizinern mit Kollegen aus Finnland und Italien, das vor einem Jahr begonnen hat und mit 10 Millionen Euro über 6 Jahre vom Europäischen Forschungsrat gefördert wird.

Bei der transkraniellen Hirnstimulation wird in der Regel das Magnetfeld einer einzigen Spule auf einen bestimmten Ort der Großhirnrinde gerichtet, um dessen Funktion zu analysieren. Das Prinzip wurde bislang hauptsächlich zu Forschungs- und Diagnosezwecken eingesetzt. Ziemann und sein Team wollen es nun gemeinsam mit den europäischen Partnern ausbauen, verfeinern und für die Schlaganfallbehandlung nutzbar machen.

Dazu müssen teilweise weit voneinander entfernte Gehirnbereiche in eine mögliche Stimulationstherapie einbezogen werden, um so die Verbindungen zu beeinflussen und Prozesse der Reorganisation zu unterstützen. Der Helm soll daher bis zu 50 Spulen enthalten, deren überlappende Felder die gesamte Großhirnrinde abdecken. „Damit kann gezielt, schmerzfrei und nicht-invasiv jeder Ort der Großhirnrinde stimuliert werden“, sagte Ziemann.  

Mit dem Closed-Loop-Ansatz findet die Stimulation nicht nach einem festgelegten Protokoll statt, sondern berücksichtigt die aktuelle neuronale Aktivität. „In Studien konnten wir zeigen, dass der therapeutische Effekt der Stimulation größer ist, wenn eine ‚Netzwerkverbindung‘ ohnehin schon aktiv ist“, erläutert Ziemann. Er schätzt, dass Ende 2023 Studien an Schlaganfall-Patienten beginnen werden.

Die TMS gilt als ziemlich sicher, bei 5 bis 10% der Probanden treten leichte Kopfschmerzen auf.

Bedarfsgerechte tiefe Hirnstimulation bei Morbus Parkinson

Die tiefe Hirnstimulation (THS) ist zugelassen bei Patienten mit Bewegungsstörungen bei Morbus Parkinson, Dystonie und essenziellem Tremor. Zu den neuen Behandlungskonzepten gehört nun die adaptive – also die Feedback-kontrollierte – tiefe Hirnstimulation. Ziel ist es, die neuronale Aktivität im Zielgebiet zu nutzen, um die Stimulation zu steuern und bedarfsgerecht zu stimulieren, berichtete Prof. Dr. Andrea Kühn, Leiterin der Sektion Bewegungsstörungen und Neuromodulation an der Charité.

Bewegungsstörungen treten meist nicht als kontinuierliches motorisches Defizit auf, sondern schwanken in ihrer Ausprägung im Tagesverlauf. Eine bedarfsgerechte Stimulation würde dementsprechend nur in Phasen schlechter Beweglichkeit oder zur Unterdrückung der Tremorphasen oder der Tics einsetzen.

Erste bereits 2013 publizierte Studien haben die Möglichkeit gezeigt, die Amplitude der Beta-Aktivität als Triggersignal zu nutzen. Damit wird eine Stimulation nur dann ausgelöst, wenn die Beta-Aktivität eine bestimmte Schwelle überschreitet.

Mit dem ‚Percept Stimulator‘ der Firma Medtronic können langfristig neuronale Signale über die in den Basalganglien platzierten Elektroden zur THS ausgelesen werden. „In einem nächsten Schritt soll die adaptive Stimulation freigeschaltet werden, und im nächsten Jahr werden wir in einigen europäischen und US-amerikanischen Zentren eine klinische Studie zur adaptiven Hirnstimulation durchführen“, berichtete Kühn.
 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....