Seit Beginn der Pandemie ist zunehmend deutlich geworden, dass das neue Corona-Virus für Menschen mit kardiovaskulären Erkrankungen besonders gefährlich ist. Patienten mit Herzgefäß-Erkrankungen gelten als Hochrisiko-Patienten bei einer Infektion mit SARS-CoV-2.
Zudem hat sich gezeigt, dass die Infektion mit SARS-CoV-2 auch Herz und Gefäße von Menschen schaden kann, die zuvor kardiovaskulär gesund waren. Mindestens jeder 5. COVID-19-Patient hat eine Myokard-Läsion mit erhöhten Troponin-Werten, was prognostisch relevant ist: Das Sterberisiko korreliert mit den Troponin-Werten, wie ein Autorenteam um den US-Kardiologen Prof. Dr. Valentin Fuster festgestellt hat. Das neue Corona-Virus hat offensichtlich eine ausgeprägte „Vorliebe“ für das Myokard.
Inzwischen liegt eine kaum noch überschaubare Menge an unterschiedlichen Studien und Publikationen zum Zusammenhang zwischen der Virus-Infektion und dem Herzgefäß-System vor. Der US-Kardiologe und Editor-in-Chief von Medscape, Eric Topol, Scripps Research Translational Institute, La Jolla, USA, hat nun in Science den Stand des bisherigen Wissen“ dargestellt – und auch erläutert, was noch unklar ist [1].
Myokarditis, Arrhythmien, Herzversagen
So gibt es, wie aus Beobachtungs-Studien und Fallgeschichten hervorgeht, ganz unterschiedliche kardiale Komplikationen bei Patienten mit SARS-CoV-2. Die Infektion kann zu einer Myokarditis führen, außerdem Symptome hervorrufen, die denen eines Infarktes ähneln, Arrhythmien verursachen und ein akutes sowie chronisches Herzversagen zur Folge haben. Beschrieben wurden auch vereinzelte Fälle von COVID-19-Patienten mit einer Stress-Kardiomyopathie.
Große Aufmerksamkeit geweckt hat auch das multisystemische Inflammationssyndrom, von dem vor allem – aber nicht ausschließlich – Kinder mit COVID-19 betroffen sind. Bei diesem seltenen, aber lebensbedrohlichen Syndrom kann es auch zu kardialen Komplikationen kommen. Brasilianische Ärzte haben bei einem erst 11-jährigen Mädchen mit diesem Syndrom das Virus dann auch post mortem in Herzmuskelzellen nachweisen können. Gestorben war das Kind an einem kardiogenen Schock.
Kardiale Komplikationen sind, wie Topol berichtet, nicht nur bei Patienten mit einem schweren COVID-19-Verlauf aufgetreten, sondern auch bei nur leicht erkrankten Patienten. Sogar sehr junge Menschen, die sich mit dem Virus infizieren, können schwere kardiale Schäden erleiden. So haben, z.B. italienische Ärzte bei einem erst 16-jährigen Jungen mit positivem Test auf SARS-CoV-2 eine akute Myokarditis diagnostiziert. Auch gab es schon Berichte über plötzliche kardiale Todesfälle bei jungen Sportlern, die sich mit SARS-CoV-2 infiziert hatten.
Wie SARS-CoV das Herz schädigt
Wie das Virus das Myokard und seine Zellen schädigt, ist zum Teil bereits bekannt. Der Erreger gelangt, wie Topol erläutert, durch Bindung seines Spike-Proteins an den zellulären Angiotensin Converting Enzyme 2(ACE2)-Rezeptor in die Zellen. Beteiligt an diesem Vorgang sind zudem die zelluläre Serinprotease Transmembranprotease Serin 2 (TMPRSS2), Heparansulfat und andere Proteasen. Das Herz ist eines der vielen Organe mit hoher ACE2-Expression. Darüber hinaus ist die Affinität von SARS-CoV-2 zu ACE2 signifikant größer als die der anderen humanpathogenen Corona-Viren.
Außer durch die direkte Infektion von Herzmuskelzellen kann das Myokard auch durch eine systemische inflammatorische Reaktion geschädigt werden. Belegt ist auch der Viruseintritt in die Endothelzellen, die die Blutgefäße zum Herzen auskleiden. Eine für den Krankheitsverlauf besonders wichtige Folge ist eine Endzündung dieses Endothels, wie Forscher des Universitätsspitals Zürich, Schweiz, um die Pathologin Prof. Zsuzsanna Varga im April dieses Jahres in einem Brief im Fachmagazin The Lancet.
