MEINUNG

Neuer Ärger ums Maskentragen: Studie findet keine Schäden – aber die schlechte Forschung zu COVID-19 „ist zum Heulen“

Dr. John Mandrola

Interessenkonflikte

11. November 2020

Ich bin (wieder) auf Twitter in Schwierigkeiten geraten. Mein Tweet betraf einen Artikel im Journal of the American Medical Association (JAMA) über die Sicherheit des Tragens nichtmedizinischer Masken.

Dr. John M. Mandrola

In der Studie wurde bei 25 Personen aus einer Senioren-Wohnanlage deren Sauerstoffsättigung vor, während und nach dem Tragen von dreilagigen Einwegmasken gemessen.

Ergebnis: Es gab keine Unterschiede. Die gepoolten Durchschnittswerte der Sauerstoffsättigung lagen bei etwa 96%. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass das Tragen einer Maske für die Sauerstoffversorgung nicht von Nachteil ist.

Fehlende Überzeugungskraft wissenschaftlicher Studien

Solchen Studien sind zum Heulen. Sie verschärfen das Problem des fehlenden Vertrauens in die Wissenschaft und sie würdigen ein wichtiges Journal herab.

Bei dem Antwort-Thread ist mir ein „Fehler“ unterlaufen, denn ich habe geschrieben: „Hält wirklich jemand eine Maske für gefährlich?“

Zahlreiche Leute haben mich daraufhin beschimpft und geschrieben, ich sei entweder zu dumm oder zu arrogant, um nicht bemerkt zu haben, dass viele Menschen sagten, Masken seien gefährlich.

Obwohl ich es bedauere, gepostet zu haben, niemand halte Masken für gefährlich, stehe ich zu meiner ursprünglichen Meinung, dass die Veröffentlichung zweifelhafter COVID-19-Publikationen kontraproduktiv ist. Solche Aktionen überzeugen niemanden. Aber sie schaden der Mission medizinischer Fachzeitschriften und sie sind potenziell schlecht für den Fortschritt der Wissenschaft.

Meine Gedanken zu der Maskendebatte sind folgende:

Natürlich weiß ich, dass es Menschen gibt, die keine Maske tragen wollen und dass einige von ihnen Gesundheitsrisiken als Grund anführen. Aber jeder vernünftige Mensch versteht, dass Masken nicht gefährlich sind. Eine Maske ist vielleicht  „entmenschlichend“ und unangenehm. Sie kann das Atmen unter Belastung anstrengender machen. Aber eine Maske ist nicht gefährlich. 

Irrationale Menschen lassen sich von keinem Artikel überzeugen – in keiner Zeitschrift. Sie könnten dann auch noch fragen: „Was ist mit dem CO2?“

Dann müssten Sie eine weitere Studie mit Blutgasen durchführen. Wenn auch diese Ergebnisse unauffällig wären, könnte eine irrationale Person sagen, dass eine Maske Arrhythmien verursache. Dann müssten Sie eine Studie mit EKG-Messungen durchführen. Irrationale Menschen können jedes erdenkliche Argument gegen Masken vorbringen. Der Versuch, sie zu widerlegen, ist dumm.

Die Autoren des Papers und die Herausgeber von JAMA sind Ärzte. Sie wissen genau, dass sich Menschen mit irrationalen Überzeugungen nicht von einer Studie mit 25 Teilnehmern überzeugen lassen.

Mein Freund Dr. Saurabh Jha fasste das Problem in einem Tweet gut zusammen: „Die Begründung für Masken ist nicht Empirismus, sondern das Vorsorgeprinzip. Besorgniserregend ist, dass Menschen nicht allein nach dem Vorsorgeprinzip handeln können.“ Schwache Studien, so Jha, würden jedoch die Maskendebatte nur verstärken.

Vertrauensverlust in die Wissenschaft

Falls Sie im Internet-Zeitalter ein empirisches Argument vorbringen wollen, ist es besser, wenn alles wasserdicht ist. Diese Studie ist allerdings weit davon entfernt. Jeder Mensch mit medizinischem Wissen oder mit Zugang zum Internet weiß, dass die Sauerstoffsättigung ein schlechter Surrogat-Parameter für das Wohlergehen der Lunge ist. Ich habe gesehen, wie Menschen aufgrund einer CO2-Retention fast gestorben wären – mit einer Sauerstoffsättigung im normalen Bereich.

Die Autoren wussten, dass es keinen Unterschied in der Sauerstoffsättigung bei diesen Masken geben wird, aber sie führten die Studie trotzdem durch. Die Herausgeber wussten, dass diese Studie nichts beweist, veröffentlichten sie aber dennoch. An einem Tag hatte das Paper mehr als 13.000 Seitenaufrufe und eine Altmetric-Punktzahl von 536. Das heißt, der Artikel wird häufig zitiert.

