Gefahr fürs Kinderhirn: In Lockdown-Zeiten verdoppelte sich die Ketoazidose-Rate bei Kindern mit Typ-1-Diabetes-Diagnose

Dr. Thomas Kron

Interessenkonflikte

6. November 2020

In der anhaltenden Corona-Pandemie hat sich in Deutschland die Rate an diabetischen Ketoazidosen (DKA) bei Kindern am Beginn der Diabetes-Erkrankung verdoppelt. Da ist das Ergebnis einer in JAMA veröffentlichten Untersuchung, wie die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) im Vorfeld der gemeinsamen Online-Jahrestagung „JA-PED der Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Diabetologie und der Deutschen Gesellschaft für Kinderdiabetologie und Endokrinologie am 5. November meldet [1,2].

Eine diabetische Ketoazidose kann bei Kindern zu kognitiven Einschränkungen führen, wie eine US-amerikanische Forschergruppe im Fachmagazin Diabetes Care gezeigt hat. Die DDG weist daher auf die Notwendigkeit hin, Kinder mit Typ-1-Diabetes frühzeitig zu diagnostizieren und ihre Stoffwechsellage engmaschig zu kontrollieren, um mögliche Folgeschäden durch Ketoazidosen zu vermeiden.

„Eine mittelschwere bis schwere Stoffwechselentgleisung wirkt sich bei den Kindern negativ auf die Aufmerksamkeitsleistung aus – im Vergleich zur Gruppe der Kinder, die keine oder nur eine milde DKA hatten“, fasst DDG-Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Neu die Ergebnisse in einer Mitteilung der DDG zusammen. „Diese Erkenntnis ist alarmierend. Denn mehr als jedes 5. Kind kommt bei Diabetesmanifestation mit einer Ketoazidose ins Krankenhaus und in rund 6 Prozent der Fälle liegt bereits eine schwere DKA vor.“

Negative Auswirkungen auf Gehirnwachstum und kognitive Leistungen

Bisher gab es nur wenige wissenschaftliche Hinweise darauf, inwiefern sich eine Episode einer diabetischen Ketoazidose bei Kleinkindern auf die Gehirnentwicklung und so auf die kognitive Leistung auswirkt.

Das US-Forscherteam hat Daten von 144 Kindern mit Typ-1-Diabetes im Alter von 4 bis 10 Jahren untersucht. Von diesen Kindern haben die Forscher zu Studienbeginn und nach 18 Monaten einen Hirnscan und kognitive Tests gemacht und die Ergebnisse verglichen. Dabei zeigte sich ein Zusammenhang zwischen der Schwere der Ketoazidose, dem Gehirnwachstum und den kognitiven Leistungen. 

„Die Studie zeigt, dass gerade im Kleinkindalter ein starker Insulinmangel und die dadurch bedingte Übersäuerung im Blut Folgen auf die Gehirnentwicklung und auf die Lern- und Konzentrationsfähigkeit haben können“, erklärt PD Dr. Thomas Kapellen, Vorsitzender der AG Pädiatrische Diabetologie der DDG aus Leipzig.

Symptome erkennen

Umso wichtiger sei es, die individuelle Diabetesschulung für Kinder und Eltern noch mehr im Blick zu haben: „Um eine DKA zu vermeiden, müssen Eltern die ersten Symptome erkennen können. Auch hier brauchen wir mehr Aufklärung“, so Kapellen.

 
Um eine DKA zu vermeiden, müssen Eltern die ersten Symptome erkennen können. Auch hier brauchen wir mehr Aufklärung. PD Dr. Thomas Kapellen
 

Außer vermehrtem Durst, starkem Harndrang, Gewichtsabnahme, Übelkeit und Erbrechen gehören auch eine beschleunigte Atmung sowie Azetongeruch der Atemluft zu den ersten Anzeichen einer DKA. Da es im weiteren Verlauf zu Muskelschwäche, Bewusstseinsstörungen oder einem diabetischen Koma kommen kann, gehören betroffene Kinder sofort in eine notärztliche Betreuung.

„Insbesondere während der jetzigen Corona-Zeit können klassische Symptome wie beschleunigte Atmung fehlgedeutet und für einen Atemwegsinfekt gehalten werden“, warnt Kapellen. „Hier kann wertvolle Zeit verstreichen, bis die tatsächliche Ursache feststeht.“

So hat die JAMA-Publikation aus Deutschland gezeigt, dass sich die Rate einer Ketoazidose bei Diabetesmanifestation von Kindern und Jugendlichen während des Corona-Lockdowns verdoppelt hat. „In dieser Zeit bekam fast jedes zweite Kind eine verspätete Diagnose“, resümiert Prof. Dr. Reinhard Holl, Mitautor der Studie und Koordinator des DPV-Registers. Dies war besonders oft bei Kleinkindern der Fall.

 
Insbesondere während der jetzigen Corona-Zeit können klassische Symptome wie beschleunigte Atmung fehlgedeutet und für einen Atemwegsinfekt gehalten werden. PD Dr. Thomas Kapellen
 

Außer Fehlinterpretationen der Symptome durch Eltern oder Ärzte lasse sich dies auch auf die Angst vor der Ansteckung mit COVID-19 in Arztpraxen und Kliniken zurückführen. Holm warnt davor, dass eine weitere Welle zu einer ähnlichen Situation führt und fordert Eltern und alle, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, dazu auf, erste Warnsignale ernst zu nehmen und gegebenenfalls umgehend einen Kinderarzt oder eine Kinderklinik aufzusuchen.

Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Univadis.de.
 

Kommentar

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