Berlin – „COVID-19 ist eine Langzeitbedrohung für die öffentliche Gesundheit, und das Risiko einer explosiven Verbreitung wird mit einem Impfstoff nicht beendet sein.“ Beim diesjährigen – komplett online veranstalteten – World Health Summit prognostizierte dies Dr. Tom Frieden, unter US-Präsident Obama langjähriger (von 2009 bis 2017) Direktor der Centers of Disease Control and Prevention (CDC) und jetzt Präsident der Initiative „Resolve to Save Lives“ [1]. Dabei erläuterte der Mediziner, was aus seiner Sicht wichtig ist, um dieser und künftigen Pandemien wirkungsvoll zu begegnen.
„Wir haben gesehen, dass es möglich ist, die Kurve zu durchbrechen und weniger Erkrankungen, weniger Todesfälle und weniger wirtschaftliche Zerstörung durch COVID-19 zu haben“, so Frieden, „nämlich dort, wo die öffentliche Gesundheit die Richtung vorgibt und volle Unterstützung erfährt.“ Benötigt werde dazu eine umfassende Strategie mit den Hauptmerkmalen:
Reduzierung der Virusverbreitung,
Aufhalten neuer Fälle bzw. Cluster,
Schutz und Gewährleistung der regulären Gesundheitsversorgung sowie
die Nutzung von Daten, um Fortschritte zu erreichen.
Was gemessen wird, kann gemanagt werden
Gegen die Virusverbreitung ist für den ehemaligen CDC-Direktor bereits viel durch allgemeine Schutzmaßnahmen wie Masken, Abstandsregeln und Handhygiene zu erreichen. Neuen Fällen und Clustern müsse mit strategischem Testen, schneller Isolation Infizierter und möglichst kompletter Nachverfolgung der Kontaktpersonen mit Quarantäneanordnungen begegnet werden. „Diese grundsätzliche Herangehensweise funktioniert“, zeigte sich Frieden überzeugt. „Wenn es allerdings zu viele Fälle werden, dann wird ein umfassenderer Lockdown gebraucht.“
Besondere Bedeutung beim Kampf gegen die Corona-Pandemie haben für den Experten Daten: „Daten sind die Lebensader von Public Health. Gute Daten sind notwendig, um Entscheidungen für effektive öffentliche Gesundheitsmaßnahmen zu treffen, und ihre Analyse kann Echtzeit-Feedbacks ermöglichen, die wiederum zeigen, welche Interventionen funktionieren und wo Verbesserungsbedarf besteht.“
Daten könnten zudem – insbesondere im Hinblick auf kontrovers diskutierte Interventionen – dabei helfen, mehr politische und öffentliche Unterstützung für geplante Maßnahmen zu erreichen. Kurzum: Was gemessen wird, kann gemanagt werden („What gets measured can be managed“).
Unterfinanzierte öffentliche Gesundheitssysteme
Derzeit sei die Welt allerdings immer noch jämmerlich auf Epidemien vorbereitet, wie Frieden beklagte: „Öffentliche Gesundheitssysteme überall haben unter jahrelanger Unterfinanzierung gelitten. Jetzt aber ist der Moment, dies zu ändern.“ Gebraucht würden Geld, kreative Lösungen und politischer Wille, um das öffentliche Gesundheitswesen zu stärken und aufrechtzuerhalten – und das weltweit.
„Eine globale Bereitschaft zur Stärkung von Frühwarnsystemen, schneller Reaktionsfähigkeit und effektiven Vorsorgemaßnahmen rund um die Welt kann Millionen Leben retten und Trillionen Dollar sparen.“ Eine wichtige Rolle komme dabei der Weltgesundheitsorganisation zu, die zwar Fehler gemacht habe, aber unverzichtbar sei und stärker gemacht werden müsse als bisher.
Frieden warnte vor „Impfstoff-Nationalismus“: Nur eine globale Kooperation gegen das Virus könne zu einer globalen Genesung führen.
Auch andere Krankheiten im Auge behalten
Doch so vordringlich die weltweite Anti-Corona-Strategie auch sein mag: „Es wäre ein großer Fehler, sich jetzt nur noch um COVID-19 zu kümmern“, so Frieden. „Genauso müssen wir rund um den Globus bestehende lebensbedrohliche Mängel beim Vorbereitetsein auf andere Krankheiten angehen.“
Wichtig sei dabei auch, die medizinische Grundversorgung weltweit zu verbessern. „Es wird unvermeidbar sein, eine weitere Pandemie zu bekommen. Aber es ist nicht unvermeidbar, dass die Welt dann noch so unvorbereitet ist, wie sie es jetzt war.“
Antigen-Schnelltests zur Abschätzung der Infektiosität
Über einen neuen Ansatz zur Abschätzung, inwieweit COVID-19-Patienten noch ansteckend sind, berichtete der Berliner Virologe Prof. Dr. Christian Drosten auf dem World Health Summit.
Bedeutung hat dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass es während der jetzt begonnenen 2. Infektionswelle zunehmend schwieriger wird, alle Kontakte von Infizierten nachzuverfolgen und diese PCR-Tests zu unterziehen. Wie Drosten erläuterte, könnte eine neue Strategie im Einsatz von Antigen-Schnelltests bestehen, die Auskunft über ein Nachlassen der Infektiosität der Patienten geben.
So hätten mehrere Studien gezeigt, dass es bei COVID-19 eine Korrelation zwischen dem Vorhandensein von Krankheitssymptomen und der Virus-Isolationsrate in Zellkulturen gebe. Eine Woche nach Krankheitsbeginn hatte sich diese Isolationsrate auf unter 20% verringert, was offensichtlich mit einem Ende der Infektiosität des Patienten einhergeht. Verschiedene bereits verfügbare Antigen-Schnelltest zeigen bei solch geringen Virusmengen negative Ergebnisse.
„Damit könnten wir die Arbeitshypothese entwickeln, dass ein negatives Ergebnis in einem Antigentest das Schwinden der Infektiosität vorhersagt“, so Drosten. Zu wissen, ab wann vorher positiv auf SARS-CoV-2 getestete Personen nicht mehr ansteckend sind, könnte sich als „game changer“ erweisen – vor allem, wenn nicht ausreichend PCR-Tests verfügbar sind.
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Diesen Artikel so zitieren: COVID-19 als Langzeitbedrohung: Daten als Lebensader von Public Health und die Rolle von Antigen-Tests - Medscape - 5. Nov 2020.
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