„Amuse Gueule“ für Kollegen – Kardio-Blogger Dr. John Mandrola stellt die spannendsten Studien beim AHA 2020 vor

Dr. John Mandrola

Interessenkonflikte

12. November 2020

Medscape-Kardiologie-Blogger Dr. John Mandrola berichtet über ausgewählte Studien, die auf dem diesjährigen virtuellen Kongress der American Heart Association vorgestellt werden [1].  

Eine abschließende Antwort zu den Nebenwirkungen von Statinen

Aus meiner Sicht ist der Höhepunkt des diesjährigen virtuellen AHA-Kongresses, wenn die Gruppe des Imperial College London die Ergebnisse der SAMSON-Studie präsentiert. Sie hat nur 60 Teilnehmer, aber mit einem Crossover-Design ist jeder Patient sein eigener Kontrollarm. Solche Designs werden N-of-1-Studien genannt.

Der Hintergrund: Obwohl weit über 100.000 Patienten bislang in verblindete, randomisierte, kontrollierte Studien (RCTs) mit Statinen aufgenommen worden sind, wissen wir immer noch nicht, ob die Medikamente Myalgien verursachen.

Nach verblindeten Daten ist die Rate unerwünschter Wirkungen bei Statinen ähnlich hoch wie unter Placebo. In Beobachtungsstudien hingegen ist die Rate unerwünschter Wirkungen bei Statinen deutlich höher. Der Nocebo-Effekt – als „böser Bruder“ des Placebo-Effektes – spielt dabei natürlich eine große Rolle.

 
Ich bin fest davon überzeugt, dass Ärzte z.B. über die Kommunikation … die Wahrscheinlichkeit, ob eine Intervention wirkt, beeinflussen können. Dr. John Mandrola
 

Die Studie: In SAMSON wurden Patienten eingeschlossen, die zuvor die Statine aufgrund von Nebenwirkungen abgesetzt hatten. Jeder Teilnehmer wurde auf eine von 12 Ein-Monats-Perioden randomisiert, die keine Medikamente, kein Placebo und kein Statin enthielten.

Primäres Ergebnis ist der individuelle Nocebo-Anteil – also Nebenwirkungen, ohne dass ein Wirkstoff gegeben wurde. Die Autoren berechnen die mittleren Symptom-Scores für die 4 Monate auf Statin oder Placebo und teilen dann die unter Placebo auftretenden Symptome durch die Symptome, die während der Medikamenteneinnahme auftreten. Das ist ein besonders sauberes Studiendesign, weil es auch alle Symptome berücksichtigt, die während der medikamentenfreien Zeit auftreten.

Denken Sie daran: Um einen Placebo- oder Nocebo-Effekt wirklich zu definieren, brauchen Sie einen Arm ohne Intervention, denn allein schon die Einnahme einer Tablette kann die Symptomwahrnehmung beeinflussen.

SAMSON wird uns über eine Klasse von Medikamenten informieren, aber ich denke, die Ergebnisse könnten über die Statine hinausweisen und uns eine Vorstellung davon geben, wie unser Gehirn die Wirksamkeit einer Therapie beeinflusst. Ich bin fest davon überzeugt, dass Ärzte z.B. über die Kommunikation und damit das Gehirn die Wahrscheinlichkeit, ob eine Intervention wirkt, beeinflussen können.

Vorhofflimmern bekommt eine ganze Sitzung

Wichtige Ergebnisse erwarte ich auch zum Vorhofflimmern. Zahlreiche Studien haben ergeben, dass man umso mehr Vorhofflimmern (VHF) findet, je mehr man danach sucht.

Forscher am Massachusetts General Hospital ergänzen die vorhandene Literatur nun mit der Präsentation der VITAL-AF-Studie. In Kliniken der Primärversorgung wird eine Gruppe von Patienten im Alter ab 65 mit dem KARDIA Handheld-Smartphone-EKG-Gerät untersucht, die andere Gruppe erhält Standardversorgung. Die Frage ist, ob sich per Smartphone die Detektionsrate beim Vorhofflimmern erhöhen lässt (Nebenbei bemerkt: Vielleicht bin ich ja altmodisch, aber ich denke, dass ein Kliniker in einer einfachen Untersuchung Vorhofflimmern erkennen kann, nämlich indem er den Puls fühlt, oder?)