Das Geschäftsmodell medizinischer Fachzeitschriften ist Aufmerksamkeit:  Seitenaufrufe, Zitationen oder Berichte in Medien. Dass eine hochrangige medizinische Zeitschrift das Äquivalent eines High-School-Wissenschaftsprojekts veröffentlicht, verleitet mich zu der Annahme, dass Aufmerksamkeit wichtiger ist als der wissenschaftliche Wert.

Denken Sie das nächste Mal daran, wenn JAMA einen wirklich wichtigen Befund veröffentlicht. Beispielsweise eine Studie über Impfstoffe. Menschen, die durch die Veröffentlichung fehlerhafter, aufmerksamkeitsheischender Studien skeptisch wurden, könnten logischerweise dann auch in diesem Fall denken, dass die Herausgeber der Zeitschrift gute Wissenschaft nicht fair beurteilen.

Wenn wichtige Publikationen erscheinen, sollten sie stattdessen folgendes denken: Ja, ja, wir wissen, dass medizinische Fachzeitschriften fehlerhafte Studien wegen der Aufmerksamkeit veröffentlichen, aber diese wirklich wichtige Veröffentlichung ist anders.

Argumente für die Politik?

Zusätzlich zur Aufmerksamkeit werden die Ergebnisse dieser Studie sicherlich als Druckmittel verwendet, um Bürger zum Tragen von Masken zu bewegen. Aber die Durchsetzung ist ein politisches Problem. Wenn medizinische Fachzeitschriften in politischen Debatten Partei ergreifen, verlieren sie den Nimbus der Unparteilichkeit.

Das wird zum Problem, weil der Umgang mit einer Pandemie die Zusammenarbeit aller Menschen erfordert. Dies erfordert Vertrauen. Und Vertrauen ist hart erkämpft, aber auch leicht zu verlieren.

Falsche Anreize für Wissenschaftler

Der akademische Kardiologe Dr. Venk Murthy wies auf  einen weiteren Aspekt dieser Studie hin: „Es geht nicht darum, ob es sich um Clickbaiting handelt oder nicht, sondern ob die Forscher, die Ethikkommission, Gutachter, Redakteure usw. ihre Zeit produktiver hätten verbringen können.“

Die Kultur falscher Anreize für Wissenschaftler ist ebenfalls problematisch. Man braucht Aufmerksamkeit, Veröffentlichungen und Zitationen. Wenn Wissenschaftler Arbeiten sehen, die Aufmerksamkeit erregen, ist es für sie selbstverständlich, ähnliche -  genauso zweifelhafte – Studien durchzuführen.

Wissenschaftler, die eigentlich unvoreingenommen sein sollten, könnten auch versuchen, die politischen Positionen der Herausgeber einer Zeitschrift zu erahnen. So werden Forscher leicht verleitet, nicht nur zweifelhafte Studien durchzuführen, sondern auch Ergebnisse zu verfolgen, die mit der vorherrschenden Meinung der Herausgeber übereinstimmen.

Murthys Ansicht ist, dass wertvolle Forschung in den Bereichen Virologie, öffentliche Gesundheit, Krebs, Herzerkrankungen und anderen Fachgebieten durch den Wettlauf um Aufmerksamkeit mit COVID-Studien auf Eis gelegt wurde.

Das Vertrauen in die Wissenschaft – und in Masken – herstellen

Medizinische Führungskräfte müssen sich dem Thema stellen, und medizinische Fachzeitschriften sollten sich von Interessenkonflikten fernhalten. Sie müssen unparteiisch bleiben. Herausgeber dürfen nicht als Befürworter bestimmter Ergebnisse angesehen werden.

Was Masken betrifft: Wenn wir wollen, dass Menschen Masken tragen, und das tun wir, lautet die Antwort nicht, fehlerhafte Wissenschaft zu fördern. Es geht darum, die Werkzeuge eines guten Arztes zu verwenden: Demut, Empathie und einen gesunden Menschenverstand.

Dazu zählt auch die Demut, den Menschen zu sagen, dass wir nicht genau wissen, wie sehr Masken die Ausbreitung des Virus verlangsamen.  

Und wir sollten auch das Einfühlungsvermögen zeigen, und eingestehen, dass Masken viel von dem wegnehmen, was uns menschlich macht.

Und wir sollten unseren gesunden Menschenverstand benützen und deutlich machen, dass Masken nicht gefährlich sind. Sie aber wahrscheinlich dazu beitragen, die Ausbreitung von Viren zu verringern, und wir Masken nicht für immer tragen werden.

Tragen Sie bitte eine Maske – insbesondere in engen Innenräumen.

John Mandrola praktiziert als Kardiologe mit dem Schwerpunkt Elektrophysiologie in Louisville, Kentucky. Er ist Autor und Podcaster für Medscape. Er vertritt einen konservativen Ansatz in der medizinischen Praxis. Er nimmt an der klinischen Forschung teil und schreibt häufig über den Stand der medizinischen Evidenz. 

Der Artikel wurde von Michael van den Heuvel aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.  
 

Kommentar

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