Denn mögliche Folgen der systemischen Endotheliitis sind schwere Mikrozirkulationsstörungen vieler Organe, Gerinnungsstörungen, Lungenembolien, zerebrale sowie gastrointestinale Gefäßverschlüsse und auch ein tödliches Multiorganversagen. Besonders gefährdet sind Patienten, die bereits an Bluthochdruck, Diabetes, Herzinsuffizienz oder koronaren Herzkrankheiten leiden und daher in der Regel schon Endothelschäden haben.
Weitere mögliche kardiovaskulär relevante Folgen einer Infektion mit SARS-CoV-2 sind Dysregulation des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems und außer der Hyperkoagulabilität auch eine Zytokin-vermittelte Destabilisierung arterieller Plaques, so ein Forscherteam um Daniel Modin, Universität von Kopenhagen, Dänemark.
Weiterhin ungeklärte Fragen
Etwas mehr als ein halbes Jahr nach dem offiziellen Beginn der Pandemie verfügen Wissenschaftler und Ärzte zwar schon über viele Erkenntnisse zu dem Virus und auch Erfahrungen im Umgang mit der Infektion. Doch selbstverständlich gibt es noch einige relevante Fragen.
Dazu zählt laut Topol unter anderen die, wie oft eigentlich bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 das Herz in Mitleidenschaft gezogen ist. So hatte in einer prospektiven Kohortenstudie mit über 1.200 COVID-19-Patienten die Mehrheit auffällige echokardiographische Befunde. Diese und andere bildgebende Befunde werfen laut Topol die Frage auf, ob eine kardiale Beteiligung nicht häufiger sei als bislang angenommen, zumal mindestens 30 bis 40% der Infektionen symptomlos verliefen oder aufgrund sehr geringer Symptome nicht bemerkt würden. Leider gibt es bislang kaum Studien mit bildgebenden Verfahren bei infizierten, aber symptomlosen Patienten.
Eine weitere Frage ist die, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Long-COVID-Syndrom und den viral bedingten Herzschäden gibt? Ein Großteil der Menschen, die COVID-19 „überstanden“ haben, leiden, wie zunehmend klar wird, trotz offizieller Genesung weiterhin an belastenden Symptomen wie Müdigkeit, Atembeschwerden, Brustschmerzen und Herzrhythmusstörungen. Solche Patienten wurden, wie Topol schreibt, noch nicht systematisch auf mögliche kardiale Gründe für diese Symptome untersucht. Es wäre für ihn keine Überraschung, wenn in Zukunft bei Patienten mit einer Kardiomyopathie unbekannter Ätiologie SARS-CoV-2-Antikörper nachgewiesen werden könnten.
Die laut Topol faszinierendste Frage, auf die es noch keine ausreichenden Antworten gibt, ist allerdings die, warum manche Personen nach einer SARS-CoV-2-Infektion zu schweren kardiovaskuläre Komplikationen neigen - und andere Menschen eben nicht.
Ein Leitfaden gibt Orientierung
Im klinischen Alltag können behandelnde Ärzte selbstverständlich nicht darauf warten, bis alle diese und andere wichtige Fragen beantwortet sind. Die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) hat daher relativ früh einen umfangreichen Leitfaden zur kardiologischen Diagnostik und Therapie im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie veröffentlicht. Dabei handelte es sich nicht um eine neue Leitlinie, sondern – aufgrund des wissenschaftlich sehr dynamischen Geschehens – um einen orientierenden und unterstützenden Leitfaden.
Die Autoren gehen detailliert auf diagnostische und therapeutische Maßnahmen bei allen relevanten kardiovaskulär relevanten Erkrankungen und Risikofaktoren ein. Dazu zählen außer chronischen Koronar-Syndromen die Herzinsuffizienz, Arrhythmien, Klappenfehler und der Lungenembolie auch der Bluthochdruck.
Ein anderes Kapitel dreht sich um die Antikoagulation, insbesondere um die Dosierung der gerinnungshemmenden Wirkstoffe. Zudem enthält der Leitfaden Informationen und Empfehlungen zum Schutz der Patienten und der Mitarbeiter sowie zum Eigenschutz bei diagnostischen und therapeutischen Eingriffen, etwa einer transösophagealen Echokardiografie oder einer Katheter-gestützten Ablation bei Vorhofflimmern. In einem Kapitel befassen sich die Autoren mit Allokations-Entscheidungen bei kardiovaskulär erkrankten Patienten mit oder ohne COVID-19.
Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Univadis.de.
Medscape Nachrichten © 2020
Diesen Artikel so zitieren: Virus mit gefährlicher „Schwäche“ fürs Herz: Wie sich die Corona-Infektion aufs Herzgefäß-System auswirkt. Eine Übersicht - Medscape - 5. Nov 2020.
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