 
Vielleicht bin ich ja altmodisch, aber ich denke, dass ein Kliniker in einer einfachen Untersuchung Vorhofflimmern erkennen kann, nämlich indem er den Puls fühlt, oder? Dr. John Mandrola
 

VITAL-AF wird 35.000 Patienten einschließen, aber leider ist der primäre Endpunkt eben nicht Schlaganfall oder Blutung, sondern „nur“ das Vorhofflimmern. Ich klinge wie eine kaputte Schallplatte, aber der Sinn eines Screenings auf Krankheiten – egal welcher Art – besteht ja nicht darin, die Krankheit zu erkennen, sondern darin, wichtige Outcomes zu verbessern. Ohne eine solche Verbesserung mag das Screening zwar die Taschen der Untersucher füllen, aber es hilft den Gescreenten nicht wirklich.

Apropos Ergebnisse: Auch die mSToPS-Studie – 3 Jahre klinische Ergebnisse –ist eine landesweite, randomisierte, pragmatische klinische Studie zum Screening auf Vorhofflimmern, die ebenfalls auf der diesjährigen AHA vorgestellt wird. Das könnte interessant werden.

Bereits 2018 berichteten die mSToPS-Forscher in JAMA , dass ein EKG-Monitoring-Patch bei älteren Patienten zu höheren Raten von diagnostiziertem Vorhofflimmern, zu einer vermehrten Einleitung einer Therapie mit Antikoagulanzien und zu einer erhöhten Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen geführt hat.

Weiter zur Therapie: Gegenwärtige Praxis ist, dass vor dem Ablationsversuch ein Therapieversuch mit einem Antiarrhythmikum bei Patienten mit symptomatischem, einer Rhythmuskontrolle zugänglichen Vorhofflimmern, fehlschlagen muss. Die multizentrische kanadische EARLY-AF-Studie wird dieses Dogma überprüfen.

Etwa 300 Patienten werden nach dem Zufallsprinzip einer Kryoballon-Ablation oder einer Therapie mit Antiarrhythmika zugeteilt. Das primäre Ergebnis ist die Zeit bis zum Wiederauftreten eines symptomatischen oder asymptomatischen Vorhofflimmerns.

Allerdings: Eine frühzeitige Ablation bereitet mir persönlich Sorgen, weil Vorhofflimmern von selbst abklingen kann. Und obwohl die Risiken des Verfahrens absolut gesehen gering sind, fällt deshalb das Risiko, eine Vorhof-Ösophagusfistel zu entwickeln oder einen Schlaganfall zu erleiden, ins Gewicht.

Myosin-Aktivator bei reduzierter Kontraktilität: Nutzen fraglich

Als ich begann Medizin zu studieren, war die Welt der Kardiologie verblüfft über die Entdeckung, dass Betablocker – Medikamente, die eigentlich die Kontraktilität reduzieren – tatsächlich die Ergebnisse bei Patienten mit bereits reduzierter Kontraktilität verbessern. Damals war das verwirrend. Es ergab mehr Sinn, Medikamente zu verwenden, die die Kontraktilität – etwa mit Dobutamin – erhöhten. Diese plausible Strategie hat das Outcome aber nicht verbessert.

Die erste klinische Studie in der Sitzung für die Late-Breaker beim diesjährigen AHA präsentiert einen neuartigen oralen Wirkstoff namens Omecamtiv-Mecarbil, einen kardialen Myosin-Aktivator, der nachweislich die Parameter der systolischen Funktion verbessert.

GALACTIC-HF ist eine randomisierte Placebo-kontrollierte Studie, in die mehr als 8.000 Patienten mit Herzinsuffizienz und reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF) aufgenommen wurden. Primärer Endpunkt ist die Zeit bis zum kardiovaskulären Tod oder die Zeit bis zum ersten Auftreten einer Herzinsuffizienz.

Aus einer Pressemitteilung erfuhren wir, dass Omecamtiv Mecarbil seinen primären Wirksamkeitsendpunkt erreicht hat. Leider reduzierte das Medikament nicht den wichtigsten sekundären Endpunkt – den kardiovaskulären Tod.

Wir werden uns die Details noch anschauen müssen, aber eine bescheidene relative Risikoreduzierung ohne eine Verringerung des kardiovaskulären Todes kann schwer als Durchbruch gelten.

Angesichts der Kostenbeschränkungen und der bereits erheblichen Pillenbelastungen durch die die 4 bekannten Medikamentenklassen, die die Sterblichkeit bei HFrEF reduzieren, bezweifle ich, dass dieser Wirkstoff es schaffen wird. Die größere Frage ist noch, ob diese Medikamentenklasse überhaupt ein fruchtbares Forschungsgebiet ist.

