Noch sind die Grenzen nach Polen offen und Hunderttausende osteuropäischer Frauen können einreisen, um in deutschen Haushalten Pflegebedürftige zu betreuen. Im Frühjahr fürchteten Experten noch, die Pflegepersonen aus Polen würden in den Staus vor den Grenzen steckenbleiben oder würden wegen der Furcht vor Infektionen in Deutschland gar nicht erst ins Land kommen. Inzwischen liegen die Dinge aber anders.
Am 24. Oktober 2020 hat das Robert Koch-Institut (RKI) ganz Polen zum Corona-Risiko-Gebiet erklärt. Spätestes damit stellt sich die Frage nach den Corona-Tests für die Haushaltshilfen und Pflegenden, die regelmäßig nach Deutschland kommen. Und sie stellt sich umso mehr, als dass man bisher keine Einbrüche bei der Zahl der Haushaltshilfen und Pflegepersonen in Deutschland habe feststellen könne. Das sagt jedenfalls Claudia Meneröcker vom Caritasverband in Paderborn. „Man darf nicht vergessen: Die Frauen kommen aus Not. Sie brauchen dringend das Geld, Corona hin oder her“, sagt Menebröcker.
Je nach Quelle ist von 300.000 bis 700.000 Pflegekräften und Haushaltshilfen die Rede, die allein aus Osteuropa kommen und in deutschen Familien leben und arbeiten. Nach Angaben von ver.di sind 90% von ihnen illegal im Land und pendeln schwarz über die Staatsgrenzen. Die Hans-Böckler-Stiftung schätzt, dass rund 163.000 Haushalte in Deutschland die Hilfe von Osteuropäerinnen in Anspruch nehmen. „Der größte Teil in Schwarzarbeit“, ergänzt Menebröcker. Die Caritas gehe von 2,3 Betreuungspersonen pro Haushalt aus, weil die Betreuerinnen sich oft in einem 3-Monats-Rhythmus in einem Haushalt abwechseln.
Längst ist die Versorgung durch die Gastarbeiterinnen systemrelevant, sagt Prof. Dr. Michael Isfort, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Instituts für Pflegeforschung. Damit stelle sich auch die Frage der Corona-Test dringlicher. Als im Frühjahr die Grenzen geschlossen wurden, sind viele Frauen nicht in ihr Heimatland zurückgekehrt, sondern sind in den deutschen Familien geblieben.
„Das stellen wir jetzt wieder fest“, sagt Meneröcker. „Denn wenn sie nach Deutschland einreisen, müssten sie eigentlich zunächst in Quarantäne, vorausgesetzt, sie haben sich ordentlich angemeldet“, so Menebröcker. Hier gilt die Muster-Quarantäne-Verordnung der Bundesregierung vom 27. August 2020. Sie verpflichtet Einreisende aus einem Risiko-Gebiet dazu, sich auf eine Corona-Infektion testen zu lassen.
Blackbox Schwarzarbeiterinnen
Das betrifft allerdings nicht die Schwarzarbeiterinnen. „Wenn offiziell niemand weiß, dass ich da bin, dann brauche ich auch nicht in Quarantäne“, sagt Meneröcker. Viele Betreuungspersonen kommen auch aus Rumänien oder Bulgarien und müssen bis zu 4 Ländergrenzen überschreiten, um zu ihrem Arbeitsplatz zu kommen.
Indessen hätten die betroffenen Frauen in Polen nicht einmal die Möglichkeiten für präventive Corona-Tests, sagt Meneröcker. „Eigentlich könnten sie sich ja 48 Stunden vor der Einreise testen lassen. Aber ohne Symptome gibt es in Polen keine Tests und mit Symptomen will keine deutsche Familie, dass die Betreuungsperson kommt.“
Im Prinzip müsste die Familie des Pflegebedürftigen die Tests zahlen. So lange es keine Grenzschließungen gebe, bleibe das Problem bestehen. Allerdings sei das Problem prinzipiell keines, das nur Osteuropäerinnen betreffe. Es gehe hier nicht nur um Frauen aus Polen, sondern auch aus Deutschland, sagt Meneröcker.