Finerenon – ein neuartiger MRA

Ich bezeichne Spironolacton als meine Geheimwaffe. Mineralokortikoid-Rezeptor-Antagonisten (MRAs) werden unterschätzt. Die Probleme mit Spironolacton sind Hyperkaliämie und Effekte der Androgenblockade.

Einige Wochen vor der AHA erfuhren wir auf der Nierenwoche, dass Finerenon, ein neuartiger nichtsteroidaler MRA, in der FIDELIO-DKD-Studie das Risiko für das Fortschreiten der chronischen Nierenerkrankung und für kardiovaskuläre Ereignisse verringern konnte.

 
Der Sinn eines Screenings auf Krankheiten … besteht ja nicht darin, die Krankheit zu erkennen, sondern darin, wichtige Outcomes zu verbessern. Dr. John Mandrola
 

In diese randomisiert kontrollierte Studie wurden mehr als 5.700 Patienten mit chronischer Nierenerkrankung und Typ-2-Diabetes aufgenommen. Der primäre Endpunkt war ein Komposit aus Nierenversagen, anhaltende Abnahme der GFR (mindestens 40% gegenüber dem Ausgangswert) oder Tod aufgrund von Nierenerkrankungen. Die sekundären Endpunkte waren kardiovaskulärer Tod, Myokardinfarkt (MI), Schlaganfall und Krankenhauseinweisungen aufgrund von Herzinsuffizienz.

Aus dem im New England Journal of Medicine veröffentlichten Artikel geht hervor, dass die kardiovaskulären Endpunkte zugunsten von Finerenon ausfielen. Bei der AHA werden wir mehr Details erfahren. Das Entscheidende an diesem Medikament ist, dass es geringere Hyperkaliämie-Raten aufweist als Spironolacton in früheren Studien. Und es ist nichtsteroidal, was ein erheblicher Vorteil ist, weil es die antiandrogenen Wirkungen der gegenwärtigen MRA-Medikamente vermeidet.

Eisen: Bei zu niedrigem Wert substituieren?

Auch Eisenmangel tritt häufig zusammen mit HFrEF auf. Da Eisen für viele Prozesse im Körper wichtig ist, klingt es plausibel, dass eine Substitution bei einem niedrigen Eisengehalt sinnvoll sein kann. Mit der AFFIRM-AHF-Studie, die in Polen durchgeführt wird, soll geprüft werden, ob eine intravenöse Infusion von Eisencarboxymaltose einen zusammengesetzten primären Endpunkt aus Krankenhauseinweisungen bei rezidivierender Herzinsuffizienz und Sterblichkeit reduzieren kann. In einer Pressemitteilung wurde bekanntgegeben, dass die Studie statistische Signifikanz beim primären Endpunkt knapp verfehlt hat.

Der Satz nach dem Hauptergebnis ist mir ins Auge gestochen: „Eine vorab spezifizierte Sensitivitätsanalyse, die die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie berücksichtigt, ergab einen statistisch signifikanten Unterschied zugunsten der [Infusion]“. Darauf antworte ich: Spin wird offenbar durch eine Sprache definiert, die darauf abzielt, von nicht signifikanten primären Endpunkten abzulenken.

Eine weitere zweite Chance für Vitamin D und Fischöl-Kapseln?

Beim AHA-Kongress 2018 präsentierte Dr. JoAnn Manson die negativen Ergebnisse der VITAL-Studie (Vitamin D und Omega-3-Fettsäuren). Diese randomisiert kontrollierte Studie mit mehr als 25.000 Erwachsenen hatte keine Verringerung der kardiovaskulären Ereignisse oder der Krebsinzidenz ergeben.

Auf der diesjährigen AHA werden wir die Ergebnisse von VITAL Rhythm erfahren, einer Fortsetzung dieser Studie, in der die Inzidenz von Vorhofflimmern in einer älteren Bevölkerung über 7 Jahre untersucht worden ist.

Ich bezweifle, dass Vitamin D irgendeine Wirkung haben wird. Was die Fischölkapseln betrifft – bedenken Sie, dass in REDUCE-IT, einer Placebo-kontrollierten Studie mit Icosapent-Ethyl (eine Pille mit einer höheren Dosis gereinigter Eicosapentaensäure EPA und ohne Docosahexaensäure DHA), die Inzidenz von Vorhofflimmern im Fischöl-Arm um 47% höher war.