Kurz: Hunderttausende von Pflegekräften und Betreuungspersonen arbeiten heute nah am Patienten und leben oft in den Haushalten der Betreuten eng mit ihnen zusammen – und könnten sie womöglich anstecken. Denn es ist unklar, ob sie getestet wurden und gesund sind oder nicht. „Diese Frauen brauchen uneingeschränkten Testzugang“, fordert deshalb Isfort.
Die Caritas löst das Problem in Zusammenarbeit mit der Caritas Polen im Rahmen des Programms „CariFair“. „Anders als Agenturen machen wir regelrechte Arbeitnehmerverträge mit den Frauen. Dann sind sie hier sozialversichert und zahlen auch hier Steuern“, so Meneröcker.
Zudem kooperiert die Caritas mit muttersprachlichen Vertrauenspersonen im Heimatland der Frauen und mit Pflegediensten, die zusammen mit den Betreuerinnen im Haushalt arbeiten. Meneröcker: „Und Frauen, die sich in irgendeinem Arbeitssetting befinden, wie ‚CariFair‘, die haben wir – was die Tests angeht – im Blick.“
Agenturen testen selbst
Agenturen wie „Pflegehelden“ testen selbst. Das Franchise-Unternehmen Pflegehelden testet alle polnischen Pflegekräfte aus den Risiko-Regionen per Schnelltest auf Corona und bringt die Frauen innerhalb von 48 Stunden mit einer privaten Bus-Flotte ohne Kontakt zu Externen an die Einsatzorte, wie das Unternehmen mitteilt.
Die Kosten von 100 Euro tragen die Kunden der Betreuerinnen. Pflegehelden-Geschäftsführer Daniel Pochhammer sagt: „Derzeit erproben wir verschiedene Szenarien wie den Einsatz von Fremdbussen oder das Erwerben von Bus-Kontingenten, um wirklich alle Hygiene-Maßnahmen einhalten zu können. Zudem überlegen wir, an der Grenze ein Hotel für die Pflegekräfte zu mieten, wo sie ihr Testergebnis abwarten können, um nach Vorlegen des Testergebnisses direkt weiter zu ihren Einsatzorten gebracht zu werden. Eine weitere Option ist, die derzeit in Deutschland bereits arbeitenden Pflegekräfte länger einzusetzen.“
Das alles gilt – wie gesagt – nur für die 10% Pflegekrägte, die offiziell in Deutschland arbeiten.
Isfort fordert denn auch mehr Forschungsarbeit der Arbeitsumstände der Betreuerinnen in Deutschland, vor allem der Schwarzarbeiterinnen. „Leider kennen wir die Pflegesituation vor Ort nicht“, bedauert Isfort. „Wie geht es den Angehörigen, wie geht es den Betreuten? Da gibt es nur ein paar Umfragen.“
In jedem Fall werde durch die vielen Betreuerinnen sichtbar, dass die ergänzende Pflege, etwa die Tagespflege, letztlich nicht funktioniere und oft Kräfte aus dem Ausland einspringen müssten und damit das Infektionsrisiko steige. Isfort: „Das Bundesgesundheitsministerium hätte den Sommer nutzen sollen, um sich ein Bild zu machen: Welche Pflege funktioniert? Welche Dienste können die Infektionszahlen niedrig halten? Leider ist aber nicht in die Systematik der Pflege investiert worden. Das ist eine deprimierende Erfahrung.“
Medscape Nachrichten © 2020
Diesen Artikel so zitieren: Viele häusliche Betreuerinnen – nicht nur aus Osteuropa – werden nicht auf Corona getestet - Medscape - 11. Nov 2020.
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