 
Eine frühzeitige Ablation bereitet mir persönlich Sorgen, weil Vorhofflimmern von selbst abklingen kann. Dr. John Mandrola
 

Das Besondere an der Placebo-kontrollierten OMEMI-Studie mit Pikasol (Pronova Biocare, 1,8 g EPA plus DHA) ist, dass sie ältere Patienten nach Herzinfarkt eingeschlossen hat. Man geht davon aus, dass diese Patienten eine höhere Ereignisrate haben werden, so dass ein günstiges Signal leichter zu erkennen sein könnte. Dennoch haben keine früheren Studien mit EPA plus DHA-Fischölzusätzen signifikante Vorteile ergeben.

Die Polypille steht wieder auf dem Programm

Die Polypille steht auch wieder auf dem Programm. 2 Fakten: Die tägliche Einnahme zahlreicher Pillen, vor allem solcher Tabletten, durch die man sich subjektiv nicht besser fühlt, stellt eine Belastung für die Patienten dar. Aber Medikamente zur Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Ereignissen können nicht wirken, wenn sie nicht eingenommen werden.

Die Idee hinter der Polypille ist die Kombination von 4 Tabletten in einer. Das Gute daran ist, dass sie leichter einzunehmen ist. Das Schlechte daran ist, dass es 4 Substanzen sind, die alle unterschiedliche Wirkungen haben. In diesem Fall handelt es sich um 25 mg eines Thiazids, 100 mg Atenolol, 10 mg Ramipril und 40 mg Simvastatin.

Die von Prof. Dr. Salim Yusuf geleitete Gruppe wird die Ergebnisse der Internationalen Polycap-Studie 3 (TIPS-3) vorstellen, einer randomisiert kontrollierten Studie, die auch einen ASS- und Vitamin-D-Arm umfasst. Das primäre Ergebnis der 5-Jahres-Studie ist ein Komposit der wichtigsten unerwünschten kardialen Ereignisse.

Bildgebung in der Notaufnahme

Und jetzt habe ich noch einen Bias: Als ich letztes Jahr Edinburgh in Schottland besucht habe, war das berühmte Team der SCOT-HEART-Studie äußerst freundlich zu mir. Ich besuchte ihre National Health Klinik, aß ein schönes Abendessen und ging mit Marc Dweck laufen. Danach haben wir Südafrika beim Sieg über England bei der Rugby-Weltmeisterschaft 2019 zugeschaut.

Dennoch bin ich nach wie vor skeptisch, was die Rolle der Bildgebung in der Notaufnahme angeht – zumindest im kostenpflichtigen US-System. Das Problem besteht natürlich darin, per Zufallsbefund eine Erkrankung der Koronararterien (KHK) zu finden.

Die RAPID-CTCA-Studie unterscheidet sich von früheren Studien, die CT versus Standard verglichen haben, durch die Auswahl der Patienten. Während in SCOT-HEART die CT-Koronarangiographie bei Patienten mit geringerem Risiko untersucht wurde, werden in RAPID-CTCA Patienten mit deutlich höherem Risiko aufgenommen, die ischämische Veränderungen im EKG, eine Erhöhung des Troponins oder eine bekannte KHK aufweisen.

Eine Studiengruppe erhält eine frühe CT-Angiographie, die andere eine Standardbehandlung. Primärer Endpunkt ist Tod oder Herzinfarkt nach einem Jahr. Die Autoren führen 25 sekundäre Endpunkte auf. Eine hohe Anzahl von Endpunkten ist aber immer ein Problem, weil der Zufall allein dazu führt, dass einige davon signifikant sind.

Infektionskrankheiten

Eine medizinische Tagung im Jahr 2020 wäre ohne Studien zu COVID-19 kaum vollständig. Diese Tagung wird zahlreiche Beobachtungen aus dem COVID-19-Register für Herz-Kreislauf-Erkrankungen der AHA enthalten.

Eine bemerkenswerte Arbeit aus dem Bereich der Infektionskrankheiten, die nichts mit COVID-19 zu tun haben, ist die INVESTED-Studie, die sich mit hochdosierten Influenza-Vakzinen im Vergleich zu standarddosierten Influenza-Vakzinen bei kardiovaskulären Hochrisiko-Patienten befasst.

Diese Studie zeichnet sich dadurch aus, dass sie (a) methodisch stark aussieht (n ≈ 9.300 über 4 Grippesaisons hinweg) und (b) wir nicht vergessen dürfen, dass es neben COVID-19 viele weitere Atemwegsinfektionen gibt, die unseren herzkranken Patienten schaden können.

Dieser Artikel wurde von Ute Eppinger aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
 

Kommentar

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